SPD - Das letzte Aufgebot

Nach dem Rücktritt von Martin Schulz sollen Andrea Nahles und Olaf Scholz die angeschlagene SPD wieder auf Kurs bringen. Doch das Misstrauen der Parteibasis gegenüber dem neuen Führungsduo ist groß – nicht ganz zu Unrecht

Nahles und Scholz: die ewige Jungsozialistin und der ewige Parteifunktionär / picture alliance
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Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Die SPD hat eine neue Führung. Zunächst kommissarisch. Aber stimmt die Basis der SPD für den Koalitionsvertrag, dann werden Andrea Nahles und Olaf Scholz in den kommenden Jahren das Führungsduo der Partei bilden. Nahles als Partei- und Fraktionsvorsitzende, Scholz als Finanzminister und Vizekanzler. Sie wird für die geschundene Seele der Sozialdemokraten zuständig sein, er für das nüchterne Regierungshandwerk. Die Erwartungen an beide werden riesig sein und widersprüchlich. Schon ihre holprige Inthronisation zeigt, welche unterschiedlichen Kräfte an ihnen zerren. Denn da sind jene, die die SPD nach dem Vorbild des französischen Präsidenten Emmanuel Macron wieder in die Mitte rücken wollen, und jene, die von einer linkspopulistischen Bewegung à la Jeremy Corbyn träumen. 

Mit ein paar Personalentscheidungen und Durchhalteparolen werden Nahles und Scholz jedoch nicht weit kommen. Die Forderung nach „Erneuerung“, die jetzt allenthalben in der SPD erhoben wird, klingt zudem eher wie ein Euphemismus. Denn am Ende der kurzen Ära von Martin Schulz ist die SPD ein Trümmerhaufen. Die Basis ist völlig verunsichert, die Partei orientierungslos, das Amt des Parteivorsitzenden beschädigt. Jetzt hat sich schon der zweite Genosse von der Basis gemeldet, der Nahles bei der Vorsitzendenwahl Konkurrenz machen will. Geht das so weiter, wird das Amt vollends der Lächerlichkeit preisgegeben. 

Der Glaube an die schöpferische Kraft des Chaos

Wie abgrundtief das Misstrauen der Parteibasis und wie groß der Unwille ist, innerparteiliche Führung zu akzeptieren, offenbart sich sowohl in der Mitgliederbefragung über den Koalitionsvertrag als auch in der Forderung nach der Urwahl des Parteivorsitzenden. Als der damalige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel 2013 erstmals die Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen ließ, war dies der Versuch, die Basis auf die Große Koalition einzuschwören und ihnen ein Vertrauensvotum für die Parteiführung abzutrotzen. Doch jetzt ist der Geist aus der Flasche und für viele mittlere Funktionäre sowie für die Jusos ist die Mitgliederbefragung eine Möglichkeit, bei jeder passenden Gelegenheit die Parteiführung in Geiselhaft nehmen zu können. 

Und obwohl die SPD bereits am Abgrund steht, gibt es weiterhin viele Funktionäre, die Intrigen mit Politik verwechseln und die Lust am Untergang kultivieren. Sie scheinen davon überzeugt, dass nur aus dem absoluten Chaos etwas Neues entstehen kann. Allen voran der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert. Er will offenbar in einem gigantischen Feldversuch den Nachweis erbringen, dass sich die schumpetersche Theorie der schöpferischen Zerstörung nicht nur auf den Kapitalismus, sondern auch auf das Parteiensystem anwenden lässt. 

Misstrauen gegenüber Nahles und Scholz

Das neue Führungsduo der SPD ist nicht zu beneiden. Man könnte trotzdem meinen, dass Nahles und Scholz in der jetzigen Situation das Beste sind, was die SPD aufbieten kann. Beide sind lange dabei, beide kennen die Partei in all ihren Verästelungen und Widersprüchen und beide können zumindest noch ein bisschen innerparteiliche Autorität für sich reklamieren. Dazu bringen sie langjährige bundespolitische Erfahrung mit: Beide waren Arbeitsminister in einer Großen Koalition.  

Aber Nahles und Scholz sind beide zugleich schon so lange in der SPD dabei, dass man ihnen eine Mitverantwortung dafür, dass die Partei orientierungslos in Trümmern liegt, nicht absprechen kann. Auch dem desaströsen Treiben von Martin Schulz haben sie viel zu lange tatenlos zugesehen. Auch deshalb schlägt ihnen viel Misstrauen entgegen, in der Partei und auch bei den Wählern. 

Rettung der SPD weiter fraglich

Die burschikos-kindliche Art von Nahles stößt zudem viele Wähler ab. Mit „Bätschi“, „auf die Fresse“ und „Widdewiddewitt“ kommt sie zwar in die „heute show“, aber politische Ausstrahlung oder Charisma gewinnt sie so nicht. Stattdessen erweckt die voraussichtliche neue SPD-Vorsitzende mit solchen Ausfällen den Eindruck der ewigen Jungsozialistin, die zwar alt, aber nicht politisch reifer geworden ist. Eine Wahl hat sie noch nie gewonnen. Olaf Scholz wiederum mag zwar ein solider Hamburger Bürgermeister sein, aber auf der bundespolitischen Bühne wirkt er oft technokratisch und arrogant. Nicht zufällig eilt ihm in Berlin der Spitzname „Scholzomat“ voraus. Charisma, das die politische Fantasie der Genossen und der Wähler anregt, bringt auch er nicht mit.

Eine ewige Jungsozialistin und ein ewiger Parteifunktionär bilden also das letzte Aufgebot der deutschen Sozialdemokratie. Das reicht vielleicht, um die Basis der Partei für den Moment zu besänftigen, die Todessehnsucht mancher Genossen einzudämmen und sich über die Mitgliederbefragung in die Große Koalition zu retten. Hoffnung, dass die SPD ihre Existenzkrise schnell überwinden, sich programmatisch neu erfinden kann, dass sich aus den Trümmern der Ära Schulz eine neue schlagkräftige Partei erbauen ließe, macht dieses Aufgebot nicht. 

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