Regierungserklärung von Olaf Scholz - „Sicherheit im Wandel“

Vom Klimaschutz über Digitalisierung, Integration und Energieversorgung bis zur Altersarmut arbeitete Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner heutigen Regierungserklärung gewissenhaft sämtliche Punkte des Koalitionsvertrags ab - verbunden mit dem ceterum censeo, sich doch bitte impfen zu lassen. Eine Spaltung der Gesellschaft will der Kanzler nicht erkennen. Immerhin könnte die Opposition für einen muntereren Parlamentarismus sorgen.

Las größtenteils vom Blatt: Bundeskanzler Olaf Scholz /dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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„Respekt“ und „Modernisierung“, das waren die beiden Leitgedanken bei der Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz – der damit bereits im Wahlkampf für sich und seine Sozialdemokraten geworben hatte und in deren Geist auch der Koalitionsvertrag ausgehandelt wurde. Wie das eben so ist bei politischen Projekten, die sich abgrenzen müssen vom Bisherigen. Was für Scholz und die SPD schon deshalb wichtig ist, um ein bisschen vergessen zu machen, dass man während zwölf von insgesamt 16 Regierungsjahren unter Angela Merkel selbst mit dabei war. Eine Tatsache, die die nun vermittelte Aufbruchsstimmung etwas trüben könnte, aber möglichst nicht soll.

Scholz gab sich alle Mühe, diesem Aufbruch mit seiner heutigen Rede vor dem Bundestag entsprechenden Ausdruck zu verleihen, was ihm anfangs auch gelang. Doch je länger er sprach, desto mehr geriet er ins Rezitieren des Koalitionsvertrags. Erst ganz am Schluss nahm der Kanzler dann noch einmal Fahrt auf, als er nach der spiegelstrichartigen Aufzählung der Vorhaben in Sachen EEG-Umlage, Kindergrundsicherung oder Wohnungsneubau deklamierte, die Ampel-Regierung nehme „die Herausforderungen der Zukunft“ an und werde diese auch bewältigen. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes hätten allen Grund zur Zuversicht und sollten sich sagen: „Ja, es geht gut aus.“ Gemeint damit war eben jenes Ampel-Projekt nach dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“, das auch über dem Koalitionsvertrag steht.

„Größte Transformation seit 100 Jahren“

Den Auftakt seiner Regierungserklärung bestritt Scholz erwartungsgemäß mit einem Appell an die Bevölkerung, sich impfen zu lassen – ob erstmals, zum zweiten Mal oder als „Booster“. Wenn alle sich hätten impfen lassen, hätte man in Deutschland die Pandemie dieser Tage im Griff, so die etwas gewagte Aussage des Bundeskanzlers. Jedenfalls sollten bis Jahresende noch 30 Millionen Impfdosen verabreicht werden; die Kapazitäten würden ebenso ausgeweitet wie die zum Massenimpfen benötigte Infrastruktur. Militante Impfgegner kritisierte Scholz scharf als „winzige Minderheit der Hasserfüllten“, denen der Staat als „wehrhafte Demokratie“ entgegentreten werde. Im Übrigen sei die Gesellschaft nicht gespalten, auch nicht wegen Corona.

Mit Blick auf ein „modernes Deutschland“, welches die Ampel-Koalitionäre anstrebten, kündigte Scholz eine Regierung des technischen, des gesellschaftlichen, des sozialen wie auch des kulturellen Fortschritts an. Besondere Anstrengungen werde man in der Klimapolitik leisten müssen, um wie geplant bis zum Jahr 2045 die vollständige Klimaneutralität für Deutschland erreicht zu haben. Der Kanzler sprach in diesem Zusammenhang von der „größten Transformation seit 100 Jahren“. Jahre der Veränderung und des Umbaus stünden bevor, aber seine Regierung wolle für „Sicherheit im Wandel“ sorgen. Es sei freilich immer ein Wagnis, von bisher bewährten Rezepten abzurücken.

„Superabschreibung für Klimaschutz“

Konsequent eintreten werde man gegen Missstände wie Altersarmut, Rassismus oder Sexismus – womit Scholz beim zweiten Leitmotiv, dem „Respekt“ nämlich, angekommen war. Fast ein Viertel der Bewohner der Bundesrepublik habe einen Migrationshintergrund, ihnen müsse eine bessere gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden. Es gehe darum, ein „besseres Integrationsland zu werden“, so der Kanzler. Auch müsse das Vertrauen der Menschen in die Demokratie und ihre Institutionen gestärkt werden. Wie das geschehen soll, bleibt einstweilen abzuwarten.

Olaf Scholz sprach von einem „Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen“, das Deutschland bevorstehe, und erwähnte in diesem Zusammenhang Elektromobilität, Digitalisierung und eine modernisierte Verwaltung. Es werde eine „Superabschreibung für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter“ geben sowie in Zusammenarbeit mit den Bundesländern eine starke Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Auch den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung habe sich die Ampel-Regierung auf die Fahnen geschrieben (eine Ankündigung, die wegen der Verwicklung von Scholz in die Hamburger Cum-Ex-Affäre nicht ganz ohne Witz ist).

Uninspiriert und begeisterungslos

In Sachen Energieversorgung (Umstieg auf Erneuerbare bei gleichzeitig wachsendem Strombedarf), Verkehrswende, Mindestlohn oder beim sehr heiklen Thema Rente (auch Selbständige sollen künftig in die Rentenversicherung einzahlen) ging Scholz dann ins eingangs erwähnte verbale Abarbeiten des Koalitionsvertrags über, was unmittelbar im Anschluss vom Unionsfraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus als uninspiriert und begeisterungslos kritisiert wurde.

Übrigens zeigte sich Brinkhaus, der anders als Scholz frei sprach, als angriffslustiger Oppositionsführer – und ging nach einer anfänglichen Respektbekundung gegenüber der Regierungsbank sogleich zur Attacke über. Beim Thema Impfpflicht etwa müsse die Regierung Farbe bekennen und dürfe dieses schwierige Thema nicht allein dem Parlament überlassen. Dem neuen Finanzminister Christian Lindner (FDP) warf Brinkhaus vor, beim Nachtragshaushalt gegen die Prinzipien der nachhaltigen Haushaltsführung zu verstoßen: Es sei ein „Sägen an den Fundamenten der Schuldenbremse“, wenn Lindner jetzt überschüssiges Geld für die Bekämpfung der Pandemiefolgen in den Klimaschutz stecken wolle.

Brinkhaus versprach für CDU und CSU eine „gestaltende“ Oppositionsarbeit, die nicht nur Kritik üben, sondern konkrete Gegenvorschläge präsentieren wolle und gleichzeitig bereit sei zur Zuspitzung. Das alles könnte zu einem muntereren Parlamentarismus führen, als man ihn in den vergangenen 16 Jahren erlebt hat. Aber zur allgemeinen Debattenfaulheit, auch das sollte festgehalten werden, hat die CDU selbst einen gehörigen Anteil beigetragen.

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