Psychologe über Empfehlung des Familienministeriums - „Pubertätsblocker für Kinder dürfen nicht verharmlost werden"

Auf der Internetseite des Bundesfamilienministeriums sorgte ein Beitrag für große Aufregung. Darin wird geschlechtlich verunsicherten Kindern wärmstens empfohlen, sogenannte Pubertätsblocker einzunehmen. Mit dem Psychologen Bernd Ahrbeck spricht Cicero über die Gefahren dieser Medikamente, den massiven Hype um Transsexuelle und die Macht ihrer Lobby.

Eine Aktivistin auf einer queeren Kundgebung / picture alliance
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Bernd Ahrbeck ist Psychoanalytiker und Professor für psychoanalytische Pädagogik an der International Psychoanalytic Universtiy (IPU) in Berlin. Zuvor unterrichtete er als Professor für Rehabilitationswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der psychoanalytischen Pädagogik, schulischen Inklusion und Transsexualität.

Herr Ahrbeck, das Familienministerium empfiehlt jungen Menschen, die sich in ihrer Geschlechtsidentität unsicher sind, die Einnahme sogenannter Pubertätsblocker. Können Sie uns erklären, was das ist?

Pubertätsblocker sind Medikamente, die den biologischen Entwicklungsschub von Jugendlichen aufhalten. Das heißt, dass Mädchen nicht zu Frauen und Jungen nicht zu Männern werden. Der Sinn dahinter ist es, Zeit zu gewinnen, damit die mögliche Entscheidung zu einer Geschlechtsumwandlung noch längere Zeit überdacht werden kann.

Kann das tiefgreifende Nebenwirkungen für die jungen Menschen haben?

Wenn die Pubertät aufgehalten wird, können die Jugendlichen nicht lernen, wie es sich anfühlt, eine Frau oder ein Mann zu sein. Kann man überhaupt eine solche Entscheidung treffen, wenn man das eigene Geschlecht noch nie aus der Perspektive eines biologischen Erwachsenen erlebt hat? Ein vorpubertärer Neunjähriger ist noch ein Kind und kann noch gar kein ausgeprägtes Empfinden für das eigene Geschlecht haben. Im fehlt zumeist schlichtweg die Vorstellung davon.

Psychologe Bernd Ahrbeck / Ahrbeck

In der Veröffentlichung gab es zunächst keinerlei Hinweise, dass die Kinder einen Arzt aufsuchen sollen, bevor sie die Medikamente konsumieren. Wie gefährlich ist die Einnahme von Pubertätsblockern ohne professionelle Aufsicht?

Soziale Transition ist noch relativ harmlos, also wenn jemand sich nur anders benennt und anders kleidet. Ich finde es aber ehrlich gesagt grob fahrlässig, wenn Kindern der Eindruck vermittelt wird, allein sie könnten darüber entscheiden, ob sie Pubertätsblocker nehmen. Pubertätsblocker greifen direkt in die Entwicklung des menschlichen Körpers ein und sind die Vorstufe einer Geschlechtsumwandlung. Diese medizinische Tatsache darf im aktivistischen Eifer nicht einfach verharmlost und relativiert werden. Die Einnahme von Pubertätsblockern führt für die Kinder und Jugendlichen oft in eine unumkehrbare Einbahnstraße. Die Möglichkeit, dass die Betroffenen sich doch noch mit ihrem Geschlecht versöhnen, werden durch Pubertätsblocker sehr erschwert.

Die Diagnose der Transsexualität ist in vielen europäischen Ländern in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Woher kommt diese Entwicklung?

Es gibt in unseren westlichen Gesellschaft einen regelrechten Hype um Transsexualität. Gerade in den USA gibt es Medienstars wie die transsexuelle Ellen Page, die für die junge Generation zum Vorbild werden. Transaktivistische Influencer flüstern Jugendlichen schon in jungen Jahren ein, dass die Geschlechtsumwandlung die ultimative Lösung ihrer vielfältigen Probleme sei. Die Verbände der Transsexuellen befördern diesen Trend und treten sehr aktivistisch und propagandistisch auf.

Ist es in unserer Gesellschaft hip, transsexuell zu sein?

Das kann man fast schon so sagen. In bestimmten Milieus ist es trendig, sich öffentlich zur Transgeschlechtlichkeit zu bekennen. In den USA gab eine Klasse, in der sich 14 von 28 Schülern einer Geschlechtsumwandlung unterziehen lassen wollten. In einer Schulklasse im Bayerischen Wald waren es vier Schüler. Wissen Sie, einflussreiche Menschen wie der grüne Staatssekretär Sven Lehmann behaupten, das sei in der Geschichte schon immer so gewesen, nur ehemals durch mangelnde Aufklärung oder Angst vor Diskriminierung nicht entdeckt worden. Das ist, mit Verlaub, großer Unsinn.

Wie schaffen es transsexuelle Aktivisten, die öffentliche Debatte dermaßen stark zu beeinflussen?

Die Lobby der Transsexuellen ist sehr lautstark und gut vernetzt. Sie bewegt sich stark im Umfeld von Parteien und politischen Institutionen, um diese mit ihren aktivistischen Ansichten zu beeinflussen. Außerdem treten Aktivisten im wissenschaftlichen Diskurs zunehmend aggressiver und offensiver auf. Andersdenkende werden knallhart gecancelt oder in das soziale Abseits gestellt. Viele Aktivisten haben ein eindimensionales Weltbild, das Kritiker ihrer Ansichten automatisch zu Feinden werden lässt. Auf diese Weise versuchen sie auch kritische Forschungen über die langfristigen psychischen und körperlichen Folgen zu unterbinden. In den USA gibt es bereits eine mächtige Allianz zwischen der Trans-Lobby und Kliniken, die Geschlechtsumwandlungen als profitables Geschäftsmodell anbieten.

 

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Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, ob Transsexualität genetisch bedingt ist?

In transaffirmativen Kliniken wird behauptet, dass sich Transsexualität auf die Genetik eines Menschen zurückführen lässt. Aber dafür gibt es keine durchschlagenden Argumente. Auch als Psychoanalytiker wissen wir noch zu wenig. Alice Schwarzer sagt ja immer, die Rollenbilder von Frauen seien zu eingeengt und führten deshalb zu geschlechtlichen Unsicherheiten. Das mag ein Grund sein, reicht aber allein zur Erklärung nicht aus. Eine Kombination unterschiedlicher Faktoren halte ich daher für am wahrscheinlichsten.

Wo verläuft die Grenze zwischen jugendlicher Orientierungslosigkeit und tatsächlich diagnostizierter Transsexualität?

Das ist ganz schwierig. Wir haben dahingehend keine vernünftigen prognostischen Kriterien. Es gibt sicherlich Menschen, die begründet davon ausgehen, dass sie im falschen Körper gefangen sind. Das ist überhaupt nicht in Frage zu stellen. Für sie ist eine Geschlechtsangleichung natürlich ein Segen. Nur: eine wirkliche Umwandlung gibt es nicht, das sollte auch klar sein. Der massive Anstieg der Diagnosen muss uns als Gesellschaft allerdings kritisch zu denken geben. Wir erleben zurzeit eine beunruhigende Entwicklung.  

Wie meinen Sie das?

Aufgebrachte Eltern kommen ganz häufig zu mir und beschweren sich darüber, wie schnell und unkritisch ihrem Kind die Diagnose Transsexualität gestellt wurde. In manchen Beratungsstellen wird verunsicherten Jugendlichen deutlich zu rasch zu einer Geschlechtsumwandlung geraten. Doch für diese weitgehende Entscheidung braucht es Zeit, ausführliche, ergebnisoffene Beratungen und Psychotherapien neben einer ärztlichen Begutachtung. Die geschlechtliche und sexuelle Orientierungssuche gehörte immer schon zur Pubertät dazu. Irritationen sind unvermeidlich. Die allermeisten jungen Menschen versöhnen sich im Verlauf der Pubertät mit ihrem Ursprungsgeschlecht.

Sie lehnen das geplante Selbstbestimmungsgesetz der Ampel-Koalition ab, das die Rechte transsexueller Menschen stärken soll. Was sind Ihre Kritikpunkte?

Das geplante Selbstbestimmungsgesetz halte ich für fatal. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: In England hat die berühmte Tavistock Clinic ihre Tore geschlossen. Sie war die wichtigste Anlaufstelle für Geschlechtsumwandlungen in Großbritannien. Ihre transaffirmative Haltung ist restlos gescheitert. Ehemals Betroffene haben sie mit Klagen überzogen und werfen der Klinik vor, dass ihr Geschlecht ohne vorhergehenden Fragen viel zu schnell und leichtfertig umgewandelt wurde. Sie waren damals ja fast allesamt Kinder. Eine Betroffene, Kiera Bell, schildert eindringlich, dass Sie ihre weit vorangeschrittene Geschlechtsangleichung im höheren Alter als Fehler erkannte. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich bin sehr wohl für die Rechte und eine mögliche Geschlechtsangleichung transsexueller Menschen. Aber wir dürfen psychotherapeutische Beratungen und professionelle Begutachtungen nicht einfach über Bord werfen. Das würde zu gravierenden Folgen führen, wie das Beispiel des britischen Krankenhauses zeigt.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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