Regierungskrise - Der Ampel-Gau

Das Machtwort des Kanzlers bei der Kernenergie offenbart die Regierungskrise. Robert Habeck sieht sich von Olaf Scholz und Christian Lindner blamiert. Die Ampel schaltet nicht mehr auf grüne Welle, sondern beharrlich auf Rot-Gelb. Strategisch gesehen ist die FDP ungefährlich für Olaf Scholz. Die Grünen hingegen sind seine Gegner.

Die Ampelspitze präsentiert stolz den Bericht der Unabhängigen Kommission für Erdgas und Wärme / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Auf dem regennassen Pflaster kleben kleine Namensschilder: Robert Habeck, Annalena Baerbock, Christian Lindner. Da sollen sie sich schön aufreihen, am Hafen der galicischen Hauptstadt A Coruña. Gleich kommt der Kanzler. Die Militärkapelle spielt die Nationalhymne. Dann marschiert schon Olaf Scholz zusammen mit seinem spanischen Kollegen an der wohlplatzierten Formation entlang. So brav aufgereiht hat der deutsche Regierungschef seine Ministerinnen und Minister eigentlich nie vor Augen, nur im Ausland. In Wahrheit springen sie durcheinander, bleiben nicht an ihrem Platz – und nerven.

Seit einem Jahr ist die als „Ampel“ bezeichnete Bundesregierung im Amt – und nun eine Weltkrise weiter. Inzwischen herrscht Chaos, besser gesagt: eine rot-gelb-grüne Mischung aus Angst, Selbstzufriedenheit – und Größenwahn. Da musste der Kanzler ein Machtwort sprechen.

Im politischen Berlin macht ein Spruch die Runde, der die ungleichen Partner innerlich zusammenhalten soll, der quasi auf humorvolle Art dem absoluten Krisenmodus der Regierung eine höhere Bedeutung anzudichten versucht. Er lautet: „Wenn die Ampel ausfällt, gilt wieder rechts vor links.“ Das eint sie noch, der Kampf gegen die Alternative, die 16 Jahre regiert hat; und gegen die Alternative, die auch so heißt – gegen die radikalisierte Unzufriedenheit, die jetzt verstärkt auf die Straße drängt. Sie waren als Zukunftsbündnis gestartet. „Mehr Fortschritt wagen“ lautete ihr Motto, ein gewisser historischer Anspruch sollte da mitschwingen. Oder war es Hybris? Lange ist es her. 

Olaf übernimmt

Mit dem Showdown im Ampelstreit ist der letzte Glanz der neuen Regierungsformation verschwunden. Nun ist es kein Zweckbündnis mehr, nur noch ein Notbündnis. Ende offen. Mit Verweis auf seine Richtlinienkompetenz hat Olaf ­Scholz verfügt, dass bis April die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke in Betrieb bleiben sollen. Das ist zunächst ein Sieg für die FDP, denn die Grünen wurden zwei Tage nach ihrem Parteitag vorgeführt. Letztlich setzten sich aber auch die Liberalen nicht wirklich durch, die bis 2024 auf Kernenergie zurückgreifen wollen. Und überhaupt ist alles in diesen Zeiten immer nur vorläufig.

Die Spitzen-Grünen verteidigen tapfer ihre Entscheidung – die Knute des Kanzlers hilft ihnen, denn so mussten sie sich formal nicht verbiegen. Allein Jürgen Trittin wütet noch. „Mag sein, dass der Brief [des Kanzlers] von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt ist, vom Grundgesetz ist er es nicht“, poltert er. Der grüne Veteran agiert noch immer als Schattenmacht der Ökopartei. Die Ampel flackert, doch ausstellen will sie bislang noch keiner. 

Die Ampelregierung war völlig anders aufgeschaltet worden. Als grüne Welle für den Fortschritt. Nun zwingen sie der Ukrainekrieg, vor allem aber die dramatische Energiekrise und die steigende Inflation in einen Modus, der ihr nicht liegt, der wenig Vision braucht, sondern Feuerwehrqualitäten. Tatsächlich könnte Deutschland in eine wirklich existenzielle Notlage geraten. Auch wenn einem nach Eurokrise, Flüchtlingskrise und Pandemie keine Steigerungsformen einfallen, so setzen die aktuellen Umstände dem allen tatsächlich noch die Krone auf. Diese Erkenntnis sickert in der Ampel erst langsam von oben nach unten durch – manchmal auch umgekehrt von unten nach oben. Mitunter per Richtlinienkompetenz des Kanzlers. 

Es geht um Entlastung, Nothilfe und Rettung – und das ist keineswegs die Politik, die sich die drei von der Solarstrom-Tankstelle vorgestellt haben. Die Ampel nimmt Braunkohle- und Kernkraftwerke wieder in Betrieb und baut sogar neue LNG-Terminals für Flüssiggas – zumindest für die Grünen eigentlich Teufelszeug. Immerhin zeigen sie eine gewisse Handlungsfähigkeit, aber es ist nicht die Art Politik, für die sie angetreten waren. Die Ministerien sind dafür nicht richtig aufgestellt; es fehlt schlicht an Krisenkompetenz und Notlagensachverstand. Olaf Scholz sieht das durchaus. Er ist ein Kanzler mit langer Regierungserfahrung – nun mit zwei Partnern, von denen noch nie einer ein Ministerium von innen beziehungsweise von der Spitze aus gesehen hat. Deswegen ist das Kanzleramt so wichtig wie nie, die Verteidigungspolitik hat Scholz schon weitgehend an sich gezogen. Nun kommt auch in der Wirtschafts- und Umweltpolitik das Dirigat von oben.

Rot-Gelb gegen Grün

Scholz hat es nur mit Greenhorns zu tun, so zumindest gibt sich der alte Haudegen bisweilen selbst und kolportieren es manche aus seinem Umfeld – vielleicht eine Art Sam Hawkens der deutschen Politik, nur nicht ganz so albern. Der Kanzler weiß es also besser, meint er. Doch das wiederum nervt die anderen kolossal: dass er es immer besser weiß, dieser Kanzler, mit dem eigentlich keiner gerechnet hatte. Deswegen schauen sie ihm auch nicht gerne zu, wenn er an ihnen vorbeischreitet, wie jüngst in Spanien. Der Chef gehe einem bisweilen auf den Geist, so wird es aus dem Kabinett kolportiert. Und jetzt auch noch der Basta-
Brief zur Kernenergie. 

Der Glutkern dieser Regierung weist erhebliche Zerfallserscheinungen auf. Erinnern wir uns an das Bild nach den Koalitionsverhandlungen, das die „Ampel“ mit strahlenden Gesichtern zeigte: Annalena Baerbock, Robert Habeck, Christian Lindner und Olaf Scholz schritten Seit an Seit in Richtung Regierungsverantwortung. Doch dieses Quartett ist keine zugkräftige Quadriga mehr. 

Vor allem hat sich die innere Statik verschoben. Scholz und Lindner bilden insgeheim eine sozialliberale Achse, der das grüne Duo gegenübersteht. Die Ampel ist nicht zu einem rot-grünen Projekt mit gelbem Anhängsel geworden, sondern fast eher umgekehrt. An dem energiereichen grünen Kraftfeld allerdings arbeiten sich Rot wie Gelb ab. Weder mit Habeck noch mit Baerbock verbindet ­Scholz eine ähnliche Nähe, wie sie Gerhard Schröder und Joschka Fischer trotz aller Eitelkeiten einst hatten. Damals in den 1990ern, da war Rot-Grün noch ein Generationenprojekt. 

Mit Lindner auf Augenhöhe, Witze über Habeck

Der Kanzler und der Finanzminister aber haben einen Draht zueinander. Ein enger Vertrauter in der SPD sagt es so: „Scholz pflegt Lindner.“ So etwas kann man über den grünen Vizekanzler nicht sagen. Scholz kennt das Finanzministerium in- und auswendig und redet mit dem FDP-Chef intern auf Augenhöhe, heißt es. Über Robert Habeck hingegen kursieren im SPD-Umfeld des Kanzleramts nur böse Witze. Wenn man an den Wirtschaftsminister eine E-Mail schreibe und nach der Uhrzeit frage, dann dauere es 40 Tage, bis man eine Antwort erhalte. Denn schließlich müssten alle seine sieben Staatssekretäre eingebunden, möglicherweise auch noch NGO-Expertise eingeholt und dann auch eine passende Kommunikation entwickelt werden. Ein Insider sagt: Scholz und Lindner trinken Wein zusammen. Habeck mag lieber Bier – und gehört einfach nicht dazu. Leider sei der Bundeswirtschaftsminister auch schnell beleidigt, weiß einer aus dem Inner Circle zu berichten.

Auch am Streit über die steigenden Gaspreise und den Umgang damit lässt sich diese innere Verfasstheit der Koalition ablesen. Mit Lindners Diktum, dass an der Schuldenbremse nicht zu rütteln sei, startete die Regierung in den Herbst. ­Scholz hatte ihm offenbar zunächst hierfür die Rückendeckung gegeben, zum Ärger der Grünen. Zur Lösung des Problems wurde aber der grüne Bundeswirtschaftsminister auf den Hof getrieben und kam mit der Gasumlage zurück. Das Geld zur Rettung der Energieversorger sollte lieber zunächst den Verbrauchern abgenommen werden, anstatt neue Schulden zu machen. 

Habeck musste dann die ungeliebte Gasumlage durchboxen, bis klar war, dass das Instrument nicht nur zu umstritten und komplex war, sondern auch nicht schnell genug greifen würde. Kurzerhand wurde der Gasversorger Uniper verstaatlicht. Habeck durfte draußen den Erklärer geben, Scholz und Lindner zogen drinnen die Strippen. Es musste doch mehr Geld her, wurde klar. Lindner gab nach, der Kanzler verkündete den „Doppelwumms“ mit frischen 200 Milliarden Euro zur Deutschlandrettung. Das hätte man doch früher haben können, meinten die Grünen. Doch für Scholz-Lindner durfte es offenbar so lange dauern.

Machtkämpfe innerhalb der Ampel

Natürlich ist keine wirkliche Liebe zwischen SPD und FDP entstanden; nicht die Parteien sind hier entscheidend, nur die beiden Spitzen gehen voran. Zu seiner Partei hat Scholz sowieso ein angespanntes Verhältnis, spätestens seit die Genossen ihn nicht zum Vorsitzenden machten. Aber vom Kanzleramt aus gedacht ist der Modus der Koalition ähnlich der von Scholz initiierten konzertierten Aktion. Mit Sozialdemokraten und Liberalen finden in größter Not sozusagen auch die politischen Arme der Sozialpartner zusammen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer suchen einen Ausgleich, um die Probleme zu lösen. Nur die Grünen stören dabei bisweilen – mit der ihnen eigenen Selbstgewissheit, alleine über die Expertise zur Rettung der Menschheit zu verfügen. 

Auch strategisch gesehen ist die FDP für die SPD eigentlich ungefährlich: ein ungeliebter, aber letztlich harmloser Partner, von einem anderen Spielfeld eben. Die Grünen hingegen sind die eigentlichen Gegner der SPD, sie werden bis zur nächsten Bundestagswahl um die Vorherrschaft kämpfen. Gegen die Grünen muss sich die SPD profilieren, das hat die alte und verunsicherte Volkspartei inzwischen gemerkt. Assimilation ist da der falsche Weg. Daraus resultiert die innere Geometrie der Ampel. Das ist Scholz’ Antrieb: Mit Lindner könnte er Kanzler bleiben, mit den Grünen nur vielleicht.

Die zweite große Bruchlinie verläuft innerhalb der Grünen, manchmal verborgen, manchmal bricht sie auf wie ein verkrusteter Vulkan. Es ist die alte Polarität zwischen Realos und Fundis, die inzwischen auf beiden Seiten deutlich smarter daherkommt. Annalena Baerbock ist dabei zum Kopf der „Alten“ und der „Aktivist*innen“ geworden. Sie hat für ihre Ukrainepolitik viel Anerkennung bekommen und kann sich gleichzeitig aus dem Schlamassel der schmutzigen Realpolitik oft raushalten. Für die Feministinnen, linken Träumer und Anti-Atomkraft-Veteranen – und wohl auch für Trittin – ist sie aber zur Galionsfigur geworden. Und zwar gegen den Hyperpragmatiker Habeck, der die Partei zu einer echten Volkspartei machen will, bürgerliche Aussöhnung und Vaterlandsliebe inklusive. Die Sehnsucht nach dem Kanzleramt ist bei den Grünen noch da, die Konkurrenz zwischen Habeck und Baerbock auch.

Keine Rückendeckung für Robert

Umso größer ist die Wut im Habeck-­Lager, dass bei den Grünen nicht alle gemeinsam an einem Strang ziehen und manche doch genüsslich und zumindest gelangweilt zusehen, wie der Bundeswirtschaftsminister ins Sperrfeuer der Opposition und der öffentlichen Meinung gerät. Im Oktober kursierte ein Brandbrief eines einst hochrangigen Grünen-Politikers unter den Mitgliedern der Bundestagsfraktion, der mit scharfen Worten die innere Schwächung der Grünen geißelte und Solidarität und Zusammenhalt anmahnte. „Unser Vizekanzler“ stehe unter Dauerfeuer, doch „wo ist die Grüne Führungsebene“, klagt der Vordenker von der Seitenlinie. Es gebe eine „kollektive Verweigerung, Robert in der öffentlichen Medienkommunikation zu verteidigen“, heißt es in dem Schreiben, das der Redaktion vorliegt. In einer derart brisanten Lage sei eine „professionelle beinharte Gegenkommunikation“ zu erwarten, nun sei das Ergebnis ein „kommunikativer Gau“. 

Selbst in der Frage der Kernenergie macht der Briefschreiber von Anfang an eklatante strategische Fehler seiner Parteiführung aus. Ende August hatte Baerbock es als „Irrsinn“ bezeichnet, vom Atomausstieg abzurücken. Lediglich um einen Streckbetrieb solle es im Notfall gehen. Dann begann das Geschacher, in dessen Verlauf Habeck nach den Ergebnissen des sogenannten Stresstests zunächst noch einen neuen Mittelweg zwischen „Abschalten“ und „Streckbetrieb“ fand – nämlich den „Reservebetrieb“. (Von „Weiterbetrieb“ etwa bis 2024 wollte man bei den Grünen ja schon gar nicht reden.) Doch dieses Herumlavieren in den verwendeten Kompromissformeln hatte längst keinen Realitätsbezug mehr. Die Formel von Anfang September wurde also Ende des Monats kassiert, als Habeck dann doch der verdutzten Grünen-Fraktion den Weiterbetrieb der beiden süddeutschen Kraftwerke ankündigte – bei versprochener Abschaltung des AKW Emsland. 

Der ganze Kernenergie-Streit, der dann in den Konflikt mit Lindner mündete und ihm erst die Möglichkeit dazu gab, noch einmal draufzusatteln, offenbart eben das steife grüne Korsett, in dem Habeck steckt – und aus dem ihn auch die Parteifreunde nicht befreien. Es ist die innergrüne Spannungslage, die hier die politische Debatte bestimmt und die Ampel flackern lässt. Nur so wurde das Kanzler-­Basta im Oktober notwendig. In dem internen Schreiben wird diese inwendige Zerrüttung der Grünen exemplarisch beschrieben. Die Anklage geht gegen die eigenen Parteifreunde: „Ihr selbst, nachdem ihr mantramäßig die Ergebnisse des Stresstests als Leitlinie politischen Handelns vorgegeben habt, negiert das Ergebnis und zwingt Habeck in einen Kompromiss, der die Eigenschaft ‚faul‘ auf der Stirn trägt.“ Und die Analyse geht noch weiter, sie offenbart Dysfunktionalitäten im Maschinenraum der grünen Regierungspartei. „Das heißt, ihr setzt eigene Ursachen für die Angreifbarkeit des Ministers und seid nicht in der Lage, dafür Verantwortung zu übernehmen, sondern lasst ihn im Regen stehen.“ 

Pippi-Langstrumpf Partei

Geradezu verblüffend ist, wie die Grünen mit dieser Dilemmasituation umgehen. Man macht sich etwas vor, auch gegenseitig, und spielt eine Art gelenkte Harmonie. Die als vermeintliche Klartext- und Argumentepartei gegründete grüne Bewegung ist zur Pippi-Lang­strumpf-Partei geworden, die sich eben die Welt so macht, wie es ihr gefällt. Auf dem jüngsten Bundesparteitag verstieg sich Habeck sogar dazu, Kohleverstromung und Atomenergie in einem Atemzug zu nennen und als Treiber der Energiekrise zu brandmarken: Es wird das Böse determiniert, nicht nach Lösungen für Probleme gesucht. 

„Wenn unsere Welt in Frage steht: Antworten“ lautete das Motto des Grünen-Parteitags in Bonn. Das ist eine etwas gekünstelte Formulierung, die die Verfasstheit dieser Partei auf den zweiten Blick aber gut umschreibt. Denn sie lässt offen, was „unsere Welt“ ist und wer „Antworten“ gibt. 

Selbst wenn also das Ende der Kern­energie für die Grünen als politisches Ziel absolut gesetzt bleibt, hätte die Partei strategisch offenbar anders agieren müssen. In dem Brandbrief heißt es: „Und es wäre nur klug gewesen, mit einem offensiv vertretenen Streckbetrieb das Heft des Handelns und damit auch die endgültige Deadline im April nächsten Jahres in der Hand zu behalten, anstatt sich jagen zu lassen, den Pro-Atom-Ideologen Futter zu geben und sie mit der nächsten Forderung nach der Anschaffung neuer Brennstäbe zu ermutigen.“ Nur: Wer will jetzt bei den Grünen hinterher klüger werden?

FDP fürchtet 5-Prozent-Hürde

Die Grünen haben in diesem Jahr schon einige programmatische Kröten schlucken müssen, etwa das 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr. Und dennoch haben sie als Partei noch nicht in einen vernünftigen Regierungsmodus gefunden, der Parteitagslyrik und Regierungspragmatik in einen Zusammenhang bringt. Unter dem Einfluss der Rede von Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer beschlossen die Parteitagsdelegierten in Bonn, die Regierung möge auch noch einen 100-Milliarden-Fonds zum Klimaschutz einrichten. Jeder im Berliner Regierungsviertel weiß, dass der nicht kommen wird. Doch beim Parteitag obsiegte die Wohlfühllogik. „Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune.“

In der Ampel flackert aber nicht nur das grüne Licht, sondern auch dem gelben droht der Blackout. Die Grünen stolpern eher über ihr zu großes Selbstbewusstsein, die FDP hingegen agiere oft „angstgetrieben“, wie es ein Parteifunktionär beschreibt. Die kleine Angst schleicht sich bei den Liberalen jeden Tag ein, ob sie auch genug Eigenes einbringen und damit sichtbar werden können in dieser links dominierten Drei-Farben-Regierung. Und dann ist da noch die große Angst vor einem politischen Déja-vu: das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bei der nächsten Bundestagswahl. 

Das Menetekel von 2013, als die FDP erstmals in der Geschichte aus dem Bundestag flog, sitzt ihnen in den Knochen. Sogar in den Leitungsrunden mancher FDP-Ministerien, die inzwischen oft zu gelben Cliquen mutiert sind, wird immer wieder dieses „2013“ geraunt, um vor diesem Worst-Case-Szenario politische Projekte und Maßnahmen zu wägen. Unter Bildungspolitikern wird sogar die Bafög-Erhöhung im Kontext der Pflege der eigenen Wählerklientel erwähnt. Immerhin hatte die FDP bei der zurückliegenden Bundestagswahl einen Sieg unter den Jungwählern zu verbuchen. „Die müssen wir halten“, so der Tenor.
Doch Angst ist natürlich selten ein guter Ratgeber. Es gibt deshalb noch einen anderen liberalen Treiber im Ampelgefüge – und der heißt eben „Fortschrittskoalition“. Das Fremdeln der Liberalen mit den linken Koalitionspartnern wird dadurch bekämpft, indem man die Fremdheit negiert, die Ähnlichkeit betont, gar den subtilen Wandel der eigenen Programmatik betreibt, aus dem Impetus der Fortschrittlichkeit heraus. 

Illiberale Debattenkultur bei den Liberalen

Längst ist „konservativ“ unter vielen FDP-Abgeordneten zum Schimpfwort geworden, berichten manche. „Bist du etwa noch so konservativ?“, heißt es dann, wenn man Skepsis gegen den vermeintlich modernen Freiheitskurs des Justizministers anmeldet. Marco Buschmann hat sich zum Schausteller dieser neuen liberalen Erfolge gemacht. Die Abschaffung des Paragrafen 219a oder auch das Selbstbestimmungsgesetz zur Änderung des Geschlechtseintrags werden zu identitätsstiftenden Projekten hochgejubelt, die die Kluft zu Grünen und SPD minimieren helfen sollen. Buschmann verabreicht die Medizin, die das liberale Fremdheitsgefühl in der Ampel lindern soll. Doch sie wirkt nicht immer.

In der Corona-Politik oder auch in der Migrationsfrage gibt es in der liberalen Bundestagsfraktion widerstrebende Ansichten, die die Führung auf Linie zu bringen sucht. Dies geschieht oft subkutan und schleichend, um keine treue Seele zu verlieren und den schlummernden Opportunismus und die verdeckte Spießigkeit der eigenen Abgeordneten zu nutzen. „Ihr wollt doch nicht gegen die eigene Regierung maulen?“, heißt es dann. Die Selbstdisziplinierung scheint leidlich zu funktionieren. Oder noch subtiler: Ja, es falle manchmal schwer, der Regierungslinie zu folgen, aber es sei doch gut, die eigene Dogmatik in manchen gesellschaftspolitischen Fragen zu überwinden. So redet die Führung in Fraktionssitzungen, als ob das „Überwinden“ an sich etwas Gutes wäre und klar sei, was Dogmatik ist und was nicht. Schleichend hat sich ein Prozess der Assimilation durchgesetzt, der die FDP wieder an die SPD heranrückt – und zur Not auch etwas an die Grünen. Was also die Grünen zu viel an Debatte haben, das haben die Liberalen zu wenig. Aus der Partei heißt es, Lindner führe zu eng, lasse keine Kontroverse zu – und echte Bandbreite schon gar nicht. 

Zur Zusammenarbeit verdammt

Bleibt die Frage, welche Rolle die Sozialdemokraten in der Ampel haben. Man könnte sagen: Die SPD mit Parteichef Lars Klingbeil und Generalsekretär Kevin Kühnert hat Geduld gelernt und wartet darauf, irgendwann einmal  einen Kanzler zu stellen, der ihren eigenen Vorstellungen entspricht. Bis dahin tolerieren sie Olaf Scholz. Und Scholz sieht es genauso: Er dankt der SPD, die ihn trotz seines langen Parteidienstes nie mochte, dass er vorübergehend (oder sogar etwas länger) im Kanzleramt einziehen konnte. Nach den Debatten über Waffenlieferungen und Bundeswehr-Aufrüstung ist es wieder weitgehend ruhig geworden; Co-Parteichefin Saskia Esken und Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich genießen nun deutlich stiller ihren (linken) Einfluss (Stichwort: Bürgergeld) – und lassen es zum harten Konflikt nicht kommen. Man muss sich die Sozialdemokraten als halbwegs glückliche Menschen vorstellen, die an ihre Auferstehung schon nicht mehr geglaubt hatten – und Scholz einfach machen lassen. 

Möglicherweise war eine Bundesregierung noch nie so instabil und disparat wie diese. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), einer der Architekten der rot-grün-gelben Koalition, beklagte neulich, Grund für die Ampelkrise sei, dass man sich innerhalb des Bündnisses zu wenig kenne. Man habe auch zu wenig Zeit, um sich kennenzulernen, denn es gebe einfach zu viel Arbeit in dieser Jahrhundertkrise. Es wäre eine ernüchternde Erklärung für die Schwäche der Bundesregierung, dass ihr zu wenig Zeit für Klassenausflüge bleibt. Bisweilen scheint umgekehrt aber auch zu gelten: Es ist die Größe der Krise, die diese Regierung zusammenhält. Selbst bei der FDP, wo manche schon mal von einem Ausstieg träumen, erscheint dieser vor dem Horizont der Probleme, die zu lösen sind, zu sehr als Wegducken vor der Verantwortung. Also schlicht undenkbar? 

So sind sie in der Ampel bis auf Weiteres zur Zusammenarbeit verdammt. In A Coruña mussten die Minister dann auch noch der Pressekonferenz von Olaf Scholz lauschen, und das sogar aufgereiht wie Musterschüler vor dem Kanzler. Lindner und Habeck hielten es denn auch kaum aus – und begannen miteinander zu tuscheln. Was sie sich bei dieser Gelegenheit auf dem Handy für Filmchen angesehen haben, ist nicht überliefert. Angemessen fand der Kanzler es bestimmt nicht.

 

Dieser Text stammt aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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