Silvesterkrawalle in Berlin und anderen deutschen Städten - Die Folgen einer jahrzehntelangen verfehlten Integrationspolitik

In der Silvesternacht kam es in Berlin und anderen deutschen Städten zu massiven Ausschreitungen und zu brutalen Angriffen auf Einsatzkräfte. Wie soll der deutsche Rechtsstaat darauf reagieren? Der Strafrechtler Holm Putzke gibt Antworten – und sagt, warum man die Probleme jetzt nicht bei den Richtern und den Staatsanwälten abladen sollte.

In Berlin Neukölln steht das Wrack des Busses, der in der Silvesternacht 2022 ausgebrannt ist / dpa
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Autoreninfo

Prof. Dr. Holm Putzke ist Professor für Strafrecht an der Universität Passau sowie außerplanmäßiger Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht Wiesbaden. Zudem ist er bundesweit als Strafverteidiger tätig.

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Wer zu Silvester vor allem in Großstädten, etwa in Hamburg, Frankfurt am Main, Berlin oder im Ruhrgebiet, auf zentralen Straßen und Plätzen unterwegs ist, weiß in der Regel, dass dort alles andere als normale Zustände herrschen. Die von der Masse der Menschen gezündete Pyrotechnik verursacht zum einen ohrenbetäubenden Lärm, was nicht nur Wild- und Haustiere massiv verängstigt und stresst. Es ist zudem oftmals auch gar nicht mehr kalkulierbar, wo genau Böller explodieren, die teilweise wild umhergeworfen werden.

Ohne jemals einen Krieg aus nächster Nähe erlebt zu haben und ohne mit einer solchen Beschreibung der echten Situation gerecht zu werden, sprechen manche gar von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“. Illegales Feuerwerk, relativ leicht zu beschaffen aus Tschechien oder Polen, sowie eingesetzte Schreckschusswaffen mögen diesen Eindruck verstärken. Wer sich in Kenntnis silvesterüblicher Gefahren freiwillig an solche Hotspots begibt und verletzt wird, ist freilich ein Stück weit selber schuld.

Gezielte Angriffe auf Einsatzkräfte

Damit nicht das Geringste gemein haben die aktuellen Vorkommnisse, über die seit dieser Silvesternacht überall berichtet und diskutiert wird. Wer das Internet und die Medien durchforstet, stößt schnell auf verstörende Videos, an deren Authentizität kaum Zweifel bestehen. Hinzu kommen Augenzeugenberichte von Einsatzkräften der Feuerwehr, Polizei und den medizinischen Rettungsdiensten. Danach wurden Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter mit Böllern und Raketen beschossen, also gezielt angegriffen, teilweise von Gruppen und aus Gruppen heraus. Manche Einsatzkräfte sprachen gar von einer Art Hinterhalt, in den sie nach einem Notruf gelockt wurden, und vom Einsatz von Eisenstangen.

Abstrakt ist die Rechtslage klar: Wer etwa Polizisten oder Hilfeleistende der Feuerwehr oder eines Rettungsdienstes bei einer Diensthandlung tätlich angreift, macht sich strafbar nach den §§ 114, 115 in Verbindung mit § 113 des Strafgesetzbuchs (StGB). Weil es sich bei Böllern, Raketen und Eisenstangen um gefährliche Werkzeuge handelt, sieht das Gesetz dafür ausschließlich eine Freiheitsstrafe vor, nämlich von mindestens sechs Monaten und höchstens fünf Jahren. Während ein tätlicher Angriff als unmittelbar auf den Körper zielende feindselige Einwirkung keine Verletzung des Körpers voraussetzt, greift bei einer solchen § 224 StGB, der bei einer sogenannten gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs zwar dieselbe Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten vorsieht, die mögliche Strafe aber ausdehnt bis zu einem Höchstmaß von zehn Jahren. 

Denselben Strafrahmen sieht § 125a StGB vor, wenn sich die Voraussetzungen eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs nachweisen lassen. Dass ein solcher Strafrahmen, und selbst eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, für eine Bestrafung des hier relevanten Verhaltens reicht, dürfte kaum ernsthaft zu bestreiten sein – es sei denn, jedes Maß für eine rationale Strafbemessung ist am Stammtisch verloren gegangen. Wenn jemand sogar, wie in einer Videosequenz zu sehen, ein Geschoss durch die geöffnete Fensterscheibe in ein Polizeiauto abfeuert, wo es im Innenraum explodiert, kann derjenige sich nicht nur gemäß § 305a StGB (Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel) strafbar machen. Vielmehr ist angesichts der enormen Größe der Gefahr für Leib und Leben sogar an ein versuchtes Tötungsdelikt zu denken, wenn der Täter es für möglich hält, dass sich in dem Auto Personen befinden.

Abschreckung anderer Täter

Da das Gesetz für tätliche Angriffe gegen Rettungskräfte gar keine Geldstrafe vorsieht, muten in den letzten Tagen hin und wieder zu vernehmende Forderungen aus der Politik allemal seltsam an, dass „wenn nötig“ oder „gegebenenfalls“ auch Freiheitsstrafen verhängt werden sollen. Sollte damit gemeint sein, dass es sich um unbedingte Freiheitsstrafen handeln müsse, also keine, die zur Bewährung ausgesetzt werden, lässt das Gesetz dies bereits jetzt zu.

Voraussetzung dafür ist nach § 56 Absatz 3 StGB, dass die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten „zur Verteidigung der Rechtsordnung“ geboten ist. Das ist zu bejahen, wenn eine Bewährungsstrafe für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und dies von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte. 

Selbst wenn man im Zustand allgemeiner – und allemal berechtigter – Empörung derzeit geneigt sein könnte, dies pauschal zu bejahen, ist immer eine sorgfältige Gesamtabwägung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände nötig, also eine Einzelfallentscheidung. Als Abwägungsgesichtspunkt, der gegen eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung spricht, kann dabei auch der Gedanke der Generalprävention im Sinne einer Abschreckung anderer Täter einbezogen werden.

Manifeste Sozialisationsdefizite

Eine weitere Herausforderung sind jugendliche Täter, von denen in den Berichten immer wieder die Rede ist. Bei Jugendlichen ist Jugendstrafrecht anwendbar, wonach die allgemeinen Strafrahmen nicht gelten – ein Jugendrichter also etwa auch nicht gebunden ist an eine im Strafgesetzbuch vorgesehene Mindeststrafe. Neben Erziehungsmaßregeln dominieren hier Auflagen und Weisungen, seltener werden Jugendstrafen verhängt. Wegen des dominierenden Erziehungsgedankens gibt es bei Bewährungsentscheidungen, anders als im Erwachsenenstrafrecht, auch kein Korrektiv der „Gebotenheit zur Verteidigung der Rechtsordnung“ – das heißt, eine Bewährungsstrafe darf nicht mit der Begründung versagt werden, andere von ähnlichen Straftaten abschrecken zu wollen.
 

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Dass dies im Jugendstrafrecht so ist, dafür gibt es gute Gründe. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass viele Jugendliche, vor allem Mehrfachtäter und nicht selten Täter aus anderen Kulturkreisen, mit Erziehungsmaßregeln oder einem maximal vierwöchigen Jugendarrest erzieherisch kaum zu erreichen sind. Freilich wäre es trotz des verständlichen Bestrafungsimpulses verfehlt, die jugendstrafrechtlichen Besonderheiten wegen der Silvesterausschreitungen pauschal in Frage zu stellen. Soweit ersichtlich, waren etwa bei den regelmäßigen und nicht weniger massiven Krawallen anlässlich des 1. Mai solche Forderungen auch nicht zu vernehmen – und zwar aus gutem Grund. Manifeste Sozialisationsdefizite lassen sich mit Strafvollzug in der Regel ohnehin nicht beheben – ganz im Gegenteil.

Strafe muss der Tat auf dem Fuße folgen

So klar die Rechtslage auch sein mag: Gelingt es dem Staat nicht, den Tatnachweis zu erbringen, verpuffen die schärfsten Strafdrohungen. Es bleibt abzuwarten, ob es überhaupt gelingt, diejenigen Täter zu identifizieren, die gezielt Geschosse auf Einsatzkräfte abgefeuert und diese angegriffen haben. Hier zeigt sich, wie wichtig es auch zum Schutz der Rettungskräfte ist, sämtliche Einsätze bildlich aufzuzeichnen, etwa durch Kameras, die am Körper getragen werden oder sich im Einsatzfahrzeug befinden. Bei größeren Einsätzen können Drohnen und Videoteams die Beweissicherung und Dokumentation übernehmen.  

Das alles kostet Geld. Vor allem in Berlin scheinen sich Defizite mehr als anderswo bemerkbar zu machen, und Berichte über desolate Ausstattung und Aufstellung der Polizei sind keineswegs beliebtes „Hauptstadt-Bashing“, sondern bittere Realität. Ebenso real ist der Befund, dass dies mit Richtungsentscheidungen zu tun hat, die die Politik trifft – in Berlin seit fast 20 Jahren dominiert von der SPD.

Sind die Böller- und Raketenschützen identifiziert und ist ihr Verhalten strafbar, liegt die Ahndung in der Hand der Justiz. Es ist wiederum nicht übertrieben zu sagen, dass vor allem die Berliner Justiz frappante und manifeste Defizite aufweist. Personalmangel führt nicht selten zu unvertretbar langen Strafverfahren. Vor allem bei Jugendlichen ist es aber erzieherisch von erheblichem Nachteil, wenn die Strafe der Tat nicht auf dem Fuße folgt. In Bundesländern, in denen die Justiz vergleichsweise gut ausgestattet ist, etwa in Bayern, laufen die Dinge anders und deutlich zuverlässiger. 

„Subkulturen der Gescheiterten“

Nicht zu vergessen ist aber auch die Prävention. Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, hat geäußert, dass es einer „bundesweiten Verständigung“ bedürfe, „wie mit solchen Vorfällen umzugehen ist“. Das ist erkennbar der Versuch, von der eigenen Verantwortung abzulenken, bezogen auf Ausstattung der Polizei und Integration. Denn jedenfalls außerhalb des politischen Machtbereichs von Franziska Giffey ist keine Notwendigkeit einer Diskussion darüber zu erkennen, wie mit Straftätern umzugehen ist, die Einsatzkräfte mit Sprengkörpern oder Eisenstangen angreifen. In dieselbe Richtung gehen Forderungen nach einem „Böllerverbot“.

Bei solchen Vorschlägen entsteht leicht der Eindruck, mit mutwillig begonnenen Ersatzdiskussionen ablenken zu wollen von den inzwischen immer deutlicher werdenden Hinweisen auf die Identität der meisten Angreifer: Ein Vertreter der Berliner Feuerwehr, selber mit Migrationshintergrund, worauf hinzuweisen er bei einem Interview für wichtig hielt, sagt: „Das waren junge Heranwachsende, größtenteils mit Migrationshintergrund“ – was der NRW-Innenminister Herbert Reul, vermutlich fachkundig beraten durch die Experten seines Ministeriums, ebenso einschätzt. 

Güner Yasemin Balci, die Integrationsbeauftragte des Berliner Ortsteils Neukölln, einem Brennpunkt der Silvesterausschreitungen, meint in einem Interview hingegen, dass es sich bei den Tätern um „Subkulturen der Gescheiterten“ und „absolute Loser“ handelt und der „kulturelle Hintergrund“ keine Rolle spiele. Angesichts der nicht weniger massiven Krawalle zum 1. Mai oder beim G20-Gipfel in Hamburg, überwiegend angezettelt durch linksradikale „Autonome“, wäre es in der Tat zu kurz gegriffen und inakzeptabel, Angriffe auf Einsatzkräfte allein mit einem migrationskulturellen Hintergrund zu erklären.

Verkannt werden darf aber nicht, dass es Kulturkreise gibt, in denen der Respekt gegenüber dem Staat und seinen Vertretern weniger ausgeprägt ist als anderswo, vielmehr patriarchale Strukturen vorherrschen und die Sozialisation oftmals einhergeht mit einer tiefsitzenden Respektlosigkeit und Verachtung staatlicher Strukturen sowie einer Ablehnung unserer liberal-pluralistischen Gesellschaftsordnung.

Aufklärung versus Rassismus-Vorwurf

Wenn ein Staat Zuwanderung weitgehend unkontrolliert stattfinden lässt, verbunden mit der irrationalen Hoffnung, damit auch die zweifellos dringend benötigten Fachkräfte zu gewinnen, anschließend aber mit Ansage bei der Integration versagt, muss man sich nicht wundern, wenn sich ähnliche Situationen wiederholen. Erinnert sei nur an die massenhaften Straftaten mit sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015 im Bereich von Kölner Hauptbahnhof und Kölner Dom, überwiegend begangen durch Gruppen junger Männer vornehmlich aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum.

Oder an Ausschreitungen und Plünderungen in Stuttgart im Juni 2020, wovon 83 der 106 Tatverdächtigen nach Angaben des Innenministeriums einen gesicherten Migrationshintergrund hatten. Überwiegend einen Migrationshintergrund wiesen auch die Tatverdächtigen auf, denen vorgeworfen wurde, an den Ausschreitungen auf dem Opernplatz in Frankfurt am Main im Juli 2020 beteiligt gewesen zu sein. Solche Ausschreitungen mit Angriffen auf Einsatzkräfte sind keineswegs neue Phänomene.

Der Hinweis auf die genauen Umstände bedeutet keineswegs, alle Menschen über einen Kamm zu scheren. Gewaltbereite Menschen mit Migrationshintergrund sind eine Minderheit. Wer aber bei einer Analyse, die alle Aspekte in den Blick nimmt, also auch kulturelle Sozialisation, reflexhaft einen Rassismus-Vorwurf erhebt, steht in Wahrheit einer ganzheitlichen Problemlösung im Weg. Wer so vorgeht, verhindert eine Diskussion über mögliche Ursachen, die selbstverständlich zu berücksichtigen hat, dass sich Gewalteskalation mitnichten allein mit Migrationshintergründen der Täter erklären lässt, vielmehr auch andere Faktoren eine wesentliche Rolle spielen.

Ghettoisierung ganzer Stadtteile

Dazu gehören auch Fragen, wie mit der zunehmenden Ghettoisierung ganzer Stadtteile umzugehen ist, in denen durch Segregation vermehrt auch Menschen mit hohem Armutsrisiko leben, was wiederum oftmals Menschen mit Migrationshintergrund betrifft. Dass dies alles Konfliktpotential beinhaltet und in Gewaltexzessen münden kann, lässt sich in zahlreichen Metropolen beobachten, etwa in den Randbezirken von Paris, den Banlieues. Nicht zu unterschätzen sind bei bestimmten Gruppen auch Nachahmungseffekte, wie sie wegen der Tendenz zur Heroisierung etwa von der hochgelobten Netflix-Produktion „Athena“ ausgehen können.

Was bleibt unterm Strich? Das Strafgesetzbuch gibt bei Gewaltexzessen auf Einsatzkräfte ausreichend Antworten, um Täter angemessen zu bestrafen. Das Nadelöhr auf dem Weg zu einer gerechten Bestrafung liegt selten bei Richtern, die Recht sprechen, sondern ist meist zu suchen auf der Ebene der Justizverwaltungen und bei der Beweisbeschaffung und -sicherung, also beim Einsatz vor Ort. Wer an dieser Stelle spart, etwa an Ausrüstung oder Personal, begünstigt solche Angriffe, weil die Antwort der Justiz mangels schlechter Beweislage und langer Verfahren notgedrungen nicht deutlich ausfallen kann, was Täter eher bestärkt. Mit Bestrafung allein ist es aber nicht getan: Zu einer ganzheitlichen Ursachenbekämpfung gehört eben auch das Eingeständnis einer jahrzehntelangen verfehlten Einwanderungs- und Integrationspolitik.

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