Rückzug von Sahra Wagenknecht - Links erstarrt

Sahra Wagenknecht hat angekündigt, nicht mehr als Fraktionsvorsitzende der Linkspartei zu kandidieren. Zuvor hatte sie sich aus der von ihr selbst gegründeten Bewegung „Aufstehen“ verabschiedet. Richtig in Schwung war die Idee nie gekommen. Das könnte der Partei noch weh tun

Verlässt die eigene Bewegung: Sahra Wagenknecht / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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War's das jetzt? Nach der Ankündigung von Sahra Wagenknecht, nicht mehr als Fraktionsvorsitzende der Linkspartei zu kandidieren und ihrem Rückzug aus dem Vorstand der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“, gilt das ganze Projekt als gescheitert. Zwar bemühte sich Wagenknecht am Sonntag ihren Tags zuvor in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erklärten Schritt in einer an die registrierten Unterstützer gerichteten Erklärung zu relativieren. Doch das klang eher wie ein pflichtschuldiger Versuch der Schadensbegrenzung.

Zumal auch die Begleitumstände ihres Rückzugs Bände sprechen. So erklärte der frühere SPD- und jetzt parteilose Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, der ebenfalls dem erst vor kurzem gebildeten Vorstand angehört, dass man von Wagenknechts Rückzug erst aus der Zeitung erfahren habe. An der Basis mangelt es zwar nicht an trotzigen Durchhalteappellen. Jedoch können auch sie nicht verhehlen, dass die Bewegung sich bereits vor Wagenknechts Rückzug weitgehend unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle befand. 

Nie mehr als ein Anhängsel

Die Gründe für das Scheitern der am 4.September 2018 von großem Medieninteresse begleiteten offiziellen Gründung von „Aufstehen“ sind vielfältig. Das schnelle Wachstum auf bis zu 170.000 Mitglieder und über 100 Ortsgruppen hat die Initiatoren überrascht und schlicht überrollt. Weder gab es transparente, effektive Strukturen, noch identitätsstiftende Kampagnen, die zur Mobilisierung der Anhänger taugten. Die wenigen Versuche, sich mit Kundgebungen und Aktionen zu profilieren, verliefen eher blamabel und hatten keinerlei mobilisierende Wirkung.

Bestenfalls wurde und wird „Aufstehen“ als ein Anhängsel unter vielen bei tatsächlichen Bewegungen wahrgenommen, etwas bei den Protesten gegen die Abholzung des Hambacher Forstes für den Braunkohletagebau oder der in Berlin breit unterstützten Kampagne für die Enteignung großer Immobilienkonzerne. Kalt erwischt wurde die junge Bewegung von der großen #unteilbar-Kampagne, die in eine große Demonstration mit über 200.000 Teilnehmern am 13. Oktober in Berlin gipfelte. Während Wagenknecht dieser linksliberal-moralisch geprägten Wohlfühlveranstaltung eher skeptisch gegenüberstand, riefen viele Basisgruppen zur Teilnahme auf. Es rächt sich, dass Aufstehenüber keine programmatische Grundlagen verfügt, die über die eher allgemein und entsprechend interpretationsfähig gehaltenen Aussagen des Gründungsaufrufs hinausgehen.

„Aufstehen“ als Schwungmasse in der Partei 

Dazu kamen Streitereien in der Führungsetage , die zwischenzeitlich zur Abschaltung der zentralen „Aufstehen“ -Plattform führten, da ein IT-Dienstleister – der zu den Gründungsmitgliedern zählte – sich um fünfstellige Geldsummen geprellt fühlte. Bald wurde auch deutlich, das einige Protagonisten „Aufstehen“ eher als Schwungmasse und Drohkulisse für innerparteiliche Auseinandersetzungen bei der Linken nutzen wollten. An der Entfaltung einer großen, parteiunabhängigen Sammlungsbewegung hatten sie aber nicht das geringste Interesse.

Auch Wagenknechts strategische Grundidee, enttäuschte Anhänger der Parteien des vermeintlichen „linken Lagers“ , also der SPD, der Grünen und ihrer eigenen Partei, zu einer wirkmächtigen gesellschaftlichen Kraft für eine neue soziale Politik zu formieren, erwies sich als wenig tragfähig. Während sich die Grünen wachsenden Zuspruchs als neues Zentrum einer neuen linksliberalen Mitte erfreuen, versucht es die darbende SPD derzeit mit einem verbalen Linksschwenk in der Sozialpolitik. Und in der Linken herrscht nach monatelangen erbitterten Schlammschlachten zwischen dem  „Wagenknecht-Flügel“ und der Parteiführung um Katja Kipping seit Ende des Jahres eine Art Burgfrieden, der maßgeblich vom Ko-Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, eingefädelt wurde. Auf  der einen Seite wurde daraufhin das intensive Mobbing gegen Wagenknecht inklusive der Forderung nach ihrem Rücktritt als Fraktionsvorsitzender weitgehend eingestellt. Im Gegenzug verzichtet Wagenknecht seitdem auf zugespitzte Erklärungen zu einem der zentralen Dissenspunkte – der Migrationspolitik.

Die Linke wirkt erstarrt

Die aktive Basis ist bei „Aufstehen“ inzwischen deutlich geschrumpft. Viele Ortsgruppen stehen nur noch auf dem Papier oder verzeichnen zumindest deutlich sinkende Teilnehmerzahlen. Mit einer Mischung aus Faszination und Hilflosigkeit schaut man auf die französischen Gelbwesten. Wagenknecht höchstpersönlich stellte sich kurz vor Weihnachten zum Fototermin mit gelber Weste vor das Kanzleramt. Doch die schlichte Adaption des Symbols einer beim Nachbarn tatsächlich existierenden Bewegung kann kaum über die fehlende eigene Mobilisierungsfähigkeit hinwegtäuschen.

Doch wie geht es weiter? Einige politische Koordinaten haben sich seit der Gründung von „Aufstehen“ verändert. CDU/CSU und SPD versuchen, dem verbreiteten Unmut über die „alternativlose“ Große Koalition mit einer Rückbesinnung auf ihre Markenkerne zu begegnen. An den Grünen wird bei künftigen Regierungsbildungen kaum noch ein Weg vorbeiführen. Sie punkten inzwischen nicht mehr nur bei den urbanen Mittelschichten, sondern auch im ländlichen Raum, wie unlängst die Landtagswahlen in Bayern gezeigt haben. Dagegen wirkt die Linke wie erstarrt und vor allem orientierungslos. Davon zeugt auch ein saft- und kraftloses Wahlprogramm zur Europawahl im Mai, in dem allzu kritische Töne zur EU sorgsam vermieden wurden. Wagenknecht hielt sich in dieser Debatte auffällig zurück, was aber wohl auch einer längeren Erkrankung geschuldet war.

Bei den Wahlen im Osten drohen Debakel

Das zu erwartende schlechte Ergebnis bei dieser Wahl wird die Linke noch irgendwie verschmerzen können, doch die Stunde der Wahrheit kommt im Herbst, wenn in drei ostdeutschen Ländern Landtagswahlen anstehen, die für die Partei zum Desaster  werden könnten. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird sowohl die rot-rot-grüne Regierung unter ihrer Führung in Thüringen ihre Mehrheit verlieren, als auch die rot-rote Regierung in Brandenburg, wo sie als Juniorpartner der SPD agiert. Dort und auch in Sachsen drohen erhebliche Stimmenverluste an die AfD, die in einem dieser Länder sogar stärkste Partei werden könnte. Doch auch die programmatisch wieder etwas profiliertere SPD könnte den Linken erheblich Wind aus den Segeln nehmen und Wähler abspenstig machen.

Bei all diesen Prozessen hätte „Aufstehen“ eine gewichtige Rolle spielen können, inklusive der Option der Gründung einer neuen linken Volkspartei mit klarer Programmatik und einer sehr populären Führungsperson. Doch diese Chance ist leichtfertig und stümperhaft vertan worden. Und so wird eine von vielen Hoffnungen und Erwartungen begleitete politische Bewegung wohl alsbald als Fußnote in die Geschichte eingehen. Ihre Galionsfigur hat sie schon verloren.

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