Koalitionsstreit um Impfstoffchaos - Wie die SPD das Vertrauen in die Regierung verspielt

Der Wahlkampf hat begonnen. Die SPD hat das Impfchaos genutzt, um den Gesundheitsminister bei der Konferenz der Ministerpräsidenten auf die Anklagebank zu setzen. Das Timing war denkbar ungünstig. Denn die SPD ist Teil der Regierung. Trägt sie gar keine Verantwortung?

Vizekanzler oder Oppositionsführer in der eigenen Koaliton? Olaf Scholz / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Man sagt, wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Aber was ist, wenn es sich bei den beiden Kontrahenten um Koalitionspartner handelt, und der eine von beiden so tut, als sei er der Dritte? 

Dann ist Wahlkampf, aber so ein Wahlkampf, wie ihn die SPD beim Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten eröffnet hat, ist ein makaberes Schauspiel. Zankapfel ist der Impfstoff. In Israel, Großbritannien oder in den USA rettet der gerade reihenweise Menschenleben. Hierzulande muss er bislang vor allem als Stoff für absurdes Theater herhalten. 

Fragen wie für den Untersuchungsausschuss 

Denn der Impfstoff ist knapp. Ausgerechnet in dem Land, in dem die Firma Biontech das Rennen um den Impfstoff gewonnen hatte, stehen alte Leute, Ärzte oder Pfleger vielfach vor verschlossenen Türen der Impfzentren, weil nicht genug Impfstoff da ist.

Der Gesundheitsminister war’s, empören sich Sozialdemokraten und zeigen mit dem Finger auf Jens Spahn (CDU). Und ausgerechnet Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) knallt ihm vor den Ministerpräsidenten einen vierseitigen Fragekatalog mit 24 Punkten auf den Tisch, der sich in seiner inquisitorischen Detailtreue eher wie eine Anklageschrift liest, wie Fragen für den Heißen Stuhl oder einen Untersuchungsausschuss. 

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Florian Post spricht von einem Ausrutscher 

Und richtig, das Wort fällt wirklich. Dem bayerischen SPD-Bundestagsabgeordneten Florian Post rutscht es heraus. Er fordert, dass ein Untersuchungsausschuss aufklären soll, warum Deutschland nicht schafft, was andere Länder scheinbar mühelos hinbekommen. War es wirklich Jens Spahn, der geschlafen hat? Oder liegt der Schwarze Peter doch bei der Bundeskanzlerin, die darauf bestanden haben soll, dass die EU-Kommission den Kauf der Vakzine einfädeln soll? Und wenn ja, warum ist man trotzdem nicht wie die Amerikaner auf Nummer sicher gegangen und hat größere Mengen geordert? 

Heute spricht Post auf Anfrage von Cicero von einem „Ausrutscher“. Die Sache ist ihm peinlich. Einen Untersuchungsausschuss kann nur die Opposition fordern. Sie ist der Dritte, der sich freut, wenn zwei sich streiten. Aber das ist genau der springende Punkt. Getrieben von den SPD-regierten Bundesländern, tut die SPD-Fraktion jetzt so, als sei sie an der Regierung gar nicht beteiligt. Als sei sie die unbeteiligte Dritte, die nur aus der Zeitung erfahren habe, was da bei der Bestellung des Impfstoffs alles schiefgegangen ist. 

Es geht um Leben und Tod 

Dabei hat die SPD das Chaos als Koalitionspartner in dieser Bundesregierung mitzuverantworten. Sie sitzt mit im Corona-Kabinett, das den Kurs in der Eindämmung der Pandemie bestimmt. „In so einer Phase funktioniert es nicht gut, gleichzeitig Regierung und Opposition zu sein“, ätzt Jens Spahn. Und damit hat er völlig Recht. Klar, muss er sich als Gesundheitsminister kritischen Fragen gefallen lassen. Klar, muss er für Pannen gerade stehen. 

Dass die SPD jetzt aber die Gelegenheit nutzt, um mit diesem Thema den Wahlkampf zu beginnen, ist ein denkbar schlechtes Timing. Jeden Tag sterben hunderte Menschen, weil es der Regierung nicht gelingt, die Pandemie schnell genug einzudämmen. Es geht um Leben und Tod, dahinter muss jeder Machtkampf zurücktreten. Denn wie vertrauenswürdig ist eine Regierung, die ihren Wähler suggeriert, dass eine Hälfte von ihr eigentlich auf die Anklagebank gehört? Das Vertrauen der Bürger war bislang die wichtigste Ressource der Exekutive im Kampf gegen das tödliche Virus. Sie sollte es nicht verspielen.  

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