SPD-Parteitag in Zeiten der Regierungskrise - Mit Scholz, ohne Kanzler

Erstmals nach vier Jahren trifft sich die SPD wieder zu einem richtigen Parteitag. Doch die Genossen hadern mit ihrer Regierungsrolle. Und die Blamage des fehlenden Bundeshaushalts ist allgegenwärtig.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), 07.12.2023 / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Kurz vor dem an diesem Freitag startenden SPD-Parteitag sickert die Nachricht durch: Deutschland wird ohne Etat in das Jahr 2024 gehen. Das ist ein Novum in der jüngsten Geschichte dieses Landes. Alles Bemühen der Ampel-Koalitionäre, sich zumindest politisch noch zu einigen, war zumindest bislang gescheitert, so dass in der kommenden Plenarwoche keine Zeit bleibt, einen etwaigen Entwurf zu beraten. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Bankrotterklärung der Scholz-Regierung. Sie hat weder Geld noch Kredit im konkreten wie im übertragenen Sinne. 

Selbst die eigenen Parteifreunde sind entsetzt, dass die rot-gelb-grünen Regierungsparteien es nicht hinbekommen, nach dem Verfassungsgerichtsurteil eine neue, tragfähige Lösung für den Bundeshaushalt vorzulegen. Wenn die Regierung nicht doch an diesen Streitereien zerbricht, geht sie derart desolat in die zweite Hälfte dieser Legislaturperiode, dass nicht nur von einem Nothaushalt, sondern auch von einer Notregierung und einem Notkanzler gesprochen werden muss. Eigentlich ist es eben kein Kanzler, kein Regierungschef im engeren Sinne, sondern nur Olaf Scholz, der im Kanzleramt sitzt.  

„Rede Olaf Scholz“

Es ist lediglich ein kleines Detail. Als am Dienstag, drei Tage vor dem Event, im Willy-Brandt-Haus die Tagesordnung für den anstehenden SPD-Bundesparteitag veröffentlicht wurde, fehlte in der ausgeteilten Agenda nur ein Wort: „Bundeskanzler“. Für Samstag „ca. 10 Uhr“, wird folgendes angekündigt: „Rede Olaf Scholz“. Gewiss rechnet keiner damit, dass bis morgen der Regierungschef schon sein Amt los ist. So ließe sich das Versehen, auf das Wort „Bundeskanzler“ zu verzichten, allenfalls als böse Vorahnung deuten, angesichts der aktuellen Regierungskrise um die Aufstellung des Haushalts 2024.

Doch das Fehlen der Amtsbezeichnung und auch offiziellen Anrede von Olaf Scholz erscheint als ein tieferer Ausdruck dafür, wie die Sozialdemokratie tickt. Die Bundeskanzler aus den eigenen Reihen sind nervig bis lästig. So war das bei Helmut Schmidt, so war das bei Gerhard Schröder; das ist die Gefühlslage der Genossen, zumal auf Parteitagen, denn da soll die reine Lehre festgestellt werden. Zwischenrufe von den Mühen des Regierungsalltags sind da nur hinderlich.

 

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Der Bundesparteitag der SPD, der von Freitag bis Sonntag im City Cube Berlin stattfindet, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Und tatsächlich ist es der erste reguläre Parteikonvent der Sozialdemokratie seit vier Jahren. Als sich die Genossinnen und Genossen das letzte Mal in diesem Format trafen, regierte noch Angela Merkel. Eine andere Epoche. Die damalige Parteivorsitzende Andrea Nahles war in die Wüste geschickt worden, und Olaf Scholz war im Wettbewerb um den Parteivorsitz gescheitert. Die rote Zukunft war äußerst ungewiss. 

Dass vier Jahre später ausgerechnet dieser in der Partei unbeliebte Scholz als Kanzler, auf den Tag genau zwei Jahre nach seiner Wahl, zu einem Parteitag kommen würde, hätte sich damals keiner vorstellen können. Vor allem aber, dass dieser Bundeskanzler und seine Partei in Umfragen und im allgemeinen Ansehen dann zugleich so schlecht dastehen würden wie vielleicht noch nie ein Amtsträger vor ihm, dass hätte sich auch keiner ausmalen können.

Die Instabilität ist allgegenwärtig

Parteigeneralsekretär Kevin Kühnert versuchte dementsprechend bei der Vorstellung des Parteitagsprogramms auch das Überzeitliche des Geschehens zu betonen, sozusagen das Genossentreffen von aller Tagespolitik abzuschirmen. Dass dies dann wirklichen gelingen wird, scheint unwahrscheinlich. Zu präsent sind die aktuellen Debatten um Schuldenbremse, Investitionslücken und Sozialabbau – angesichts des fehlenden Etats 2024. Zu allgegenwärtig ist die instabile Lage der Scholz-Regierung mit den Ampel-Parteien. 

Ursprünglich sollte der Parteitag der Kacheloffen für die unterkühlte Parteiseele werden. Nach zwei Jahren eisigem Ampel-Kühlschrank, in dem die SPD zwischen den zankenden Grünen und Liberalen oft genug nur als Vermittler, nicht aber als tongebend wahrgenommen wurde, sollte der Parteitag nun zur sozialdemokratischen Selbstverortung führen. Nach dem Motto: Was ist eigentlich die SPD, wenn wir uns die Koalitionspartner wegdenken. 

„Wir wollen vom Reagieren ins Agieren kommen“, erklärte Genossengeneral Kühnert die Marschroute in dieser Woche. Als ob man den Kanzler und einige Minister stellen, die Regierung führen und sich dann noch mal vor Jahresende ins sozialdemokratische Weihnachtswunderland zurückziehen könnte. Vielleicht wäre das sogar gelungen, wäre die Haushaltskrise nicht dazwischen gekommen. Jetzt wird der fehlende Haushalt das bestimmende Thema sein, auch wenn es auf keiner Tagesordnung steht.

Weil poltert gegen Scholz

Der Parteivorsitzende Lars Klingbeil hatte bei Maischberger in der ARD noch gesagt, die Einigung der Regierung auf einen Haushalt 2024 müsse bis zum Beginn des Parteitags gefunden sein, damit die Beratungen nicht von den Regierungskalamitäten überschattet würden. Inzwischen scheint es geradezu umkehrt zu sein. Dadurch, dass zwischen Christian Lindner (FDP), Robert Habeck (Grüne) und Scholz bisweilen noch keine Einigung gefunden wurde, wird dieser womöglich schmerzhafte Kompromiss auch nicht von den Delegierten, die auf die sozialdemokratische Linie achten, zerredet oder gar zu Fall gebracht werden können. Doch so harmlos dieses zeitliche Abwägen auch zunächst erscheint, es macht sich lautstark Unmut breit.

Der niedersächsische und sozialdemokratische Ministerpräsident Stephan Weil, so etwas wie ein heimlicher Hintergrund-SPD-Vorsitzender hinter dem offiziellen Führungsduo, poltert vor dem Parteitag gegen die eigene Regierung und auch gegen Scholz. Er könne nicht verstehen, warum es angesichts des drohenden Verfassungsgerichtsurteils zur Schuldenbremse keinen „Plan B“ gegeben habe. Die nun entstandene Verwirrung „schadet der Demokratie“, erklärte Weil. Wann hat es das gegeben, dass ein SPD-Regierungschef einem anderen SPD-Regierungschef demokratieschädigendes Verhalten vorgeworfen hat? 

Und auch die Ministerpräsidenten-Kollegin aus Mecklenburg-Vorpommern ist nicht zimperlich. Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig verlangt vor dem Parteitag von der Bundesregierung mehr Tempo. Es brauche zügig Klarheit, wie der Bund den Haushalt für das kommende Jahr gestalten wolle, so die SPD-Politikerin. Es werde Zeit, dass die Ampel-Regierung jetzt ihren Vorschlag vorlege, damit die Unruhe und Unsicherheit vorbei seien. Doch davon ist bislang nichts zu sehen.  

Bruchkante Migration

Zum Pflichtprogramm gehört auf dem Bundesparteitag die Neuwahl des Vorstands. Doch weder Lars Klingbeil noch Saskia Esken, die beiden Co-Vorsitzenden, sind Mitglied der Regierung oder haben eine herausgehobene Funktion im Parlament. An ihnen wird sich formal also möglicher Unmut über den Kanzler und die Performance der Ampel nicht entladen können. Die SPD hat also eine Art Teflon-Parteispitze installiert, die unbekümmert den SPD-Tanker durch Untiefen manövriert, ohne wirklich beschädigt werden zu können. Wie aber genau will die Parteiführung den Parteitag steuern in einem Als-ob-Modus, als ob es die Regierungskrise nicht gäbe? Erste mögliche Bruchkanten zeichnen sich beim Thema Migration ab.

Am Samstagabend wird ein zusätzlicher Tagesordnungspunkt eingefügt. Debattiert und verabschiedet werden soll ein Kompromissantrag zu Flüchtlingsthematik. Scholz hatte seine Regierung auf einen strikteren Kurs eingeschworen. „Im großen Stil“ wolle er ausreisepflichtige Migranten abschieben, hatte er dem Spiegel erklärt. Doch die Wortwahl und die Attitüde sorgten für Unmut in der SPD.  Die Jungsozialisten hatten sogar von einem „Vokabular des rechten Mobs“ gesprochen. 

Angriff von den Jusos

Die Jusos gehen bekanntlich mit dem sozialdemokratischen Regierungspersonal nie sonderlich freundlich um. Doch dieser Angriff war von der härteren Sorte. Nun hat die Parteitagsregie 60 Einzelanträge zum Thema Migration in einen zusammengefasst, der die Wogen glätten soll. Doch es kann gut sein, dass gerade bei diesem Thema die Partei ihrem Kanzler zeigen will, wie eigenständig sie ist.

Selbst in dem Kompromissantrag stehen nun einige Punkte, die eigentlich in der Koalition schon anders diskutiert wurden. Die freiwillige Ausreise sei der Abschiebung vorzuziehen, auch die Seenotrettung sieht die Partei nun positiver, sie solle nicht kriminalisiert werden. Während auf europäischer Ebene über den Kampf gegen Schlepper gesprochen wird, zieht sich die SPD wieder in Schneckenhäuser des Wohlklangs zurück. Auch die Familienzusammenführung von subsidiär Schutzbedürftigen soll wieder ermöglicht werden, doch dies hatte SPD-Innenministerin Nancy Faeser bislang nicht umgesetzt, gerade angesichts steigender Flüchtlingszahlen. Was werden die Genossen dazu sagen?

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