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Foodwatch - Warum Anne Markwardt sauer auf den Joghurt ist

„Es gibt sehr viele Verbraucher, die sich ärgern, dass nicht drin ist, was draufsteht,“ sagt Anne Markwardt. Sie ist das neue Gesicht der Verbraucherschutzorganisation „Foodwatch“

Autoreninfo

Georg Löwisch war bis 2015 Textchef bei Cicero. Am liebsten schreibt er Reportagen und Porträts. Zu Cicero kam er von der taz, wo er das Wochenendmagazin sonntaz gründete. Dort kehrte er im Herbst 2015 als Chefredakteur zurück.

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Um 13:47 Uhr im CAP-Supermarkt in Berlin-Karlshorst klettert Anne Markwardt in einen Einkaufswagen. Der Kameramann ruft: „Läuft“, und Tim, der Reporter von „logo!“, den Nachrichten des Kinderkanals, schiebt Markwardt durch die Regalflure, vorbei am Tee, an der Marmelade. Sie lässt die Beine aus dem Wagen baumeln. „Eine schöne Position“, ruft der Kameramann, und Tim macht Tempo, stoppt, macht Tempo, vor, zurück. Sie lächelt, sie weiß, dass hier gerade ein gutes Bild entsteht.

Ein perfektes Bild, denn in dem Kika-Film über Lebensmittelkennzeichnung wird sie auf diese Weise zur Freundin des Reporters, zur Vertrauensperson, die entscheidet, worauf man beim Einkauf achten muss. Davon träumen andere Interessenvertreter in Berlin: Dass die Rollen des Reporters und der Lobbyistin ineinanderfließen. Aber für Anne Markwardt und ihre Organisation Foodwatch ist so etwas inzwischen Gewohnheit. Man kann diesen Erfolg nicht nur auf die Skandale zurückführen, auf das Pferdefleisch in der Lasagne, die falsch gekennzeichneten Eier und das verschimmelte Viehfutter. Dass Foodwatch Deutungsmacht gewinnt, hat Methode.

Anne Markwardt, 31, bewarb sich vor fünf Jahren bei Foodwatch. Sie hatte in Berlin Theater- und Kulturwissenschaften studiert. Thilo Bode, einst Chef zuerst von Greenpeace Deutschland, dann Greenpeace International, hatte sich nach dem Skandal um die Rinderseuche BSE 2002 eine Art NGO-Start-up zusammengebaut: „Foodwatch, die Essensretter“. Als Markwardt bei Bode im Bewerbungsgespräch saß, erzählte sie von einem Fernsehspot, dem sie misstraute. Darin pries Jörg Kachelmann bei Wind und Wetter den Joghurt Actimel an und versprach eine Stärkung der Abwehrkräfte.

Anderthalb Jahre später stand Markwardt auf dem Münchner Marienplatz neben einem riesigen Actimel-Becher, den sie vor laufenden Kameras zur dreistesten Werbelüge des Jahres kürte. Markwardt sagte in die Mikrofone: „Es gibt sehr viele Verbraucher, die sich darüber ärgern, dass nicht draufsteht, was drin ist oder nicht drin ist, was draufsteht.“

In dem Satz steckt die Rezeptur von Foodwatch, sie ist einfach und reduziert: Die Organisation fordert erst einmal nur Transparenz. „Alle müssen essen und deshalb Essen einkaufen“, sagt Markwardt.

„Wenn sie Geld ausgeben und belogen werden, sind sie sauer.“ Bevormundung wird vermieden, denn die Verbraucher lassen sich nicht gern den Speisezettel vorschreiben. Foodwatch mobilisiert nicht gegen die Fleischproduktion wie Peta oder schwelgt im Genuss der Weißen Gehörnten Heidschnucke wie Slowfood. Die Biobewegung? „Wir lassen uns nicht vereinnahmen.“

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Bode hat Markwardt gelehrt, wie man Kampagnen führt. Große Marken attackieren. Akribisch vorbereiten. Aggressiv zuschlagen. Mitmachkomponenten einbauen. Nicht einlullen lassen. Prägnant formulieren, auch mal ironisch. Inzwischen hat sie „abgespeist.de“ an einen Kollegen abgegeben und eine Kinderkampagne entwickelt. „Wir wollen, dass die Unternehmen aufhören, Kinder auf die falsche Ernährung zu polen, weil ihr das die größten Profite einbringt“, sagt sie. Es geht vor allem gegen zu viel Zucker. Richtige und falsche Ernährung? Das weicht von der puren Transparenzstrategie ab. Bei Kindern ist das aber nicht so heikel. An ihnen erzieht die Gesellschaft ganz gern herum.

„Das Thema Essen wächst“, sagt Anne Markwardt. Foodwatch ist auf 25 000 Fördermitglieder angewachsen. Wer über 5000 Euro zahlt, wird auf der Website genannt, um Transparenz herzustellen. Ab 500 Euro wird geprüft, ob ein Zusammenhang zur Lebensmittelindustrie besteht. Spenden wie die des Schokoladenfabrikanten Alfred Ritter in den Anfangsjahren würden heute abgelehnt, erklärt die Verbraucherschützerin. Inzwischen hat ihre Organisation 13 Mitarbeiter. In der Woche, als der Kika-Reporter sie durch den Supermarkt schaukelt, ist sie außerdem in der „Abendschau“ des RBB und im „ARD‑Morgenmagazin“ zu Gast. Es geht um den Eierskandal. Sie wirkt ruhig vor der Kamera mit ihrem geraden, klaren Blick. Sie breitet keine Vision über eine bessere Essenswelt aus, sie beschränkt sich auf eine Forderung: Alle Informationen müssen „auf den Tisch“. Im Morgenmagazin gebraucht sie die Formulierung vier Mal.

So schnell ändert sich die Welt der Lebensmittel allerdings nicht. Der Danone-Konzern hat die Werbung für Actimel modifiziert und eine Champignonsuppe ihr Rezept. Doch die Behörden zögern sogar, Hersteller zu outen, die gegen Vorschriften verstoßen. Sie prüfen, beschreiten Dienstwege, erheben Gebühren. Foodwatch? Essensretter? Der Sachbearbeiter ist zu Tisch!

Aber schon an Markwardts Biografie kann man sehen, wie stark sich Politisieren ums Essen in der Gesellschaft verankert. Sie kommt aus Klütz, einer Kleinstadt an der Ostsee, der Vater war Landarzt. Vor den Sommerferien gab es in ihrer Schule in Grevesmühlen einen Projekttag. Einmal protestierten sie und ihre Mitschüler gegen Gentechnik, ihre Mutter nähte ein Tomaten­kostüm. Eine Aktion mitten im Mainstream der Provinz.

Jetzt steht sie mit Tim vom Kika vor der Fleischtruhe. Sie zeigt – Kamera läuft – eine Packung Hackfleisch, das womöglich mit Sauerstoff behandelt ist, damit es außen rot aussieht, obwohl es innen schon grau und zäh ist. Tim nickt. Im Film wird er den Kindern erklären, dass die Politik bessere Gesetze machen muss. 

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