Rücktritt von Anne Spiegel - Der Versorgungsposten wartet sicher schon

Jetzt also doch: Familienministerin Anne Spiegel ist zurückgetreten. Nach ihren Fehlern während und nach der Flutkatastrophe musste sie einsehen, dass sie als Bundesministerin keine Zukunft hat. Kein einziger Grünen-Politiker sagte auch nur ein Wort zu ihrer Verteidigung. So konnte sie nicht weitermachen. Doch die Grüne hat, wenn das Übergangsgeld aufgebraucht ist, keine Chancen auf dem freien Arbeitsmarkt.

Außer Politik nichts gelernt: Ex-Familienministerin Anne Spiegel / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Klebte die Bundesfamilienministerin deshalb so sehr an ihrem Amt, weil sie als Feministin für ihre Themen „brennt“, wie sie kurz nach ihrer Berufung verkündet hat? Hielt die Grüne sich gar für unersetzlich wegen der ihr gern zugeschriebenen Vorbildrolle als Mutter von vier Kindern und einem „Hausmann“ an ihrer Seite? Oder konnte sie einfach nicht erkennen, dass ihr Verhalten als Umweltministerin während und nach der Jahrhundertflut im Ahrtal unverantwortlich war? 

Eines jedenfalls steht fest: Nach dem Rücktritt fallen die Grünen-Politikerin und ihre Familie zunächst einmal weich. Bereits nach einem Tag Amtszeit stehen einem Bundesminister rund 75.660 Euro Übergangsgeld zu. Mehr dürften es indes nach nur gut vier Ministermonaten nicht werden. Dann aber steht Spiegel vor der Frage, wovon sie, ihr Mann und ihre vier Kinder eigentlich leben sollen. Denn Spiegel ist im Dezember aus der rheinland-pfälzischen Landespolitik direkt ins Bundeskabinett gewechselt, hat also kein Bundestagsmandat. Sie kann folglich nicht mit Diäten rechnen. Und für ihre in Mainz erworbenen Ruhegehaltsansprüche als Landesministerin ist sie mit 41 Jahren noch viel zu jung. 

Einen richtigen Beruf hat die Grüne nie ausgeübt

Einen richtigen Beruf außerhalb der Politik hat die Grüne nie ausgeübt. Sie kann zwar, anders als viele aus ihrer Politikergeneration, immerhin einen Magister-Abschluss in Politikwissenschaft vorweisen, für den sie 14 Semester gebraucht hatte. Ihre einzige Berufstätigkeit bestand laut ihrer offiziellen Biografie aus zwei Jahren als „Sprachtrainerin“ an drei verschiedenen Berlitz-Sprachschulen. Von 2011 an verdiente sie den Lebensunterhalt als Landtagsageordnete, von 2016 an als Ministerin. Für eine Bewerbung bei einem potentiellen Arbeitgeber hat sie also nicht viel vorzuweisen. 

Über die beruflichen Qualifikationen ihres Mannes und Vaters der gemeinsamen vier Kinder ist nichts bekannt, weil Spiegel bis zu ihrer peinlichen persönlichen „Offenbarung“ am Sonntagabend Privates und Politisches strikt trennte. Nach ihrer Berufung ins Bundeskabinett hatte sie immerhin so viel verraten: „Mein Mann kümmert sich seit dem ersten Kind komplett um den Nachwuchs. Er liebt es wirklich.“ (Ganz nebenbei: „Nur-Hausfrauen“ gelten in feministischen Kreisen übrigens als Inbegriff männlicher Unterdrückung und eigener Rückständigkeit.) Da drei der vier Kinder im Grundschulalter sind, liegt die Berufstätigkeit von Herrn Spiegel etliche Jahre zurück. Ob er nach dem 2019 erlittenen Schlaganfall derzeit voll oder teilweise arbeitsfähig wäre, weiß außer den Betroffenen wohl niemand. 

Anne Spiegel hat nicht für die Politik, sondern von der Politik gelebt

Ohne Ministeramt hat Spiegel also große Schwierigkeiten, sich und die Familie angemessen zu ernähren, sobald das Übergangsgeld aufgebraucht ist. Diese knapp 76.000 Euro entsprechen gerade mal knapp vier Monatsbezügen eines Bundesministers. Hart formuliert: Familie Spiegel könnte recht bald zu einem Versorgungsfall werden. So weit werden es die Grünen und die Ampel-Koalition wohl nicht kommen lassen, dass Anne Spiegel Hartz-IV beantragen muss. Eher wird die Ministerin a.D. irgendwo im staatlichen Sektor mit einem neuen Posten versorgt – auf Kosten der Steuerzahler. 

Spiegels prekäre Situation offenbart eine gefährliche Schwäche unseres politischen Systems – den Vormarsch jüngerer Politiker, die außer Politik buchstäblich nichts gelernt haben, die direkt nach einer häufig nicht abgeschlossenen Ausbildung in die Politik gingen, wo sie deutlich mehr verdienen, als sie in der Wirtschaft jemals erzielen könnten. Derzeit sitzen unter der Reichstagskuppel 76 von 736 Volksvertretern, die in die folgenden Kategorien fallen: „arbeitslos/ohne Berufsausübung“ 7, „Ausbildung“ 19, „keine (verwertbaren) Angaben“ 50. Dazu kommen 26 ehemalige kommunale Wahlbeamte sowie 124 frühere Mitarbeiter von Parteien, Fraktionen und Gewerkschaften. Unter diesen dürfte ebenfalls ein hoher Prozentsatz ohne abgeschlossene Ausbildung und ohne jegliche Berufserfahrung außerhalb der Politik sein. 

Wenn ein Politiker außer Politik „nichts kann“, spricht das noch lange nicht gegen seine politischen Fähigkeiten. Aber solche Politiker sind extrem abhängig davon, dass sie wieder für das Parlament nominiert oder wieder in ein Amt berufen werden. Max Weber unterschied zwischen Politikern, die „für die Politik leben“, und solchen, „die von der Politik leben“. Anne Spiegel zählt zweifellos zur zweiten Kategorie. Deshalb kann sie sich – rein finanziell – den Rücktritt eigentlich gar nicht leisten.  

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