Turbulente Sitzung im Bundestag vor Sommerpause  - Merz’ Wutrede provoziert die Ampel

Unionsfraktionschef Friedrich Merz wirft der Ampel vor, den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Sie wollten der Republik Demokratie beibringen. Doch nun attestiert ihr das Bundesverfassungsgericht Respektlosigkeit vor der wichtigsten demokratischen Institution des Landes. Ob dieser Wahrheit rasten einige aus.

Standing Ovations für Friedrich Merz nach dessen Wutrede /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Die Nerven liegen blank. Die letzte Bundestagssitzung vor der Sommerpause hat vor Augen geführt, wie urlaubsreif die Parlamentarier sind, vor allem die der Ampel. Der Gipfel der Eskalation war der Ordnungsruf von Parlamentspräsidentin Bärbel Bas gegen ihren Parteifreund, den SPD-Abgeordneten Michael Schrodi. Mehr noch: Nach dessen Ausraster gegenüber dem Präsidium und Oppositions-Abgeordneten verhängte Bas ein Ordnungsgeld von 1000 Euro gegen Schrodi, was als Strafmaßnahme im Bundestag äußerst selten vorkommt.

Ein Ordnungsgeld kann laut Geschäftsordnung verhängt werden, wenn die Würde des Bundestages bei einer Sitzung in „nicht nur geringfügigem“ Maße verletzt wird. Schrodi hatte unter anderem durch den Bundestag gerufen – und dies später im Interview wiederholt –: „Gemeinsam mit Faschisten einen solchen Popanz zu machen, ist inakzeptabel.“ Hintergrund war ein sogenannter Hammelsprung, den die Opposition erzwungen hatte, um einen Antrag auf Einbestellung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zur Abstimmung zu bringen. Dies empfand Schrodi als unwürdig. 

Wutrede von Friedrich Merz

Unwürdig war jedoch das ganze Gebaren der Ampel. CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz brachte das in seiner Wutrede zum Ausdruck. In ihrem Koalitionsvertrag habe die Ampel eine Stärkung des Parlaments angekündigt, das Ergebnis sei, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Woche die Abstimmung zum Heizungsgesetz gekippt hat. Die Regierungsfraktionen hatten nach Meinung der Karlsruher Richter die Beratungsrechte des Parlaments verletzt. Fristverkürzungen gehörten zur Tagesordnung des Parlaments, so Merz, aber die Ampel habe dies überreizt. Das habe sie nun aus Karlsruhe bestätigt bekommen. 

Till Steffen von den Grünen hielt dagegen. „Es gibt ja Gründe, warum Gesetze manchmal schneller gehen müssen.“ In der letzten Sitzungsperiode des Bundestags sei das wegen der Pandemie öfter geschehen. Er plädierte auf Selbstbewusstsein gegenüber dem Bundesverfassungsgericht. Der Bundestag solle selbst ausreichende Fristen gewährleisten. Da klingt schon fast nach Ignoranz gegenüber den Verfassungshütern. Eine Hybris der Ampel-Regierung gegenüber den anderen Verfassungsinstitutionen rächt sich aber offenbar, wie man diese Woche gesehen hat. Und wie die Grünen auch an sinkender Zustimmung sehen können. 

 

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Mehr Respekt, das war der Slogan von Bundeskanzler Olaf Scholz im Wahlkampf, Merz listete nun auf, wie respektlos die Regierung mit dem Parlament als Hort der Demokratie umgehe. Dazu gehöre auch die gravierende Änderung des Wahlrechts mit einfacher Mehrheit, so etwas habe es in der Geschichte der Republik noch nicht gegeben. Merz sagte, SPD, Grüne und FDP hätten seit der Regierungsübernahme das Parlament zu einem „Ort der Debattenverweigerung und zu einem Ort des Durchpeitschens von Gesetzen“ gemacht. Es sei Vertrauen in den Bundestag verloren gegangen. 

Neues demokratisches Miteinander lernen

Auch Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte, die Abgeordneten seien keine Komparsen. Und die AfD schloss sich an und beklagte mangelnde demokratische Umgangsformen, weil das Parlament ihr etwa keine Vize-Präsidentenposten zubillige. Die Opposition stieß also gestern zwar nicht gemeinsam, aber doch nebeneinander ins gleiche Horn. Auch das ein Warnschuss für die Ampel-Fraktionen. 

Solche selbstreferentiellen Meta-Diskussionen braucht eigentlich keiner. Das Parlament sollte in der Sache streiten und nicht über Verfahren, das versteht sonst irgendwann niemand mehr. Aber Merz hat diesmal recht, wenn er fordert, über die Sommerpause müssten alle in sich gehen und überlegen, wie ein anständiges und würdiges Miteinander wieder in den Bundestag einziehen könne. Die wüsten und teilweise unwürdigen Zwischenrufe von SPD, Grünen und FDP während seiner Rede belegen doch offenkundig nur, dass der Hund bellt, der sich getroffen fühlt. Selbst als Merz auch von Selbstkritik sprach, wollte der Tumult nicht enden. Seine eigene Fraktion dankte ihm mit Standing Ovations für die kämpferische Rede zur politischen Halbzeitpause.  

Zuviel Moral, zu wenig sachliche Debatte

Tatsächlich trifft das Bundesverfassungsgerichtsurteil die Ampel ins Mark. Diejenigen, die vom hohen Ross mit einem mit Millionen Euro ausgestatteten „Demokratie-Fördergesetz“ das Land in Sachen Demokratie belehren wollen, bekommen nun verfassungswidriges Gebaren attestiert. Es sind vor allem immer wieder Sozialdemokraten und Grüne, die den politischen Diskurs mit moralischen Maßstäben bewerten, anstatt in der Sache zu streiten. Das schadet dem Ruf der demokratischen Institutionen und das schadet dem politischen Klima in einer offenen Gesellschaft. Diesmal hat sogar Karlsruhe der Brechstangen-Politik ein „Halt“ entgegengesetzt. Eigentlich fragt man sich, warum nicht auch das Bundesverfassungsgericht ein Ordnungsgeld gegen die Mehrheitsfraktionen im Bundestag verhängen kann, schließlich haben sie die Rechte des Hohen Hauses „in nicht nur geringfügigem Maße“ verletzt. Und sie sollten sich bessern!

In der Demokratie ist es Gift, wenn die politische Landkarte nur in gut und böse unterteilt wird und die eine Seite sich deshalb über die andere erheben will. Diese Attitüde haben Linke und Rechte in ihren zugespitzten Ausprägungen oft gemeinsam. Merz spielt nicht mit, greift die Ampel nicht nur an, sondern bietet auch Zusammenarbeit an. Das hat in der gestrigen Bundestagssitzung offenbar einige im Regierungslager am meisten geärgert. Das passte nicht in ihr Feindbild. Merz’ Mitte-Kurs wird auch in den eigenen Reihen nicht allen gefallen, aber es wird sich als eine Geste demokratischer Stärke und als eigene Stärke erweisen. 

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