Das Schweigen der Kanzlerin zum Islamismus - Warum sich Merkel ein Beispiel an Macron nehmen sollte

Bemerkenswert, wie viel in Deutschland über das Attentat von Nizza und wie wenig über das Attentat von Dresden gesprochen wird. Zwar scheint die politische Linke beim Thema Islamismus langsam aufzuwachen, auf eine substanzielle Aussage Merkels wartet man aber vergebens.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat dem Islamismus den Kampf angesagt / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Eine Woche ist es jetzt her, dass Thomas Oppermann gestorben ist. Und ungefähr zwei Jahre her ist ein Treffen mit ihm, das mir in bleibender Erinnerung ist. Wir hatten das Interview beendet, da wandte sich der SPD-Politiker an mich und sagte: „Das ist ja nicht die übliche Rollenverteilung zwischen Politiker und Journalist, aber wir kennen uns nun schon so lange und gut, daher: Darf ich Ihnen auch mal eine Frage stellen?“

Oppermann war nicht nur ein humorvoller und kluger, sondern auch ausgesprochen höflicher Mensch. „Natürlich“, entgegnete ich. Er habe ja nun verfolgt, wie ich in den vergangenen Jahren für meine Kommentare zur Migrationspolitik und zu den problematischen Aspekten des Islam, auch und nicht zuletzt von Kollegen, gebrandmarkt und in eine Ecke gestellt worden sei, in der er mich überhaupt nicht sehe. „Wie gehen Sie denn damit um?“, fragte Oppermann. 

„Wenn ich das so aussprechen würde, wäre ich erledigt“

Als ich ihm erwiderte, dass das natürlich nicht schön gewesen sei, aber ich meine Einschätzungen nicht vom Beifall, sondern nur von meinem (im Idealfall) unverstellten Blick auf die Dinge abhängig machen könne, machte Oppermann eine Pause und sagt: „Ich sehe das alles ganz genauso wie Sie. Leute wie Sigmar Gabriel und viele andere in der SPD übrigens auch. Aber wenn ich das so aussprechen würde, wäre ich erledigt.“

So gesehen ist die SPD in den vergangenen Jahren zwar keinen Millimeter in den Umfragen weiter nach oben gekommen. Aber in der Erkenntnis vielleicht doch. Und in dem Mut, diese Erkenntnis auch laut auszusprechen. So tat es jedenfalls der scheidende Juso-Chef und Vorsitzenden-Macher Kevin Kühnert in einem Beitrag für den Spiegel nach der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty in Frankreich. Der Islamismus sei der „wohl blindeste Fleck“ der politischen Linken, schrieb er, und forderte, die Linke müsse in dieser Sache ihr „unangenehmes Schweigen beenden“. Anflüge von Nachdenklichkeit waren auch bei bisher treuen und unbeirrbaren Mitgliedern der Gemeinschaft der Guten und Wohlgesinnten zu beobachten, Spurenelemente davon fanden sich sogar in der sonst diesbezüglich hermetischen Taz
 
Man sollte sich jeden Spott dazu verkneifen, so sehr es auch reizt. Sondern dieses Aufbrechen des ideologischen Packeises vorbehaltlos begrüßen und denen, die sich trauen, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, danken, danken, und nochmal danken. Es gehört Größe dazu, Irrtümer einzugestehen und seine Meinung zu ändern. Viel mehr Größe, als sich beharrlich gegen das Offensichtliche zu stemmen. Um wie viel einfacher war es, sich in einem letztlich eitlen, selbstverliebten und folgenlosen „Je suis Charlie“ zu ergehen und sich auf der sicheren, unangreifbaren und behaglichen Seite zu wissen. 

Frankreich legt vor

Kurze Zeit nach dem Lehrer, dessen Unterricht zur Meinungsfreiheit am Beispiel der Mohammed-Karikaturen zu seinem Todesurteil wurde, sind in Frankreich weitere Menschen bestialisch von Islamisten ermordet worden. Eine Frau wurde, wie Paty, in einer Kirche in Nizza beim Beten geköpft. 

Der Präsident Frankreichs hat in der Folge der Attentate eben jenen Mut bewiesen, den hierzulande auch manchen angehuscht hat. Er hat in einer Rede das Recht zur Blasphemie zum Grundrecht des säkularen Frankreich erklärt - und dem Islamismus den Kampf. Sehr genau wählte Macron seine Worte und unterschied zwischen Islam und Islamismus.

Umso interessanter und sprechender war die postwendende und empörte Reaktion des türkischen Staatspräsidenten Erdogan. Er giftete gegen Macron und warf ihm vor, islamophob zu sein. Das ist eine selbstentlarvende Einlassung. Denn wenn Erdogan sich über Macrons Attacken gegen den Islamismus erregt und ihm Islamophobie vorwirft, dann gehört zu Erdogans Islam das, was sich da auf den Straßen und in den Kirchen Frankreichs abgespielt hat. Anders ist eine solche Reaktion logisch nicht zu interpretieren. 

Deutschland bleibt stehen

Dazu passt leider auch eine Reaktion hierzulande. Oder eben: keine Reaktion. „Wie wäre es“, twitterte Sawsan Chebli ebenfalls in erfreulicher Abgrenzung und Empörung über die islamistischen Morde in Frankreich, „Wie wäre es, wenn es morgen in allen Moscheen in Deutschland eine lautstarke Verurteilung, Distanzierung und ein Friedensgebet für die Opfer von islamistischem Terror gibt? Phrasen wie: ‚Das hat nichts mit uns zu tun‘ müssen endlich aufhören.“ Das wäre schön! kann man Chebli nur zurufen. Großartig wäre das. Aber es ist nicht passiert. Stattdessen hallten die Jubelrufe „Allahu akbar“ durch Neukölln in Berlin. 

Macron hat mit seiner Kampfansage klargemacht: Dieser gewalttätige Islam hat in unserem Land nichts verloren. Wir werden ihn bekämpfen. Und Erdogans empörte Reaktion erweist nur, was man auch nachlesen kann: Dass die Grundlagen dieser Religion, namentlich der Koran, die Hadithen und die Scharia zu einer gewalttätigen Auslegung nachgerade einladen. Man muss kein haltloser junger Mann oder kein hassverzerrter Salafist sein, um das dort herauszulesen. Diese Religion hat als einzige der großen Weltreligionen bis heute ein massives Gewaltproblem. Sie ist seit Mohammeds Zeiten zumeist expansiver, aggressiver und intoleranter gewesen als alle anderen Weltreligionen.

Das muss nicht so bleiben. Allen mutigen muslimischen Reformern und konstruktiven Kritikern, in diesem Land seien vor allem Seyran Ates, Hamed Abdel Samad, Ahmad Mansour und Necla Kelek genannt, kann man bei ihrer Arbeit, die sie teilweise unter Lebensgefahr und permanentem Polizeischutz verrichten, daher nur jeden Erfolg wünschen. (Einer, der auch einmal auf eine Wiedergeburt des Islam aus dem Geiste Europas hoffte, Bassam Tibi, hat die Hoffnung auf diesen von ihm so benannten „Euro-Islam“ mittlerweile allerdings aufgegeben.)

„Der Islam gehört zu Deutschland“

Vor kurzem feierte ein Satz des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff zehnjähriges Jubiläum. Es war und ist ein geschichtsvergessener Satz. Denn es ist eine Verkennung der Geschichte zu behaupten, der Islam gehöre zu Deutschland. Natürlich leben hier inzwischen viele Millionen (in ihrer großen Mehrheit friedliebende) Muslime. Er ist also da, ist Bestandteil Deutschlands. Aber konstitutiv ist diese Religion weder für Deutschland noch für diesen Kontinent. Sie hat keine Wurzel, die hineinragte in die Ursprünge der Geistes- und Ideengeschichte dieses Kontinents.

Der Islam kam im Zuge seiner geschwinden Expansion in den vergangenen 1400 Jahren immer wieder in Berührung mit dem Westen, also Europa. Es kam auch zu der ein oder anderen intellektuell befruchtenden Begegnung. Dafür stehen die Namen Ibn Rush und Ibn Sina. Es gab aber auch immer wieder schwere Abwehrreflexe an den beiden Nahtstellen, der iberischen Halbinsel und dem Balkan, dafür stehen die Städtenamen Poitiers und Wien, die Jahreszahlen 732 und 1683 sowie die Namen Karl Martell und der des polnischen Königs Johann III. Sobieski.

Es ist jenseits der fehlenden historischen Grundlage zugleich politisch ein nachvollziehbarer Reflex, mit einem integrierenden Satz, wie jenem von Christian Wulff, Annäherung zu befördern. Aber nach zehn Jahren zeigt sich: Diese Handreichung hat bei manchen gar nichts befördert. Im Gegenteil. Und deshalb sollte man zehn Jahre später in aller Klarheit sagen: Nicht jeder Islam gehört zu Deutschland und Europa. 

Frankreich ist uns näher als es manchem lieb wäre

Macron hat dazu nun das Wesentliche gesagt. Hierzulande aber herrscht nicht nur in den Moscheen Schweigen. Der offensichtliche Täter von Nizza (hier von mutmaßlich zu sprechen ist albern) kam diesen Sommer über die Flüchtlingsroute von Tunesien über Lampedusa nach Frankreich. Ein ähnliches Tätermuster liegt auch bei dem Mörder von Dresden zugrunde, der dort zwischen dem Attentat auf Samuel Paty und jenem in Nizza, einen Passanten erstochen und einen zweiten schwer verletzt hatte, offenbar,  weil der Täter die beiden als homosexuelles Paar wahrgenommen hat.  

Bemerkenswert, dass sich die Blicke immer sogleich auf das inzwischen mehrfach betroffene Nizza richten, aber über Dresden mehr oder weniger hinweggehen. Dabei gibt es auch in Deutschland viele Nizzas, viele Dresdens. 

Wir sind Frankreich zehn Jahre hinterher

Die Hinterbliebenen der Opfer kämpfen auch hierzulande bis heute darum, in ein normales Leben zurückzufinden. Ich stehe in Kontakt zu solchen Menschen. Sie sind verzweifelt und verstehen diese Grabesruhe nicht. Es ist unanständig von der deutschen Bundeskanzlerin, bis heute jedes direkte Wort an sie, jedes direkte Wort zu ihrer politischen Verantwortung schuldig geblieben zu sein. Und es ist fahrlässig, nach all den Attentaten und Opfern nicht längst gezielt gegen Hassprediger in den Moscheen und deren Fernsteuerung aus Saudi-Arabien und der Türkei vorzugehen. Mit systematischer Überwachung und aller Härte bei Fehlverhalten. 

Ahmad Mansour hat vor kurzem gesagt, dass Deutschland in dieser unseligen Entwicklung Frankreich zehn Jahre hinterher sei. In zehn Jahren sei also das hierzulande Realität, was in Frankreich heute schon zu sehen ist. Muss es denn wirklich so sein, dass sich die Sonthofen-Sentenz von Franz Josef Strauß abermals bewahrheitet, nach der alles erst noch schlimmer werden müsse, bevor es besser werden kann? 

Es wäre schön, wenn dem nicht so wäre. Einlassungen wie jene von Kevin Kühnert lassen da hoffen. Das Schweigen der Kanzlerin leider nicht. 
 

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