800.000 Euro Nebeneinkünfte - Wagenknecht hat viel Geld verdient. Na und?

Sahra Wagenknecht hat Anfang dieses Jahres knapp 800.000 Euro an Nebeneinkünften gemeldet - was medial hohe Wellen geschlagen hat. Doch nichts ist verwerflich daran, erfolgreiche Bücher zu schreiben und pointierte Reden zu halten. Der öffentliche Spott zeugt zweifellos auch von Neid.

Sahra Wagenknecht / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Sahra Wagenknecht, Ikone aller Putin-Versteher, kämpft wortgewandt gegen den Kapitalismus – und verdient prächtig dabei. Wahrscheinlich mehr als jeder andere hautberufliche Klassenkämpfer hierzulande. Zwischen 2021 und Anfang dieses Jahres hat sie der Bundestagsverwaltung insgesamt 792.961,43 Euro an Nebeneinkünften gemeldet. Und das zusätzlich zu ihren Abgeordnetendiäten von mehr als 120.000 Euro sowie der steuerfreien Aufwandsentschädigung von rund 57.000 Euro im Jahr.  

Die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte der Großverdienerin, der ihre eigene Partei nicht mehr links genug ist, hat medial einige Wellen geschlagen. „Öffentlich gibt sie sich als stramme linke Anti-Kapitalistin, nebenbei macht sie ein Vermögen“, spottete BILD auf der ersten Seite. Der „Tagesspiegel“ echauffierte sich über so viel Geschäftstüchtigkeit: „Vorträge bei Vermögensverwaltern: Wagenknechts lukratives Geschäft mit den Superreichen“. Die „taz“ hingegen bescheinigt Wagenknecht kurz und bündig: „Kapitalismus kapiert.“ 

Versteht etwas von Angebot und Nachfrage

Ob man unsere Wirtschaftsordnung, in die der Staat vielfach regulierend eingreift und über mehr als 50 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung verfügt, als kapitalistisch bezeichnet oder als sozial abgefederte Marktwirtschaft, ist in diesem Zusammenhang zweitrangig. Wagenknechts Nebeneinnahmen zeigen, dass die Frau etwas von Angebot und Nachfrage versteht. Sie hat die knapp 800.000 Euro Zusatzeinkommen ja nicht ergaunert oder als Subventionen erschlichen: Sie hat sie verdient – und zwar am Markt und im Wettbewerb mit anderen Autoren und Rednern. 

Allerdings täuschen die angegeben Summen insofern, als es sich um „Bruttobeträge einschließlich Entschädigungs-, Ausgleichs- und Sachleistungen“ handelt. Mit anderen Worten: Es bleibt bei den von Abgeordneten gemeldeten Zahlen offen, ob ein Honorar auch Reisekosten enthält. Auch kann ein Abgeordneter beispielsweise nicht seine Aufwendungen für Recherchen abziehen. Die bei Wagenknecht wie bei allen anderen Abgeordneten veröffentlichten Nebeneinkünfte dürfen also nicht mit Gewinnen verwechselt werden. Das Parlament macht seine nebenbei tätigen Mitglieder also auf dem Papier „reicher“, als sie sind.  

 

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Wagenknecht jedenfalls kassierte allein 720.868,99 Euro für ihren Bestseller „Die Selbstgerechten“, in dem sie mit sogenannten Lifestyle-Linken und Teilen der eigenen Partei abrechnet. Da hat sie offenbar einen Nerv getroffen, bis weit in das konservative Bürgertum hinein, dem linkes Gutmenschentum ebenso auf den Geist geht wie Wagenknecht. Die hätte es lieber, wenn ihre Partei (noch) mehr über Umverteilung spräche und weniger über Identitätspolitik und obendrein für eine strikte Begrenzung der Zuwanderung einträte. Über ihre verständnisvolle Sicht auf Putins Überfall auf die Ukraine ist in dem Buch – Erscheinungsjahr 2021 – noch nichts zu lesen. 

Halten wir also fest: Eine Politikerin, die zweifellos gut formulieren kann, hat einen Bestseller geschrieben und daran prächtig verdient. Da kann man nur sagen: Na und? Es müssen ja nicht alle Politiker so schlechte Bücher zusammenkupfern wie weiland die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. In der medialen Empörung über Wagenknechts „Vermögensaufbau“ schwingt wohl auch Neid mit. Von ihren journalistischen und politischen Kritikern dürften die meisten zu solchen Erfolgen auf dem Buchmarkt nicht in der Lage sein. 

„Geld von der Schweizer Finanzindustrie“

Die Links-Ikone hat als Rednerin ebenfalls Kasse gemacht. Insgesamt 48.300 Euro erhielt Wagenknecht für fünf Vorträge, etwa beim Schweizer Vermögensverwalter „Swiss Rock Asset Management“ oder bei einem Unternehmertag in einem „exklusiven Resort am Tegernsee“. Was diese „Kapitalisten“ bewogen haben mag, sich von der Linken-Politiker erklären zu lassen, was wirtschaftlich und sozial so alles falsch läuft, wissen nur diese selbst. Wahrscheinlich wollten sie ihren Kunden mit Wagenknecht eben einen Star bieten und sich selbst etwas im Glanz der TV-Celebrity sonnen. Das erinnert an die 2000er-Jahre, als Wagenknechts heutiger Ehemann Oskar Lafontaine die SPD im Krach mit Gerhard Schröder verlassen hatte und sich als sehr hoch honorierter Redner betätigte. Selbst Volksbank-Vorstände, die ihr ganzes Leben nie etwas anderes als CDU oder FDP gewählt hatten, präsentierten bei Kundenveranstaltungen stolz diesen „Bürgerschreck“. 

Jedenfalls macht Wagenknecht nichts anderes, als den Gesetzen von Angebot und Nachfrage zu folgen. Für Honorare zwischen 4000 und 10.000 Euro erklärt sie gerne, wie schlecht unsere angeblich neoliberale Welt ist. Linken-Chefin Janine Wissler sieht jedoch ein Problem darin, dass ihre Noch-Genossin „Geld von der Schweizer Finanzindustrie“ nimmt. Dabei unterstellt sie wohl, dass Wagenknechts Argumente so schwach sind, dass sie in Wirtschaftskreisen niemanden auch nur zum Nachdenken bringen kann. Wer sich indes mit Wagenknechts Büchern und Thesen auseinandersetzt, kommt nicht umhin, ihr einen höheren wirtschaftspolitischen Sachverstand zu bescheinigen als dem Gros der Bundestagsabgeordneten – ganz unabhängig von Wagenknechts politischen Schlussfolgerungen.

Im Einklang mit dem Abgeordnetengesetz

Die Tätigkeit Wagenknechts als Autorin und Rednerin geschieht im Einklang mit dem Abgeordnetengesetz, das Nebentätigkeiten grundsätzlich zulässt. Allerdings legt das Gesetz auch fest: „Die Ausübung des Mandats steht im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages.“ Wer Wagenknechts ausgeprägten Erwerbssinn kritisieren will, könnte allenfalls hier ansetzen. Denn die ehemalige Co-Vorsitzende der Linken-Fraktion gilt in den eigenen Reihen nicht gerade als fleißige Abgeordnete. Sie hat es sogar abgelehnt, reguläres Mitglied in einem Ausschuss zu werden, was mit erheblichem Arbeitsaufwand verbunden sein kann. Da hat Wissler einen Punkt, wenn sie sagt, Bundestagsabgeordnete sollten ihre Arbeit im Parlament machen, in Ausschüssen und im Wahlkreis, Linken-Politiker sollten zudem bei Streiks und Protesten präsent sein. „Das muss Priorität haben, das gilt auch für Sahra Wagenknecht.“ 

Ob bei Wagenknecht die lukrativen Geschäfte inzwischen Priorität vor der Abgeordnetentätigkeit haben, können Fraktion und Partei am besten beurteilen. Doch wird Wagenknecht ihren Arbeitsstil sicher nicht mehr ändern, da sie bereits angekündigt hat, 2025 nicht noch einmal für die Linke zu kandidieren. Falls sie eine neue Partei gründen sollte, dürfte ihr viel weniger Zeit für Buchprojekte und Vortragsreisen bleiben. Dann gingen auch die Nebeneinnahmen drastisch zurück. Ob diese Konstellation dem Establishment der Linken dann recht wäre, darf indes bezweifelt werden.  

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