Rassismus-Debatte - Beschwichtigung und Bezichtigung

Beim Thema Migration fordern weite Teile von Medien und Politik Differenzierung ein. Was dabei herauskommt, ist aber oft die pauschale quasi Heiligsprechung von Zugewanderten und das kollektive Verdächtigen staatlicher Institutionen wie Polizei und Bundeswehr.

Ein junger Mann mit Mundschutz hält ein Pappschild mit der Aufschrift „Polizei=Nazi“ bei einer Demonstration in Frankfurt / dpa
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Autoreninfo

Judith Sevinç Basad ist Journalistin und lebt in Berlin. Sie studierte Philosophie und Germanistik und volontierte im Feuilleton der NZZ. Als freie Autorin schrieb sie u.a. für FAZ, NZZ und Welt. Sie bloggt mit dem Autoren-Kollektiv „Salonkolumnisten“. 

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Flüchtlinge sind kriminell. Frauen kennen sich mit Technik nicht aus. Und muslimische Männer haben ein Problem mit Homosexuellen. Eigentlich sollte klar sein, dass solche Sätze diskriminierend sind. Denn nur, weil eine Teile einer zugewanderten Minderheit gegen das Gesetz verstößt, sagt das nichts über alle oder einzelne Migranten aus. Nur, weil sich Frauen im Schnitt tatsächlich weniger für Technik interessieren als Männer, muss das nicht auf jede Frau zutreffen. Und nur, weil im Islam mitunter eine grauenhaftes Sexualmoral gefeiert wird, macht das nicht jeden Muslim zum Sexisten.

Kurz: Es ist eine der Errungenschaften unserer Zeit, dass wir uns zwingen können, gegen Klischees anzudenken, um Menschen nicht über einen Kamm zu scheren oder sie vorschnell zu verurteilen.

Stereotyp von der mörderischen Staatsmacht

Dieser Grundsatz zur Offenheit, das Vermeiden von Pauschalisierungen, wird in vielen Medien aber gerne genau dann über den Haufen geworfen, wenn es folgende Gruppen trifft: Polizisten und Bundeswehrsoldaten. Seit dem Tod an George Floyd, der überhaupt nichts mit der deutschen Polizei zu tun hat, kämpft hier ein Vorurteil wacker gegen jeden gesunden Menschenverstand an: das Stereotyp von der mörderischen Staatsmacht, die flächendeckend ein Problem mit Schwarzen und Migranten hätte und potenziell in rechtsextremistische Machenschaften verstrickt wäre.

Nehmen wir etwa die Berichterstattung über die Randale, die sich in Stuttgart und Frankfurt ereigneten. Die Stuttgarter Polizei ermittelte bei einigen Tatverdächtigen die Herkunft der Eltern, um sicherzustellen, ob ein Migrationshintergrund vorlag. Das sei wichtig, erzählte die Polizei bei einer Pressekonferenz, um mögliche Präventionsmaßnahmen einzuleiten. Doch das Stereotyp der Polizei als rassistischer Nazi-Verein wog schwerer als jeder Fakt: In fast allen Kommentaren, Berichten und vielen Statements von Politikern wurde der Institution unterstellt, dass sie eine „Stammbaumforschung“ betreiben würde, mit der sie Migranten qua Herkunft unter Generalverdacht stellen würde.

Dann muss es eben das Umfeld sein

Eine ähnliche Aufregung konnte man beobachten als Marcel Bohnert, der Leiter der Social-Media-Abteilung der Bundeswehr, drei Bilder auf Instagram mit „Gefällt mir“ markierte. Das Problem: Der Account mit dem Namen „incredible_bramborska" gehört einem Mitglied der „Identitäten Bewegung“, mit dem sich Bohnert vor einigen Jahren kurz unterhalten hatte. Drei Likes im Internet – für die Sendung „Panorama“ reichte das aus, um Bohnert als Rechtsextremisten darzustellen, der „mit den Identitären sympathisiert“.

Selbst nachdem sich Bohnert von der extrem Rechten distanzierte und bekannt wurde, dass er sich auf Social-Media für Diversität und gegen Rassismus positioniert, tritt „Panorama“ noch einmal nach – indem das Format die Burschenschaften und Studentenvereinigungen unter Beschuss nahm, bei denen Bohnert in der Vergangenheit Vorträge hielt. Motto: Wenn der Soldat schon kein Nazi ist, dann muss es eben sein Umfeld sein.

Sozial auf die schiefe Bahn geraten

Natürlich ist die Sorge, dass nationalsozialistisches Gedankengut in der Gesellschaft weiterlebt, gerechtfertigt. Das haben nicht nur die NSU-Morde gezeigt. Vor kurzem wurde an einem PC der hessischen Polizei Daten abgerufen, mit denen im Zuge der „NSU 2.0“-Affäre Morddrohung-Briefe an prominente Personen mit Migrationshintergrund verschickt wurden. Auch das KSK stand immer wieder im Verdacht des Rechtsextremismus, weil etwa in den eigenen Reihen Hitlergrüße gezeigt oder bei einzelne Soldaten Waffen und rechtsextremistische Hetzschriften gefunden wurden. Es ist also absolut notwendig, dass sich Staat und Medien mit diesen Straftaten und potenziellen Neo-Nazis beschäftigen.

Man kann es mit der Angst vor Rassismus aber auch übertreiben. Auch das konnte man während der beiden Krawall-Nächte beobachten. Der Migrationshintergrund der Tatverdächtigen hätte nichts mit der Gewalttätigkeit zu tun, lautete der Tenor. Stichwort: Partyszene. Es wären doch einfach nur junge Menschen gewesen, die sozial auf die schiefe Bahn geraten wären, twitterte etwa die Grüne Jugend.

Hier wird die Gewalt, die in diesem Fall von Migranten ausgeht, beschwichtigt, weil man Angst hat, dass man die rassistische Hetze der AfD befeuern könnte.

Straftäter oder Heilige

Das ist besonders albern. Denn in Grunde, ist man auch hier nicht in der Lage, zu differenzieren. Dass gewisse eingewanderte Bevölkerungsgruppen im Vergleich zu Deutschen häufiger gegen das Gesetz verstoßen, lässt sich in jeder Kriminalitätsstatistik nachlesen. Aber nochmal: Das trifft nur für einen Bruchteil der Eingewanderten zu. Die Mehrheit verhält sich friedlich.

Dieses Denken in Kollektiven erstaunt: Denn, was hinsichtlich der Gruppe Frauen inzwischen zu funktionieren scheint  – sich eben nicht von Stereotypen oder vermeintlich negativen Eigenschaften leiten zulassen – scheint gerade bei Zugewanderten nicht möglich zu sein. In weiten Teilen der medialen und politischen Debatte gibt es immer nur zwei Optionen: Migranten sind per se entweder Straftäter oder quasi Heilige.

Polizeiarbeit schafft Grundlagen

Bis Oktober 2019 registrierte die Berliner Polizei 261 Fälle von Hasskriminalität gegen LGBTQs. Vor einiger Zeit erzählte der Geschäftsführer eines queeren Vereins im Berlin-Brandenburg, dass Schwulenhass vor allem unter Muslimen weit verbreitet sei. Die Frauenrechtlerin Seyran Ateş steht indes unter permanenten Polizeischutz, weil sie in Berlin-Moabit eine Moschee gegründet hat, in der Queers, Frauen und Männer nebeneinander beten können. Auch hier kommt der Hass aus der muslimischen Community.

Um es kurz zu machen: Ja, Deutschland hat ein Problem mit kriminellen Einwanderern. Und ja, es ist die Polizei, die Minderheiten nicht nur vor deren Angriffen schützt, sondern sie dokumentiert und damit die Grundlage dafür schafft, das Problem überhaupt zu benennen und anzugehen. Ist das jetzt rassistisch? Nein, auf keinen Fall. Aber ein guter Grund, nicht derart blind auf die Uniformierten einzuschlagen – real wie verbal.

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