Missbrauch des Solidaritäts-Begriffs - „Wer Solidarität sagt, will etwas haben“

Corona, Klima, Migration, Ukraine: Wer „Solidarität“ einfordert, weiß, dass er damit schnell Schuldgefühle auslösen kann. So handeln viele Menschen aus Angst, für unsolidarisch gehalten zu werden, gegen ihre ureigenen Interessen, konstatiert die Soziologin Sandra Kostner.

Die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeigte sich bei der Fußball-WM in Katar solidarisch / picture alliance
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Autoreninfo

Pat Christ hat Kulturgeschichte an der Universität Würzburg studiert. Seit 1990 arbeitet sie als freischaffende Foto- und Textjournalistin.

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Sandra Kostner ist Historikerin und Soziologin. Seit 2010 ist sie als Migrationsforscherin und Geschäftsführerin des Masterstudiengangs Interkulturalität und Integration an der PH Schwäbisch Gmünd tätig. 2020 gründete sie zusammen mit damals 24 weiteren Wissenschaftlern das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. Zusammen mit dem Historiker und Migrationsforscher Stefan Luft veröffentlichte sie in diesem Jahr den Sammelband Ukrainekrieg. Warum Europa eine neue Entspannungspolitik braucht“.

Wird ein Begriff medial gebetsmühlenartig wiederholt, ist Vorsicht geboten. Das zeigt der in der Corona-Krise missbrauchte Begriff „Solidarität“. Wann fiel Ihnen auf, dass es sich hierbei ganz offensichtlich um ein Totschlagargument handelt? 

Mir ist die stark um sich greifende Verwendung dieses Begriffs in allen möglichen Kontexten schon in den letzten Jahren aufgefallen. Bevor ich im Februar 2020 für vier Wochen nach Australien flog, hatte ich mir Notizen gemacht, wozu ich gerne einmal einen Kurzessay schreiben würde. Auf dieser Liste stand damals schon die Verwendung des Solidaritätsbegriffs. Ich dachte zu jenem Zeitpunkt zum Beispiel an den Solidaritätsmechanismus innerhalb der EU in Bezug auf die Verteilung der Flüchtlinge. Staaten, die es ablehnten, in nennenswerter Zahl Flüchtlinge aufzunehmen, sollten zur Solidarität verpflichtet werden.  

Ist der Kurzessay jemals entstanden? 

Sandra Kostner / privat

Nein, Corona kam dazwischen. Es gab nun viele drängendere Fragen. Wobei gerade während der Corona-Krise der Solidaritätsbegriff eine ganz große Rolle spielte. Das stand zwar in den letzten Jahren nicht im Fokus meiner Forschungen, im Rückblick allerdings kann man gut analysieren, wie der Solidaritätsbegriff in der Corona-Krise verwendet wurde. Er wurde sehr früh schon verwendet. Und er war stark im gesellschaftlichen Raum präsent. Das war auch einfach, denn wir verstehen uns ja ohnehin als Solidargemeinschaft.

Der Begriff war nicht zuletzt durch die Migration in den Jahren 2015 und 2016 sehr präsent. Von daher war es naheliegend, dass der Solidaritätsbegriff in der Corona-Krise politisch und medial schnell wieder bemüht wurde. Er sollte Menschen entgegen ihren eigenen Interessen verpflichten, mit anderen solidarisch zu sein. Man sollte aus Solidarität zu Hause bleiben und seine Kontakte beschränken, um andere zu schützen. War man selbstständig, sollte man aus Solidarität seinen Laden schließen. Natürlich muss man dazu sagen, dass die negativen Konsequenzen wiederum von der Solidargemeinschaft über Hilfsgelder abgefedert wurden. 

Am Anfang schien das alles ja auch sinnvoll zu sein. 

Ja, der erste Lockdown war in der Bevölkerung weitestgehend unumstritten. Er hat dann aber für alles Weitere die Grundlage gebildet. Das große Problem war, dass man nach dem ersten Lockdown die Zahlen, die ja vorgelegen haben, nicht herangezogen hat. Man hätte danach sehen können, dass das Virus nicht so gefährlich ist, wie man phasenweise gedacht hatte. Es war damals auch schon klar, dass es mit Lockdowns massive Kollateralschäden geben würde. So etwas muss man ja berücksichtigen, wenn man Menschen im Namen der Solidarität Pflichten auferlegt.

Übrigens schwingt beim Begriff „Solidarität“ mit, dass man das, was man tut, freiwillig macht. Der Staat ist darauf auch angewiesen. Er müsste schon extrem autoritär sein und enorm viel Personal haben, um das, wozu er die Bürger verpflichtet, ganz alleine durchzusetzen. Durch die Verwendung des Begriffs Solidarität sollten sich die Menschen freiwillig entscheiden, das zu tun, was der Staat forderte, also zum Beispiel, sich nicht mehr mit anderen zu treffen. 

Es stellt sich in der Nachschau vieles als falsch heraus, was während der Corona-Krise gesagt und angeordnet wurde. Wann hätte denn jeder Bürger erkennen können, dass das Solidaritätsgesäusel manipulativen Zwecken diente? 

Das ist schwer zu sagen. Ein aufgeklärter, mündiger Bürger, der auch entsprechend Zeit hat, unabhängig zu recherchieren, hätte dies sehr früh erkennen können. Und zwar schon Ende März oder spätestens Anfang April. Viele Bürger haben sich allerdings auf das Angebot der Leitmedien verlassen. Und selbst wenn man die Leitmedien breit las: Alles klang ganz ähnlich. Hatten es sich doch die Medien selbst auferlegt, die Regierung zu unterstützen. 

… solidarisch … 

Ja, das ist wirklich wichtig, die Medien haben sich selbst dazu verpflichtet, im Namen eines nationalen Kraftaktes die Gesundheit der Menschen zu schützen. Wenn man so will, haben sich tatsächlich auch die Medien solidarisch erklärt. Dadurch wurde es für viele Bürger so schwierig, zu durchschauen, was vorgeht. Doch ich denke, im Laufe des späteren Frühjahrs 2020 hätte man, wenn man zwei und zwei zusammengezählt hätte, erkennen können, dass das, was berichtet wurde, nicht mit dem realen Geschehen übereinstimmt. Was jeder im Alltag erlebt hat und was berichtet wurde, konnte fast nicht weiter auseinanderklaffen. 

Was wäre dafür ein Beispiel? 

Es gab konkret nur wenige Menschen, die jemanden kannten, der sehr schwer an Covid-19 erkrankt war. Noch sehr viel weniger Menschen kannten jemanden, der an Covid-19 gestorben war. Eine überragende Gefahr, die all die drastischen Maßnahmen gerechtfertigt hätte, hätte jeder Mensch innerhalb kürzester Zeit am eigenen Leib gespürt. Man hätte dann gar nicht an die Solidarität der Menschen appellieren müssen. Bei einer für alle wahrnehmbaren Gefahr hätten alle von sich aus solidarisch gehandelt. Wird der Solidaritätsbegriff stark verwendet, ist das in aller Regel ein Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt. Dennoch ließ genau dies, also die plötzliche permanente Verwendung des Solidaritätsbegriffs, die meisten nicht aufhorchen, da man, wie gesagt, an die Verwendung dieses Begriffes gewöhnt war und der Begriff bis heute positiv besetzt ist. 

Eben deswegen ist es ja so schwierig, sich „unsolidarisch“ zu verhalten … 

Genau, dies macht die Verwendung des Begriffs so hinterhältig. Wir sehen, dass der Begriff in der Politik in den letzten Jahren häufig dazu benutzt wurde, um knallharte Machtinteressen zu verschleiern und Menschen dazu zu bringen, mitzumachen, obwohl das eigentlich nicht in ihrem Interesse ist. Das sehen wir jetzt neuerlich beim Ukraine-Krieg oder beim Klima-Narrativ

Während der Corona-Krise wurden die Menschen verpflichtet, sich so „solidarisch“ zu verhalten, dass sie sogar ihre Mutter einsam im Pflegeheim sterben ließen. 

Exakt so ist es, die größten Unmenschlichkeiten wurden mit dem Solidaritätsbegriff zum normalen Verhalten erklärt. Gerade das einsame Sterben alter Menschen war extrem unmenschlich, da es sich um etwas Irreversibles handelt. Andere Dinge kann man nachholen. Aber das Abschiednehmen ist nur einmal möglich. Ist das nicht erlaubt, kann der überlebende Teil dies für den Rest seines Lebens mit sich herumtragen. 

Hospizvereine bestätigen dies. Einige weisen darauf hin, dass die Nachfrage nach Trauerbegleitung in letzter Zeit stark gestiegen ist, teilweise übersteigt sie die Nachfrage nach Hospizbegleitung. Aber warum haben gerade hier so viele mitgemacht? 

Mitgemacht haben die meisten nach meiner Ansicht wegen des medial erzeugten Drucks und des Drucks in ihrem sozialen Umfeld. Einige wenige sahen, dass die angebliche Gefahr und die Realität nicht in Einklang zu bringen sind. Sie haben auch das Wort dagegen erhoben. Allerdings wurden viele von ihnen fertig gemacht. Waren sie bekannt, wurden sie gern auch in die schlimmsten Ecken gestellt und fast zu Mördern hochstilisiert. Und zwar ganz unabhängig davon, wie fundiert die Position war. Genau das hat die große Masse abgeschreckt: Sich ebenfalls in diese Richtung zu positionieren, schien sozial zu gefährlich zu sein. 

Aber auch hier haben wir ja einen frappierenden Widerspruch: Während der Begriff „Solidarität“ Hochkonjunktur hat, wird gleichzeitig alles dafür getan, dass die Gesellschaft zerbröselt, dass sie vielfach gespalten wird. 

Das passt wirklich absolut nicht zusammen! Funktionieren konnte dies aber wiederum nur durch den Solidaritätsbegriff. Wer eine abweichende Meinung hatte, war schlicht und einfach unsolidarisch. Dies wurde wieder und wieder betont, von der Politik, von den Medien, von ganz vielen Institutionen. Der einzelne Bürger, der zur Solidarität verpflichtet werden sollte, sah sich einer Macht gegenüber, die er, zumindest, wenn er nach 1945 in Westdeutschland sozialisiert wurde, noch niemals zuvor erlebt hatte. Die allermeisten waren davon überzeugt, dass der Staat das, was er tat, nur machen konnte, weil eine überragende Gefahr vorlag. Alles andere war jenseits des Vorstellungsvermögens.

Letztlich bewegt mich selbst nach wie vor die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Staaten fast drei Jahre lang zu derart massiven und freiheitsfeindlichen Maßnahmen greifen konnten. War doch relativ klar, dass die Gefahr nicht so groß ist. Man kannte zum Beispiel die Daten von John Ioannidis ziemlich früh. Dessen Daten haben sich im Laufe der Zeit auch bestätigt. 

Einen anderen Menschen ernsthaft, gar tödlich zu gefährden, wird kaum jemand wollen. Nun wurde Kindern eingeredet, dass sie genau dies tun würden, wenn sie nicht „solidarisch“ Abstand hielten. Wie ist das aus Ihrer Sicht zu bewerten? 

Kindern zu sagen, dass sie sich im Namen der Solidarität von ihren Großeltern fernzuhalten haben, ihnen zu sagen, dass sie Todbringer auf zwei Beinen oder wandernde Todesengel sind – ich kann mir kaum etwas Grausameres vorstellen. Das berüchtigte Papier aus dem Bundesinnenministerium belegt, dass genau dies geschehen sollte. Kindern sollte Angst gemacht werden, sie könnten diejenigen sein, die ihre Großeltern umbringen könnten, wenn sie mit ihnen in Kontakt kommen.

Man muss sich wirklich fragen, wie man auf solche Ideen überhaupt hat kommen können. Es ist derart inhuman, dies Kindern anzutun. Sicherlich stecken manche Kinder dies weg. Andere wachsen wahrscheinlich mit einem negativen Selbstbild auf. Und das wird sie womöglich ein Leben lang begleiten. Tief innen werden wahrscheinlich manche dieser Kinder bis ins Erwachsenenalter hinein überzeugt sein, dass sie eine todbringende Gefahr für andere sind.  

Warum haben Eltern denn dies alles „solidarisch“ mitgemacht? 

In den Elternhäusern wurde ganz verschieden agiert. Es gab Eltern, die sich selbst brav an alle Regeln hielten, ihre Kinder aber rausließen. Dann gab es andere, mir sind einige persönlich bekannt, die ihre Kinder, genau wie das vorgeschrieben war, dann, wenn sie einen positiven Corona-Test hatten, im Haus oder in der Wohnung isolierten. Diese Kinder durften dann nicht mit den anderen aus der Familie am selben Tisch sitzen und essen. Sie mussten in ihrem Zimmer bleiben. Es soll Fälle gegeben haben, wo das Jugendamt drohte, die Kinder aus der Familie zu nehmen, wenn sich die Eltern nicht an diese Vorschriften hielten. Das muss man sich mal vorstellen. Was hier geschehen ist, ist für mich seelischer Missbrauch. 

… im Namen der Solidarität … 

Ja, es geschah im Namen der Solidarität ... Es gibt wirklich viele Beispiele dafür, dass die größten Inhumanitäten im Namen der Solidarität verfügt wurden. In Bezug auf die Kinder gelang dies, weil Eltern tatsächlich geglaubt hatten, dass das Virus eine tödliche Gefahr sei. Andere waren einfach nur obrigkeitshörig: Wenn ihre Regierung etwas verfügt, machen sie es einfach. Inzwischen gibt man ja politisch zu, dass das, was den Kindern abverlangt wurde, falsch war. Nicht zuletzt die Schulschließungen.

Die Folgen allerdings sind kaum wiedergutzumachen. Wenn man um die 50 ist, machen zwei oder drei Jahre im Leben keinen allzu großen Unterschied. Ganz am Anfang und ganz am Ende des Lebens spielt Zeit jedoch eine enorm große Rolle. Eine ganz besonders große Rolle spielt Zeit am Anfang des Lebens, weil hier Lebenswege vorstrukturiert werden.

Noch können wir gar nicht erahnen, welche Angststörungen in jungen Menschen angelegt worden sind, die sich später Bahn brechen werden. Was wir inzwischen bereits sehen, ist ein enormer Kompetenzverlust in den Schulen. Das zeigen mehrere aktuelle Studien. Kinder können schlechter lesen, sie können schlechter schreiben und schlechter zuhören. Gerade diese Kompetenzen sind jedoch grundlegend für den gesamten Bildungsweg. Dies wiederum hat nicht nur ein Einfluss auf die Kinder selbst, sondern letztlich auf unsere gesamte Gesellschaft. 

Echte Solidarität bedeutet auch, andere vor etwas, was geplant ist, zu warnen, wenn man denkt, dass es sich um ein gefährliches Vorhaben handeln könnte. Ich denke an die „Impfung“. Warum wurden solche solidarischen Akte derart bekämpft? 

Auch das zeigt wieder, dass der Solidaritätsbegriff ganz klar missbraucht wurde, um bestimmte Interessen abzusichern. Nun kann man darüber spekulieren, welche Interessen das waren. Sicherlich hatten die Regierungen zumindest zum Teil auch überreagiert. Sie hatten sich zum Teil einseitig beraten lassen. Sie haben sich auf den Zero-Covid-Kurs einschwören lassen. So kam es, dass Maßnahmen verfügt wurden, die zuvor in der westlichen Gesellschaft undenkbar waren. Es spielen aber auch Pharmainteressen mit hinein. Einige Pharmaunternehmen haben mit den Impfungen ja unglaubliche Gewinne gemacht. Schon Mitte März 2020 rückten die Impfungen ganz stark in den Fokus. Damals hieß es schon, dass versucht würde, Impfstoffe herzustellen.

Sehr früh hieß es weiter, dass nur die Impfstoffe die Pandemie würden beenden können. Selbst für mich als Laiin war das damals höchst erstaunlich. Inzwischen habe ich mich ziemlich intensiv in Immunologie und Epidemiologie eingearbeitet. Damals war ich relativ unbeleckt. Dennoch hat mich sehr erstaunt, was gesagt wurde. Aus diesem Grund habe ich angefangen, zu recherchieren.

Ich stieß dann relativ schnell auf immunologische Fachbücher und auf Fachleute, die darlegten, dass der Diskurs extrem vereinseitigt war. Alles lief auf die Impfung zu. Die Impfung diente außerdem dazu, alle anderen Maßnahmen zu rechtfertigen. Es hieß, nur wenn so und so viel Prozent der Bevölkerung geimpft wären, könnte man die Maßnahmen aufgeben. Die Impfung galt als alternativlos, und auch die Maßnahmen vor der Durchimpfung der Bevölkerung galten als alternativlos.

Aber es gab warnende Stimmen. Und die wurden brutal unsolidarisch ausgegrenzt. 

Ja. Ganz krass ist außerdem, dass wirksame und billig herzustellende Mittel verboten wurden. Etwa Ivermectin, aber auch andere Medikamente. Auch hier muss man sich einfach fragen, worum es eigentlich ging. Ganz klar ging es darum, die Impfung an die Menschen zu bringen. Wer im Einzelnen dahinter stand, habe ich nicht genau untersucht, weshalb ich nicht näher darauf eingehen möchte. Es gibt inzwischen allerdings Untersuchungen hierzu. 

Lassen Sie mich nachhaken: Warum wurden solidarische Warner so massiv bekämpft? Die Bürger hätten sich doch fragen müssen, ob die Kritiker wirklich etwas Segenbringendes verhindern wollten. Die Kritik an den Kritikern entbehrte jeder Logik. 

Es gab in der Tat renommierte Experten, die von Anfang an gesagt haben, dass die Impfung allerhöchstens schwere Fälle würde verhindern können. Es war aber schon ganz früh klar, dass die Impfung rein vom Wirkprinzip her definitiv nicht die Weitergabe des Virus würde verhindern können. Damit war ein wichtiger Pfeiler des Solidaritätsarguments gekippt. Es ging ja darum, das Virus dadurch, dass sich alle impfen ließen, solidarisch auszurotten. Doch wer nur einmal fünf Minuten lang ein Epidemiologie-Buch in die Hand genommen hätte, hätte wissen können, dass dies einfach nicht möglich ist. Das Coronavirus ist nun mal ein mutierendes Virus. Man kann es nicht ausrotten mit einer Impfung. Doch die meisten haben sich gar nicht die Mühe gemacht, sich diese Informationen zu besorgen.

 

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Bis Herbst 2020 gab es allerdings zumindest noch einige wenige kritische Stimmen im Diskurs. Danach war dies dann komplett weg. Meine Hypothese ist, aber das ist wirklich nur meine Hypothese, dass dies geschah, als die Impfstoffe in der bedingten Zulassung waren. Als dieses große Menschheitsexperiment kurz vor dem Start stand, wollte man keine warnenden Stimmen mehr haben. Egal, wie renommiert und fachkundig sie waren. Dann gab es im ersten Quartal 2021 die ersten Berichte von Impfschädigungen. Darüber wurde auch tatsächlich berichtet. Doch es wurde so berichtet, dass die Opfer von Impfungen nun mal Kollateralschäden seien, die man um der großen Sache willen hinnehmen müsse. 

… aus Solidarität … 

Ja. Der Einzelne hat einfach keine Rolle mehr gespielt. Der Schwerstgeschädigte durch die Impfung hat aus Solidarität, hat für das Gemeinwesen einen persönlichen Preis bezahlt. Spätestens im Sommer 2021 war absolut klar, dass die Impfung keine Übertragung verhindern kann. Dennoch hat die Bundesregierung im Namen der Solidarität versucht, eine allgemeine Impfpflicht durchzusetzen. Am Ende kam es dann zu einer partiellen Impfpflicht für das medizinische Personal. Bei der Bundeswehr gilt die Impfpflicht bis heute.

Dies alles hat man unter dem Deckmantel der Solidarität gemacht, obwohl es zu diesem Zeitpunkt ganz klar war, dass das, was behauptet wurde, eindeutig faktenwidrig war. Das ist fatal für eine Demokratie. Man höhlt Vertrauen aus. Und Vertrauen ist ein wertvolles Gut. Hier wurde es mit ganz leichter Hand verspielt. 

Das Wort „Solidarität“, das so oft in der Presse stand und so oft aus politischen Mündern quoll, hat sich erstaunlicherweise immer noch nicht abgenutzt. Aktuell ist viel von der „Solidarität mit der Ukraine“ zu lesen. Wie denken Sie darüber? 

Was die Ukraine betrifft, ist die Gesellschaft nach meiner Ansicht wesentlich gespaltener als in der Corona-Krise. Die veröffentlichte Meinung ist zwar weitgehend auf der Seite der neokonservativ geprägten Interessen der USA. Dies trifft aber wohl auf nur höchstens 50 Prozent der Bevölkerung zu. Mindestens die Hälfte der Bürger, wenn nicht gar mehr, wünschen sich Verhandlungen statt Waffenlieferungen. Aber wieder werden Kritiker als unsolidarisch in Grund und Boden geschrieben. Wenn man Verhandlungen wünscht, ist man ein Putin-Troll. Man möchte die Ukraine Putin zum Fraß vorwerfen.

Interessanterweise wird ja auch die Ukraine als solidarisch hingestellt. Solidarisch verteidigt die Ukraine die westlichen Werte. Solidarisch stoppt sie Putin in der Ukraine, damit er nicht morgen am Brandenburger Tor steht. Das ist auch hier alles wieder faktenbefreit. Ich habe die entsprechenden Dokumente sehr genau angeschaut. Natürlich ist nicht alles zugänglich. Das ist mir vollkommen klar. Und ich kann auch nicht alles lesen. Zumal ich kein Russisch kann. Aber von allem, was ich lesen konnte, und nach dem, was Analysten, die sich gut auskennen, sagen, gibt es keine Hinweise darauf, dass Putin ein Interesse hätte, morgen am Brandenburger Tor zu stehen. Er hat wohl noch nicht einmal ein Interesse, die baltischen Staaten zurückzuerobern.

Wieder geht es um die Absicherung eines Narrativs. Diesmal des Narrativs: Kampf Gut gegen Böse. Über die eigenen Verfehlungen, über die eigene Politik, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass dem Krieg der Boden bereitet wurde, darf nicht diskutiert werden. Den neokonservativen Kräften in den USA geht es ganz eindeutig darum, die Ukraine aus der Einflusssphäre Russlands zu lösen, damit Russland nie mehr ein geopolitischer Faktor werden kann.

Doch den Krieg in der Ukraine möglichst schnell zu beenden und zu einer tragfähigen Friedenslösung zu kommen, wäre in unserem ureigensten Interesse. Sowohl die Rezession als auch die hohen Flüchtlingszahlen sind für uns eine immense Belastung. Wenn wir wirklich westliche Werte verteidigten, wäre es außerdem in unserem ureigenen Interesse, das Sterben zu beenden. Der höchste Wert sollte doch das Leben sein! 

Wieder stoßen wir auf den gleichen Widerspruch: Mit dem Argument der Solidarität lässt man grausam Tag für Tag hunderte Menschen sterben. 

Ja, genau. Übrigens sollte man nicht vergessen, dass die Ukraine nicht Herr Selenskyj ist. Die Ukrainer, das sind die vielen Menschen dort. Ich gehe davon aus, dass die meisten lieber in Frieden leben würden als weiter in dieser Kriegssituation. Zumal die Ukraine über einen langen Zeitraum eine demographisch extrem hohe Belastung davontragen wird. Das Land hat schon seit 30 Jahren eine geringe Geburtenquote. Nun sind viele Frauen mit ihren Kindern geflüchtet, und man weiß nicht, ob sie je zurückkehren werden. Hinzukommen die vielen toten jungen Männer. Man muss sich wirklich fragen: Ist das solidarisch, Menschen in den Tod zu schicken? Ich finde das alles wirklich extrem fragwürdig. Und ich nehme wahr, dass viele Menschen dies hinterfragen.  

Allerdings scheint wieder wie gehabt versucht zu werden, jegliche Streitfrage durch die manipulative Verwendung des Solidaritätsbegriffs im Keim zu ersticken. 

Ja, diesmal geht es darum, durch die Verwendung des Solidaritätsbegriff die Machtinteressen der Neocons in den USA abzusichern. Dass es um geopolitische Fragen geht, darf überhaupt nicht thematisiert werden. In der Erzählung gibt es nur den bösen Putin, der urplötzlich entschieden hat, die Ukraine zu überfallen, um seinem imperialistischen Drang zu folgen. Die ganze Vorgeschichte des Krieges über 30 Jahre hinweg, die ich mir wirklich sehr, sehr intensiv angeschaut habe, trägt keinen Hinweis darauf.

Sowohl bei Corona als auch beim Ukraine-Krieg lässt sich feststellen: Wenn das, was man behauptet, im Widerspruch zu den Fakten steht, kann man nicht in eine öffentliche Auseinandersetzung gehen mit jemandem, der die Fakten und der die Argumente kennt. Dann würde man ja ganz schnell nackt dastehen. Und jeder würde sehen: Der Kaiser ist nackt! Das kann ich nur verhindern, indem ich einen derartigen sozialen Druck aufbaue, dass diejenigen, die etwas zu sagen haben, lieber nichts sagen.

Vor einigen Monaten sprach ich in Australien mit einer sehr guten Kennerin Russlands, die auch in Russland gelebt hat. Den Namen kann ich nicht nennen, weil sie nicht identifiziert werden möchte. Ich hatte sie gefragt, ob sie denn nicht öffentlich über das, was sie weiß, sprechen möchte. Sie sagte: Nein. Ich fragte weiter, obwohl mir die Antwort natürlich klar war, warum nicht. Sie sagte: „I don’t want to be cancelled.“

Viele, die etwas zu sagen hätten, schreckt ab, wie man, um nur einen Namen zu nennen, zum Beispiel mit einer Russlandkennerin wie Gabriele Krone-Schmalz umgeht. Vor allem die Jüngeren überlegen sich ganz genau, was eine Positionierung womöglich für den Rest ihrer Karriere bedeuten würde. Sie wollen nicht in der Öffentlichkeit zerlegt werden. Am nächsten Tag muss man ja wieder an seinen Arbeitsplatz zurück und in sein soziales Umfeld. Viele sagen sich, dass das den Preis nicht wert ist. Zum Schutz der Narrative wird bewusst versucht, den Preis für Positionierungen so hochzuschrauben, dass sich die meisten nicht trauen, sich zu äußern. 

Auch hier wieder steht ein brutales Verhalten im krassesten Widerspruch zum Wort Solidarität. 

Tja, wie es so schön heißt, müssen wir nun einmal im eigenen Interesse solidarisch mit der Ukraine sein … Sonst, heißt es weiter, werden auch wir ein Opfer von Putin. So funktioniert das. 

Es gehörte und es gehört sicherlich viel Oppositionsgeist dazu, um sich anders zu verhalten, als es die Solidaritätsappelle nahelegen. Was ist Ihr Eindruck: Erkennen zunehmend mehr Menschen die propagandistischen Absichten dahinter? 

Ich sag mal so: Der „Bullshit Detector“ ist nun bei einigen wieder zum Leben erwacht. Immer mehr Menschen erkennen, dass einfach zu viel nicht stimmt. Viele sind ja auch in Bezug auf Corona aufgewacht. Und wenn man einmal gesehen hat, was geschieht, kann man das ja nicht plötzlich nicht mehr sehen. In Bezug auf den Krieg ist es natürlich so, dass nicht jeder durchschaut, was da im Einzelnen abläuft. Eine große Rolle für die nun spürbare Kritik spielen eigene Erfahrungen mit Krieg. Die meisten Menschen wollen keinen Krieg in Europa. Und dann ist es natürlich so, dass viele Menschen die Folgen der Krisen nun im Geldbeutel spüren. Für viele kann diese Politik einfach so nicht weitergehen. 

Beim Gros der Mitmenschen wird man durch „unsolidarisches Verhalten“ aber weiterhin oft auf Unverständnis stoßen. Das ist bitter, wenn es sich um Menschen handelt, die man eigentlich mag. Wie kann man persönlich damit umgehen? 

Es wird in der Tat schwierig, wenn Leute davon überzeugt sind, dass das, was aus allen für sie vertrauenswürdigen Kanälen quillt, richtig ist. Wenn jemand sehr verschlossen ist, umschiffe ich persönlich das Thema. Hin und wieder versuche ich dann, ein bisschen reinzustechen, um zu erfahren, ob vielleicht doch ein bisschen mehr geht. Wenn wirklich gar nichts geht, muss man sich zeitweise von den Betreffenden zurückziehen, obwohl man sie mag.  

Solidarität gilt als selbstlos, doch diese Ansicht entbehrt im politischen Raum jeder Grundlage. So kam auch der 2021 verstorbene Jurist Michael Stolleis zu dem Schluss: „Wer Solidarität sagt, will etwas haben.“ Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. 

Ja, auch ich denke, dass man grundsätzlich wachsam sein sollte, wenn der Begriff „Solidarität“ politisch verwendet wird. Wenn man das über viele Jahre analysiert, zeigt sich, dass dieser, aber auch andere Begriffe, verwendet werden, um Interessen durchzusetzen, die gegen die Interessen der Menschen gerichtet sind. Gerade durch Solidaritätsappelle wird versucht, die Menschen dazu zu bringen, das, was nicht in ihrem Interesse ist, freiwillig zu tun.

Natürlich kann ein Gemeinwesen ohne Solidarität nicht funktionieren. Ein gutes Beispiel ist die Krankenversicherung. Man gibt etwas, letztlich in der Hoffnung, das, worauf ich einen Anspruch habe, nie nutzen zu müssen. Man will ja nicht krank werden. Aber es kann durchaus sein, dass man krank wird und man dann viel mehr herausholt, als man eingezahlt hat. Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie weit das solidarische Zurückstellen eigener Interessen für das Gemeinwesen gehen darf. Wem konkrete Solidaritätsakte am Ende nutzen. Wer im Namen der Solidarität vor den Karren fremder Interessen gespannt wird. Und wem durch die eingeforderte Solidarität womöglich Schaden entsteht. Solidarität meint immer ein Geben und Nehmen. Einseitige Solidarität ist keine Solidarität. 

Vor kurzem hatten Sie in einer Talkshow dafür plädiert, ideologisch entkernte Begriffe wieder zurückzugewinnen. Wie könnte das in Bezug auf den Solidaritätsbegriff ausschauen? 

Beim Solidaritätsbegriff bin ich mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob wir den wieder zurückgewinnen können. Es könnte sein, dass er inzwischen wirklich verbrannt ist. Wobei ich eigentlich glaube, dass dies noch nicht der Fall ist. Man darf ihn natürlich jetzt nicht noch weiter strapazieren. Damit er nicht mehr missbraucht werden kann, müssen jetzt ganz klar in der Öffentlichkeit Diskussionen darüber geführt werden, dass und wie er zweckentfremdet wurde. Aber daran haben natürlich diejenigen, die den Begriff die ganze Zeit instrumentalisiert haben und ihn weiterhin instrumentalisieren, null Interesse. Solange sie in ihren Positionen sind, wird es deshalb nicht passieren.

Aus deren Sicht funktioniert der Begriff ja auch nach wie vor, um ihre Interessen durchzusetzen. Die weitere instrumentalisierende Verwendung des Begriffs ist wohl vor allem unter einer linksgerichteten Regierung vorprogrammiert. Man könnte an Stelle des Solidaritätsbegriffs natürlich den Begriff „Gemeinwohlorientierung“ verwenden. Aber selbstverständlich könnte auch dieser Begriff wieder zweckentfremdet werden. 

Das Gespräch führte Pat Christ.

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