Streit um Rundfunkbeitrag in Sachsen-Anhalt - Der CDU droht ein zweites Thüringen

Im Streit in Sachsen-Anhalt um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags drohen SPD und Grüne mit dem Ende der Kenia-Koalition und Ministerpräsident Reiner Haseloff mit Rücktritt. Allein, die CDU-Fraktion will weiterhin mit der AfD abstimmen. Die Krise erreicht damit die Bundespolitik.

Gesprächsbedarf in Sachen Rundfunk: Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Ein ungewöhnliches Telefonat soll es in den vergangenen Tagen gegeben haben, heißt es aus Kreisen der Grünen. So soll der Co-Vorsitzende und mögliche Kanzlerkandidat Robert Habeck mit der amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel über die immer brenzliger werdende Situation in Magdeburg gesprochen haben. Und Angela Merkel soll sich dann mit der noch immer amtierenden CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ebenfalls ausgetauscht haben. Und die wiederum mit Reiner Haseloff. Händeringend sucht man in der CDU offenbar eine Strategie, das freie Radikal namens CDU-Fraktion Sachsen-Anhalt einzufangen. Noch versucht die Bundes-CDU das Thema aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Kein Statement. Keine Interviews. Doch das wird wohl nicht mehr lange durchzuhalten sein.

Von der CDU-Fraktion im Magdeburger Landtag ist ohnehin bekannt, sich herzlich wenig für Ansichten der Bundes-CDU zu interessieren. Es ist kein Geheimnis, dass Mitglieder der Fraktion eine Zusammenarbeit mit der AfD anstreben. Und so ist davon auszugehen, dass man sehr wahrscheinlich bei der Position bleiben wird, notfalls auch gemeinsam mit der AfD-Fraktion, gegen den sogenannten Ersten Medienänderungsstaatsvertrag zu stimmen, um eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags nach 11 Jahren um 86 Cent zu verhindern. Immer wieder hatten Vertreter der CDU-Fraktion dies in den vergangenen Tagen bekräftigt – erst recht seit der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil versucht, bundespolitisch Druck aufzubauen. Man will sich vom kleineren Koalitionspartner nicht erpressen lassen und beruft sich auf den Kenia-Koalitionsvertrag, in dem steht: „Bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks halten wir am Ziel der Beitragsstabilität fest.“

Für die Grünen steht viel auf dem Spiel

Von dieser offenbar alternativlosen Situation mit dem Kenia-Koalitionspartner ließ sich der Grünen-Chef Robert Habeck am Dienstag dieser Woche von der sachsen-anhaltischen Landesspitze der Grünen informieren. Man hielt Kriegsrat und kam zu einem Schluss: Dominierte bislang die Ansicht, man könne einen Bruch der Koalition in der pandemischen Lage, dazu so kurz vor der kommenden Landtagswahl im Juni 2021, nicht verantworten. So will man nun wie auch die SPD konkret mit dem Ende von Kenia drohen. Auch die Bundesspitze der Grünen sorgt sich zunehmend: Welches Signal würde man setzen, wenn die Grünen es zuließen, dass CDU und AfD gemeinsam ausgerechnet den Rundfunkstaatsvertrag kippen?

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt, Cornelia Lüddemann, sagte Cicero: „Konstituierend für diese Koalition ist 'Bollwerk gegen Rechts' zu sein. Durch eine gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD wäre dies gebrochen und die Koalition stünde vor einer Zerreißprobe.“ Aber sie wolle nicht glauben, „dass die CDU nicht zu ihrer demokratischen Ausrichtung zurückfindet“. Man sehe zwar „ebenfalls Reformnotwendigkeiten beim ÖRR“. Man sei aber nur bereit, diesen Pfad gemeinsam zu beschreiten, „wenn der Angriff auf den ÖRR in Grundsätzlichkeit eingestellt wird“, so Lüddemann.

Ein knappes Jahr vor der Bundestagswahl steht viel auf dem Spiel. Die Grünen wollen nicht als Wegbereiter von Schwarz-Blau in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen. Auf einem am Freitagabend anstehenden Sonderparteitag in Sachsen-Anhalt wird es darum nun explizit auch um dieses Thema gehen. Einen offiziellen Beschluss aber scheut man wohl. Die CDU soll nicht vorab in die Ecke gedrängt werden und eine letzte Chance bekommen, es sich anders zu überlegen. Sollte der Medienausschuss am kommenden Mittwoch die Abstimmung zum Rundfunkstaatsvertrag ohne inhaltliche Beschlussempfehlung an den Landtag überweisen, würde sich Mitte Dezember aber endgültig entscheiden, ob die CDU mit der AfD stimmt. In diesem Fall aber wolle man definitiv reagieren, Konsequenzen ziehen und die Koalition aufkündigen.

Wie groß ist der Rückhalt für Haseloff?

Noch gilt es als unwahrscheinlich, aber ausgerechnet auf diese Weise könnte es dann erst recht zu Schwarz-Blau kommen – und zwar in Form einer CDU geführten Minderheitsregierung, toleriert von der AfD. Denn der CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff lehnt ein gemeinsames Abstimmen mit der AfD strikt ab. Daran erinnerte ihn die Links-Fraktion am Freitag noch einmal in einem öffentlichen Brief.

Dass Haseloff die Fraktion jedoch umstimmen kann, gilt als aussichtslos, weil er keinen direkten Zugriff hat. Haseloff ist nicht einmal Vorsitzender der CDU Sachsen-Anhalt. In der Magdeburger Volksstimme lässt sich ein „CDU-Mann“ mit den Worten zitieren: „Wenn es hart auf hart kommt, lässt ihn die Fraktion über die Klinge springen“. Auch, dass der in der Bevölkerung sehr beliebte Haseloff sogar schon mit Rücktritt gedroht haben soll, scheint nicht zu wirken. Für den Fall einer Vertrauensfrage im Landtag sagt ein „Unionsmann“: „Dann fällt er durch und fährt mit dem Privatauto nach Hause.“ Sollte es sich hier, wie kolportiert wird, tatsächlich um CDU-Fraktionsmitglieder handeln, würden diese nicht weniger versuchen, als den eigenen Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten vor der kommenden Wahl politisch zu erledigen.

Fakt ist, der CDU-Landeschef Holger Stahlknecht stellt sich bislang ebenfalls nicht vor Reiner Haseloff und bringt die Abgeordneten auf Linie. Nach vielen Skandalen gilt Stahlknecht in der Partei als Vorsitzender auf Abruf. Bemerkenswerte Parallelen zur Bundes-CDU tun sich hier auf: Wie Angela Merkel ist auch Reiner Haseloff ein zwar beliebter Regierungschef, zugleich aber nicht Vorsitzender seiner Partei. Wie Annegret Kramp-Karrenbauer ist Holger Stahlknecht ein Vorsitzender, der seinen Rückzug zwar nicht angekündigt, der aber trotzdem keinen echten Rückhalt mehr hat. Es fehlt an echter Führung. Die Fraktion führt ein selbstbewusstes Eigenleben.

Und so macht bereits ein folgenschweres Szenario die Runde in Magdeburg: Sollte die Kenia-Koalition zerbrechen und Reiner Haseloff als Ministerpräsident zurücktreten oder bei der Vertrauensfrage durchfallen, könnte die CDU-Fraktion eine Minderheitsregierung bis zur kommenden Landtagswahl anstreben mit einem Übergangsministerpräsidenten. Unter anderem gilt der CDU-Generalsekretär und Europaabgeordnete Sven Schulze als möglicher Kandidat. Dieser könnte gegen die Stimmen von SPD, Grünen und Linken wiederum aber nur mit Stimmen der AfD gewählt werden. Es wäre ein in Bezug auf den Bundesparteitagsbeschluss der CDU unvorstellbares, aber dennoch mögliches Vorgehen.

Der CDU droht ein zweites Thüringen

Auch wenn die Verhältnisse gänzlich anders sind, solch ein Vorgang wäre mehr als nur ein Hauch von Thüringen. Eine namentliche Abstimmung gemeinsam mit der AfD im Landtag wäre ein tatsächlicher Dammbruch, der die gesamte Bundes-CDU erfassen dürfte. Nach der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) in Thüringen kündigte Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Verzicht auf den CDU-Vorsitz an. Denn ihre Machtworte, gerichtet an den damaligen Thüringer CDU-Chef Mike Mohring, verhallten. Bei einem „Nach Magdeburg“ wäre AKK wegen der Vorsitzfindungsstörung der Union noch immer CDU-Chefin und könnte sich nur wiederholen. Die Bundes-CDU hat ein Problem: Sie hat derzeit niemanden mehr, der überhaupt noch Machtworte sprechen kann, zumindest keine, die in Magdeburg gehört und umgesetzt werden.

Die Thüringer CDU scheint sich derweil hingegen anders entscheiden zu wollen als die Kollegen in Sachsen-Anhalt. Nach Informationen von Cicero signalisiert die CDU dort unter ihrem neu gewählten Vorsitzenden Mario Voigt, einem Entschließungsantrag von Linken, Grünen und SPD zuzustimmen. Das hieße, man stimmte dem Rundfunkstaatsvertrag zu, würde aber Bedingungen in Form dieses Entschließungsantrags ergänzen. Im Grunde wäre dies aber reine Symbolik. Die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt dürfte sich damit kaum abspeisen lassen. Auf ein entsprechendes Angebot der SPD jedenfalls ist bislang niemand eingegangen.

ARD, ZDF und Deutschlandradio bieten Entlastungen

Die Öffentlich-Rechtlichen versuchen derweil im Gespräch zu bleiben. Laut einer im Auftrag der ARD geführten Dimap-Umfrage soll in Sachsen-Anhalt „großes Vertrauen in öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ vorherrschen. „Eine Mehrheit der Befragten in Sachsen-Anhalt (54 Prozent) ist der Meinung, der Landtag sollte der Anpassung des Rundfunkbeitrags zustimmen.“ Wohlgemerkt ist hier von Anpassung die Rede, nicht von Erhöhung. Dennoch: Der Umfrage zufolge sollen „79 Prozent der Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für nicht verzichtbar“ halten.

ARD, ZDF und Deutschlandradio verkündeten am Donnerstag außerdem Erleichterungen wegen Belastungen durch die Corona-Pandemie: „Unternehmen, Institutionen und Einrichtungen des Gemeinwohls können eine Freistellung von der Rundfunkbeitragspflicht beantragen, wenn eine Betriebsstätte aufgrund einer behördlichen Anordnung für insgesamt mindestens drei Monate geschlossen war“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Tatsächlich wäre die Problematik der finanziellen Belastung von Beitragszahlern während der Corona-Pandemie einer der wenigen Hebel, welche die Länderparlamente hätten, um eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags abzulehnen. In seinem Urteil von 2007 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass ein Abweichen der Länderparlamente von den Empfehlungen der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) verfassungsrechtlich nur unter engen Bedingungen überhaupt möglich wäre. Und zwar dann, wenn der Zugang zu Informationen nicht mehr sichergestellt wäre oder, wenn die Beitragszahler unangemessen belastet würden.

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