Politik als Beruf - Wie Max Weber die AfD stoppen würde

Die massive Unzufriedenheit der Bürger mit dem politischen Personal ist ein zentraler Grund für den derzeitigen Höhenflug der AfD. Nach Max Weber benötigt ein guter Politiker Leidenschaft für die Sache, Verantwortung für das Allgemeinwohl und Augenmaß. Doch daran fehlt es oftmals.

Die Beletage der deutschen Politik: Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck / dpa
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Autoreninfo

Volker Boehme-Neßler ist Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikations- recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Davor war er Rechtsanwalt und Professor für Europarecht, öffentliches Wirtschaftsrecht und Medienrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) in Berlin.

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Die Zufriedenheit mit der Politik ist in Deutschland nicht groß. Aktuelle Umfragen zeigen immer wieder: Das Vertrauen der Bürger in die Politik nimmt ab, die Politikverdrossenheit – und schlimmer noch: die Demokratieverdrossenheit – nimmt zu. Das hat viele Gründe.

Eine Ursache ist sicher, dass viele – nicht alle! – Spitzenpolitiker in den letzten Jahren ein schlechtes Bild abgeben. Sie wirken nicht selten inkompetent und überfordert. Und sie sind es auch. Ein besonders krasses Beispiel war die frühere Bundesverteidigungsministerin. Auch die Außenministerin oder der Wirtschaftsminister strahlen keine vertrauenerweckende Kompetenz aus. Und der Bundeskanzler? Dass er kompetent und souverän die anstehenden Probleme löst, ist nicht der vorherrschende Eindruck. Was also müssen gute Politiker können? 

Vom Hörsaal an die Macht   

Erstaunlich – oder erschreckend – viele Abgeordnete im Bundestag weisen als Schlüsselqualifikation ein abgebrochenes Studium auf. Selbstverständlich ist kein Studium nötig, um ein guter Politiker zu sein. Es gibt zahllose Beispiele dafür. Georg Leber, Holger Börner oder Horst Seehofer sind nur einige davon. Ein Studium abzubrechen, ist natürlich auch keine Schande, sondern oft eine gute Entscheidung. Problematisch wird es aber dann, wenn danach nichts mehr kommt – außer Parteiarbeit.

Endzwanziger, die ein Studium absolviert oder abgebrochen haben und vor allem Parteifunktionäre waren, sitzen jetzt im Parlament und an den Hebeln der Macht. Sie sind an Entscheidungen beteiligt, die den Alltag und das Leben von Millionen Menschen beeinflussen. Wird das gelingen? Skepsis ist erlaubt. Jedenfalls wirft das die Frage auf, welche Qualifikation ein Politiker, eine Politikerin eigentlich haben muss. 

Politik – ein Ausbildungsberuf? 

Politik ist kein Ausbildungsberuf. Es gibt nicht den einen Werdegang, der einen guten Politiker hervorbringt. Das ist auch gut so. In der Demokratie lebt die Politik von der Vielfalt, die alle möglichen Interessen und Strömungen in der Bevölkerung repräsentiert. Schaut man sich die ursprünglichen Berufe von Politikern an, wird man ein breites Spektrum entdecken. Es gab fast alles: Handwerker, Unternehmer, Rechtsanwälte, Ärzte, (Bau)Arbeiter, Techniker, Kaufleute, Putzfrauen. Die Liste ist unvollständig. Allerdings hat sich das Spektrum in den letzten 30 Jahren deutlich verengt.

 

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Inzwischen dominieren die Juristen und der öffentliche Dienst die Parlamente und die Regierungen. Das ist ein Problem. Denn der Politik fehlt immer stärker der wirtschaftliche und der technische Sachverstand. Unternehmer muss man in den Parlamenten mit der Lupe suchen. Auch Ingenieure und Techniker sind dort eher selten. Hier liegt eine – nicht die einzige – Ursache für zahlreiche schlechte politische Entscheidungen. Wie lässt sich das ändern? Sicher nicht durch eine Rechtsverordnung, die den neuen „Ausbildungsberuf Politiker“ im Detail regelt. Es ist wie immer in der Demokratie: Die Wähler sind die entscheidende Instanz. Sie müssten, und könnten, das ändern. 

Politik und Macht 

Was jeder Spitzenpolitiker beherrscht, sind Machtspiele. Kein Wunder: In der Politik geht es natürlich um Macht. Es geht darum, Interessen und politische Ziele auch im Konfliktfall und gegen Widerstand durchzusetzen. Und dazu braucht es Macht. Ohne Machtinstinkt wird man in der Politik scheitern. Analysiert man die Biografien von Politikern, wird man bei (fast) allen eine längere Zeit finden, in der sie sich der parteipolitischen Arbeit gewidmet haben. Das ist die Phase, in der sie lernen, wie man Macht erwirbt und sie einsetzen kann. Wer das nicht gelernt hat, kommt nicht in die Spitzenpolitik. In einem legendären Interview hat das der damalige Bundespräsident Weizsäcker 1992 mal so ausgedrückt: Ein Berufspolitiker ist ein Generalist mit dem Spezialwissen, wie man politische Gegner bekämpft. 

Das ist grundsätzlich normal und unproblematisch. Macht ist ein notwendiges Tool, um Politik zu gestalten. Nicht zuletzt ist das Gefühl der Macht ein Anreiz, um überhaupt in die Politik zu gehen. Ein Problem entsteht aber dann, wenn sich Politik in reinen Machtspielen erschöpft. Die Sachprobleme, die gelöst werden müssten, werden dann zweitrangig.

Nicht selten haben die Bürger in Deutschland inzwischen den Eindruck, dass es nicht um die Sache, sondern um parteipolitisches Taktieren, den reinen Machtgewinn und nicht zuletzt um betonharte Ideologie, narzisstische Egos und politische Rechthaberei geht. Die Diskussionen um die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke oder die Wärmewende sind besonders deutliche – und erschreckende – Beispiele dafür. Erst kommt das Land, dann kommt die Partei, hat Willy Brandt einmal gesagt. So sollte es sein, so ist es aber nicht.  

Politische Kommunikation 

Politik ist Kommunikation. Durch das gesprochene oder geschriebene Wort lassen sich Menschen für ein Ziel gewinnen und Anhänger mobilisieren. Die großen Redner aus den Demokratien der Antike sind frühe Beispiele dafür. In der modernen Mediengesellschaft gilt das immer noch, wenn auch modifiziert. Auf den Punkt gebracht hat das der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder: Zum Regieren brauche er nur Bild, BamS und Glotze, hat er einst verkündet.

Sein Vorgänger Helmut Kohl war kein großer öffentlicher Rhetoriker. Aber er war ein großer Kommunikator. Seine Kontakte und Beziehungen in der CDU waren legendär. Und er hatte tragfähige Kontakte und Kommunikationsbeziehungen in der ganzen Welt. Ein Beispiel: Ohne seine gelungene Kommunikation mit Gorbatschow, Mitterand, Bush und Thatcher Ende der 1980er-Jahre wäre die deutsche Wiedervereinigung sicher nicht so möglich gewesen. Wie wichtig Kommunikationsfähigkeiten und Medienkompetenz sind, zeigt das negative Beispiel der Ex-Verteidigungsministerin Lambrecht. Sie musste auch, aber nicht nur, wegen eines völlig verunglückten Silvestervideos zurücktreten.  

Fachpolitiker oder Generalist? 

Und was ist mit Fachwissen? Braucht ein Politiker auch Fachwissen? Es kann nicht schaden, aber zwingend notwendig ist es nicht. Spitzenpolitiker sind Generalisten, keine Spezialisten fürs Detail. Sie müssen den großen Überblick haben. Sie müssen Probleme und ihre möglichen Lösungen in große politische Zusammenhänge einordnen können.

Zugespitzt: Ein Energieminister muss kein ausgebildeter Physiker oder Atomingenieur sein. Er muss aber die politischen und ökonomischen Folgen erkennen und einordnen können, die ein Abschalten der Atomreaktoren haben kann. Der Wirtschaftsminister muss nicht jedes Detail seines Gebäudeenergiegesetzes kennen. Er muss aber die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen des Gesetzes richtig einschätzen und mit den Bürgern kommunizieren. Nicht zuletzt braucht er die Fähigkeit, den Bürgern und Verbänden zuzuhören.  

Dass Fachwissen keine Garantie für erfolgreiche Politik ist, zeigt das Beispiel Karl Lauterbach. Er ist nicht nur studierter Mediziner. Er hat auch sein ganzes politisches Leben in der Gesundheitspolitik verbracht. Trotzdem scheint er keine überzeugenden Ideen zu haben, wie man das Gesundheitssystem reformieren könnte – und müsste. Ein anderes Beispiel: Christine Lambrecht ist als Verteidigungsministerin nicht gescheitert, weil sie kein militärisches Fachwissen hatte. Sie ist gescheitert, weil sie die Bundeswehr nicht für sich gewinnen konnte. Und sie konnte der Öffentlichkeit nicht erklären, welche Rolle die Bundeswehr in den aktuellen kriegerischen Zeiten spielen könnte und müsste.  

Politik als Beruf 

Was also braucht ein guter Politiker? Leidenschaft für die Sache, Verantwortung für das Allgemeinwohl und Augenmaß, so hat Max Weber 1920 in seinem berühmten Vortrag zur „Politik als Beruf“ diese Frage beantwortet. Das trifft auch heute noch den Punkt. Misst man die aktuelle Politik an diesem Maßstab, fällt die Bilanz eher düster aus. Hier liegt der Grund für den Höhenflug der AfD. Die Bürger sind unzufrieden mit der Politik und den Politikern. Und sie haben kein Vertrauen mehr in die Politiker und die Politik. So einfach ist das.  

Wie könnte man das ändern? Indem man ein eiligst zusammengeschustertes Gebäudeenergiegesetz, das die Lebensplanung von Millionen Menschen betrifft, noch vor der Sommerpause durch das Parlament paukt? Indem man – als Gesundheitsminister – ernsthaft Hitzeschutzpläne entwickelt, statt sich um die vielen Baustellen im Gesundheitssystem zu kümmern? Indem man, wie die Innenministerin, öffentlich und anscheinend ernsthaft darüber nachdenkt, wie man die AfD verbieten könnte?

Ganz sicher nicht. Das ist genau der trickreiche, als unehrlich und anmaßend empfundene politische Narzissmus, der die Menschen abstößt. Die Bürger wollen etwas ganz anderes: Leidenschaft für die Sache, Verantwortung für das Allgemeinwohl und Augenmaß im Detail. Hoffentlich merkt die Politik das endlich. 

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