Regierungserklärung zur Zeitenwende - Olaf Scholz und das neue „Deutschland-Tempo“

In seiner Regierungserklärung bekräftigt der Bundeskanzler die deutsche Unterstützung für die Ukraine – und geht mit der Initiative von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer hart ins Gericht. Friedrich Merz wirft Olaf Scholz vor, hinter seinen eigenen Ansprüchen zurückzubleiben. Und AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla sieht die USA als Kriegsgewinnler.

Bundeskanzler Olaf Scholz während seiner Regierungserklärung / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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„Ein Jahr Zeitenwende“: Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers wenige Tage nach dem Jahrestag seiner entsprechenden Rede sollte insbesondere ein Signal der Geschlossenheit sein. Einer Geschlossenheit innerhalb der Ampelregierung, aber auch innerhalb des westlichen Bündnisses gegen Russland und Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Tatsächlich hätten die zurückliegenden zwölf Monate eine Zerreißprobe bedeuten können – insbesondere für eine Koalition mit sehr unterschiedlichen Partnern wie eben der SPD, den Grünen und der FDP. Doch trotz aller Spannungen und diverser Verstimmungen insbesondere zwischen Olaf Scholz und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock: Rot-Gelb-Grün steht, und daran wird sich nichts ändern. Das jedenfalls ist die Quintessenz vom Auftritt des Bundeskanzlers an diesem Donnerstag im Parlament. Die nachfolgenden Redner aus den Reihen der Grünen und der Liberalen sollten dies untermauern.

Scholz selbst begann seine Regierungserklärung mit einem Tagebucheintrag der ukrainischen Schriftstellerin Yevgenia Belorusets, die nach Beginn des Kriegs notiert hatte, nun sei die Zeit angebrochen, um tapfer zu handeln. Dieses Motto schien der Kanzler auch für seine Regierung in Anspruch nehmen zu wollen. Jedenfalls beteuerte er, wer Frieden schaffen wolle, der müsse sich zunächst einmal dem Aggressor und dessen Unrecht klar entgegensetzen. „Wir unterstützen die Ukraine, so lange es nötig ist“, so Scholz – und bedankte sich gleichzeitig bei Unionsfraktionschef Friedrich Merz für die Unterstützung bei diesem Kurs.

Scholz fliegt nach Washington

Olaf Scholz, der noch an diesem Donnerstag zu Gesprächen mit US-Präsident Biden nach Washington fliegen wird, übte auch Kritik an der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten „Friedensdemonstration“ vom vergangenen Wochenende. Mit der Einstellung von Waffenlieferungen an die Ukraine komme man dem Frieden nicht näher; würde das Land aufhören, sich zu verteidigen, wäre es dem Untergang geweiht. Einen Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainer hinweg dürfe es deshalb nicht geben. Zumal auch die Sicherheit Europas die „Verteidigung unserer Friedensordnung“ verlange. Der Kanzler benannte den russischen Präsidenten Putin und dessen Regime klar als die Verantwortlichen für diesen militärischen Konflikt; es müsse klargemacht werden, dass nicht entgegen der Schlussakte von Helsinki Grenzen verschoben werden dürften. Putin setze im Übrigen auch in seinem eigenen Land auf „brutale Repression“.

Scholz lobte den chinesischen Präsidenten Xi Jinping dafür, dass dieser sich klar gegen jede Drohung mit Atomwaffen gewandt habe – rief Peking im gleichen Atemzug aber dazu auf, keine Waffen an Russland zu liefern. Er selbst und seine Regierung würden Entscheidungen über Waffenlieferungen an die Ukraine niemals leichtfertig treffen, so der Kanzler, und erinnerte daran, dass Deutschland zu den stärksten Unterstützern des angegriffenen Landes zähle: militärisches Material, Ersatzteile, Munition und die Ausbildung ukrainischer Soldaten seien wesentliche Hilfen im Abwehrkampf (siehe auch Grafik am Ende dieses Beitrags). In diesem Zusammenhang beschwor er auch eine enge und vertrauensvolle Partnerschaft Deutschlands und der Vereinigten Staaten.

Das neue „Deutschland-Tempo“

Scholz hob hervor, dass Europa sich in „Zeitraffergeschwindigkeit“ aus der Abhängigkeit von russischen Energieträgern befreit habe und lobte in diesem Zusammenhang den schnellen Bau von Flüssiggasterminals. Dieses neue „Deutschland-Tempo“ müsse jetzt auch in anderen Bereichen gelten, insbesondere beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Der Kanzler bekräftigte das Zwei-Prozent-Ziel für die Bundeswehr; seine Regierung mache Schluss mit der Vernachlässigung des deutschen Militärs. Im Übrigen habe das entschlossene Handeln der Ampel-Regierung verhindert, dass es zu einem vielfach vorhergesagten „Wut-Winter“ mit unbeheizten Wohnungen gekommen sei. Aktuell seien die Gasspeicher immer noch zu 70 Prozent gefüllt.

 

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Nach Scholz trat Friedrich Merz als Anführer der größten Oppositionsfraktion ans Mikrofon und signalisierte dem Kanzler seine grundsätzliche Unterstützung in Sachen Ukrainekrieg. Zugleich äußerte er scharfe Kritik an den Wagenknecht-Schwarzer-Demos: Dort würden AfD und Linkspartei gemeinsame Sache machen, und zwar bei konsequenter Verwechslung von Tätern und Opfern. Wenn Wagenknecht äußere, Vergewaltigungen kämen „in jedem Krieg auf jeder Seite“ vor, dann sei das „niederträchtig und beschämend für das ganze Land“. Putin führe einen völkerrechtswidrigen Angriff und sei mit seinen Regime allein verantwortlich für diesen Krieg.

Kritik übte Merz dann aber an der Zögerlichkeit des Bundeskanzlers bei Waffenhilfen und dass dieser die Lieferung von deutschen Leopard-2-Panzern an die Ukraine davon abhängig gemacht habe, dass die Amerikaner ihrerseits (für diesen Konflikt eher unbrauchbare) Abrams-Panzer liefern. Auch sei Scholz’ wortgewaltiges Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel eine Augenwischerei. Der Verteidigungsetat des laufenden Jahres sei im Vergleich zu 2022 nämlich sogar um 300 Millionen Euro geschrumpft. Merz’ Fazit: Der Bundeskanzler bleibe hinter seinen eigenen Ansprüchen an die von ihm selbst ausgerufene Zeitenwende zurück.

Chrupalla: „USA sind die eigentlichen Gewinner“

Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann bekräftigte nach Friedrich Merz im Wesentlichen mit denselben Argumenten wie Scholz den Ukraine-Kurs der Bundesregierung und kritisierte ebenfalls die Wagenknecht-Schwarzer-Initiative. Ihr folgte der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla mit einer Kritik an der „gefährlichen Kriegsrhetorik“ seitens der Ampelkoalition. Beim Ukrainekonflikt gebe es „nur einen Gewinner, nämlich die USA“. Zumindest bei diesem Punkt zeigt sich eine nahtlose Anschlussfähigkeit der AfD an die Wagenknecht-Linke. Chrupalla weiter: Es sei „größenwahnsinnig“, eine Atommacht wie Russland „zerschlagen zu wollen“.

Der FDP-Fraktionschef Christian Dürr rief die Linkspartei dazu auf, sich vom Wagenknecht-Flügel loszusagen; russische Kriegsverbrechen müssten geahndet werden. Dietmar Bartsch schließlich, Fraktionsvorsitzender der Linken, verurteilte den „brutalen und unerträglichen Feldzug“ Russlands gegen die Ukraine – sprach sich aber klar dagegen aus, die Forderungen nach Frieden und nach Verhandlungslösungen als Schwurblerei abzutun. Dies erinnere ihn stark an die Verengung des Meinungskorridors zu Corona-Zeiten. Außerdem machte Bartsch in Richtung der Union darauf aufmerksam, dass der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer sich schon zu einem frühen Zeitpunkt des Ukrainekriegs für ein „Einfrieren“ des Konflikts ausgesprochen habe.

Ukrainehilfen der einzelnen Länder / Grafik Geopolitical Futures
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