Selbstbestimmungsgesetz und Katholische Kirche - Eltern unter Verdacht

Die Katholische Kirche streitet über das Selbstbestimmungsgesetz. Während die Bischöfe vor Risiken warnen, verlangt das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) eine „Nachschärfung“ im Sinne einer weiteren Liberalisierung. Und für die katholische Jugend sind die Eltern das Problem.

Eine Regenbogenfahne weht vor einer Kirche: Die Bischöfe wollen Diskriminierung abbauen, sehen aber auch Risiken / dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Als Mann und Frau schuf Gott den Menschen, heißt es in der Bibel. Dass es ganz so einfach nicht immer ist und manches im Konkreten der Auslegung bedarf, das wissen gerade auch Christen sehr gut. Doch nun geht auch beim Geschlecht der Streit mitten durch die Katholische Kirche. Auslöser ist das Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung. Inzwischen haben sich 54 Vereine, Verbände und Organisationen zu dem vorliegenden Gesetzesentwurf schriftlich geäußert, vom Deutschen Gewerkschaftsbund bis zu Interessenverbänden der Trans-Community. Die Katholische Kirche konnte sich auf kein gemeinsames Votum einigen.

Die Deutschen Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) haben jeweils eigene Stellungnahmen bei Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hinterlegt. Und damit nicht genug. Der Bund der Katholischen Jugend Deutschland (BDKJ) hat ein drittes Statement abgegeben, offenbar waren die anderen beiden noch nicht weitgehend genug. Vonseiten der Evangelischen Kirche gibt es nur ein zustimmendes Papier, abgegeben von der Diakonie Deutschland.

Risiken beim Geschlechterwechsel

Das Selbstbestimmungsgesetz soll das Transsexuellengesetz ablösen, damit es erheblich leichter wird, seinen Geschlechtseintrag im Personenstandsregister zu ändern. Markigen Widerstand gibt es von der Katholischen Kirche nicht, aber deutliche Unterschiede schon. Von kritischer Kommentierung bis zu vehementer Zustimmung zum Ampel-Vorhaben reicht die Bandbreite mindestens. Die Ablösung des alten Gesetzes sei insofern richtig, als „Nöte und Kritik“ betroffener Personen aufgenommen würden. Auch als Kirche wolle man die „Belange von inter- und transsexuellen Menschen ernst nehmen“, heißt es in dem Papier der Bischöfe.

Doch die katholischen Oberhirten bringen auch ihre Skepsis zur Sprache. Das Kommissariat der deutschen Bischöfe in Berlin, der Thinktank des deutschen Katholizismus bei der Regierung, warnt klar vor einer „vorschnellen Änderung“ des Geschlechtseintrags, dieser solle vermieden werden, schließlich seien auch Problematiken bekannt. „Risiken sehen wir hier aufgrund der derzeitigen Forschungslage zur Entwicklung des individuellen Geschlechtsempfindens, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.“ Deswegen sei die vorgesehene Karenzzeit bis zum Inkrafttreten einer Änderung auch richtig, so die katholischen Bischöfe. 

Das ZdK äußert sich hingegen in ganz anderer Tonart, es „begrüßt ausdrücklich“ den vorliegenden Entwurf. Im neuen Gesetz sehen die organisierten Laien einen „politischen und juristischen Paradigmenwechsel in Bezug auf die Ermöglichung der Selbstbestimmung und Wahrung der körperlichen und seelischen Integrität von allen Menschen“. Der deutsche Laienkatholizismus warnt nicht explizit vor Gefahren, sondern fordert eine „Nachschärfung“. Im Entwurf gebe es weiterhin „unnötige Regelungen“, die auf Vorurteilen basierten, nötig sei aber, Diskriminierung weiter abzubauen. Dazu seien Beratungsangebote und Anlaufstellen erforderlich. Die dreimonatige Frist bis zum Wirksamwerden eines neuen Geschlechtseintrags etwa sei falsch und Ausdruck von Vorurteilen, so das ZdK.  

„Diskriminierenden Gutachterpflicht“

Besonders beim Schutz von Kindern gehen die Meinungen innerhalb der institutionalisierten Kirche weit auseinander. Die Bischöfe weisen in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass gerade bei pubertierenden Jugendlichen ein Unbehagen an einer Inkongruenz zwischen biologischem und empfundenem Geschlecht auftreten könne, doch sich dieses in rund 80 Prozent der Fälle wieder auflöse. Zugleich gebe es eine „Unzufriedenheit mit bestimmten Rollenstereotypen“, zitieren sie den Sozialethiker Andreas Lob-Hüdepohl. Das alles müsse zu einer umsichtigen Begleitung und Beratung führen, so die Bischöfe, übereilte Entscheidungen seien gefährlich und zu vermeiden. 

Solche Sorgen treiben den organisierten Laienkatholizismus offenbar weniger oder gar nicht um. Geschlechtsdysphorie wird in der Stellungnahme weitgehend nicht als medizinisches oder psychologisches Phänomen, sondern allein als Problem der Selbstbestimmung beschrieben. Begrüßt wird, dass Familiengerichte bei Minderjährigen die fehlende Elternzustimmung ersetzen können. Kritisch sei jedoch, so heißt es in der Stellungnahme, dass hier Sachverständige hinzugezogen werden dürften. Dies sei „verheerend“, denn die „besonders vulnerable Gruppe“ der Minderjährigen, die hier gegen das Elternvotum vorgehe, dürfte nicht einer „diskriminierenden Gutachterpflicht“ ausgesetzt werden.  

 

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Noch deutlicher wird da der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), der in seiner eigenen Stellungnahme die Eltern schon fast unter Generalverdacht stellt. Minderjährige ab 14 Jahren sollten nach Meinung der organisierten Verbandsjungend ihr Geschlecht „elternunabhängig“ ändern können. Die Zustimmungspflicht der Eltern solle gestrichen werden. „Sorgeberechtigte dürfen Kinder und Jugendliche nicht fremdbestimmt an der Bestimmung ihrer Geschlechtsidentität hindern.“ Jeglicher Hinweis auf Entwicklungsstand und Schutzbedürftigkeit oder Gefahren bei minderjährigen Kindern fehlt. Vielmehr seien „Kinder und Jugendliche Expert*innen ihrer Selbst“ und unabhängig von ihrem Alter in der Lage, für sich selbst zu entscheiden.

Geschlechtswechsel bei Kindern

Der BDKJ geht noch weiter und kritisiert nicht nur das vorliegende Gesetz in Bezug auf die Minderjährigen ab 14 Jahren, sondern will auch Hindernisse des Geschlechtswechsels bei jüngeren Kindern abbauen. Die Ampel-Vorlage sieht vor, dass bei Unter-14-Jährigen ein Wechsel des Personenstandseintrags nur durch die Eltern erklärt werden kann. Das sieht der Jugendverband kritisch. Er fordert, dass die Kinder „mindestens angehört“ werden müssen. Auch hier machen die Berufsjugendlichen noch mal ihren grundsätzlichen Verdacht gegenüber den Eltern deutlich. „Dass gesetzliche Vertreter*innen aufgrund ihres Status im Sinne des Wohles des Kindes handeln und dessen Willen angemessen berücksichtigen, wie in der Begründung heißt, kann nicht vorausgesetzt werden.“

Die Debatte über das Selbstbestimmungsgesetz und mögliche Gefahren des Geschlechterwechsels geht dabei mitten durch die Katholische Kirche und nicht nur entlang bekannter Frontverläufe. Die Bischöfe konnten zur Unterstützung ihrer Stellungname mehrere katholische Verbände und Institutionen gewinnen. Der Meinung der deutschen Bischöfe haben sich der Deutsche Caritasverband, der Sozialdienst katholischer Frauen und der Familienbund der Katholiken ausdrücklich angeschlossen.

Das heißt auch, dass die Integrationskraft des ZdK hier nachgelassen hat, zumal auf der anderen Seite der BDKJ sich auf eigene Wege begeben hat. Insgesamt spricht der politische Katholizismus längst nicht mehr mit einer Stimme, schlimmer noch, man steht sich in unterschiedlichen Lagern unfreundlich gegenüber. Auffallend ist, dass in den Stellungnahmen mögliche gesellschaftliche Risiken, etwa was die Rechte von Nicht-Transmenschen angeht und Sorgen, die von Feministinnen geäußert werden, nicht wirklich zur Sprache kommen. Inwieweit die Stellungnahmen repräsentativ für die Meinung oder Meinungen der Katholiken im Land sind, ist zudem ungewiss. In der Unionsfraktion heißt es unterdessen, man vermisse kirchliche Unterstützung bei der Ablehnung oder zumindest Kritik des Selbstbestimmungsgesetzes.  

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