Personalengpässe in Kliniken - Lauterbachs lebensbedrohliche Symbolpolitik

Die Meldungen über quarantänebedingte Personalengpässe an deutschen Kliniken häufen sich. Sollte sich die Situation weiter verschärfen, droht genau die lebensbedrohliche Überlastung, welche die Politik in der Corona-Krise immer vorgab, verhindern zu wollen. Niemand dürfte das besser wissen als der Bundesgesundheitsminister. Doch bereits im April hatte sich Karl Lauterbach dazu entschieden, dringlichste Warnungen aus berufenem Munde zu ignorieren.

Durch die anhaltende Quarantänepflicht wird der Personalnotstand verschärft / dpa
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Philipp Fess hat Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften studiert und arbeitet als Journalist in Karlsruhe.

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Nur noch 45 Prozent aller Intensivbetten in Deutschland können derzeit ohne Einschränkungen betrieben werden, berichtete der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, vergangene Woche den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Das liege vor allem an dem Umstand, dass sich viele Mitarbeiter nach einem positiven Corona-Test in staatlich angeordneter Isolation befänden, so Marx. Aufgrund der fehlenden (und ohnehin zu wenigen) Fachkräfte seien im Vergleich zum Vorjahr etwa 2000 Betten weniger verfügbar, gleichzeitig werden dem Divi-Chef zufolge jedoch rund doppelt so viele corona-positive Patienten intensivmedizinisch behandelt. Die Personalausfälle machen sich nicht nur auf den Intensivstationen, sondern ebenso in der regulären klinischen Versorgung bemerkbar.

Erinnerungen an den Beginn der Krise

So klagte auch der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, jüngst darüber, dass in ganz Deutschland Stationen und Abteilungen wegen Personalmangels abgemeldet würden. Das genaue Ausmaß der Ausfälle kennt niemand, denn entsprechende Zahlen werden bisher nicht bundesweit erfasst (was niemanden wundern dürfte, der sich mit dem politisch anscheinend bedeutungslosen Evaluationsbericht auseinandergesetzt hat). Was heißt das alles nun für uns als potenzielle Patienten? Sie ahnen es: nichts Gutes.  

Denn um dem Versorgungsauftrag gerecht zu werden, müssen schon jetzt wieder planbare und nicht lebensnotwendige Operationen verschoben werden. Die Situation ähnelt auf den ersten Blick derjenigen zu Beginn der Corona-Krise, nur kann diesmal nicht die Krankheit als (alleinige) Ursache für die Notsituation gelten. „Wir müssen zu viele Mitarbeitende in Quarantäne schicken, die zwar einen positiven Test haben, sich aber gut fühlen, nicht mehr infektiös sind und eigentlich arbeiten gehen könnten“, fasste der erste Vorsitzende des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (und Bruder des Bundeskanzlers) Jens Scholz das Problem zuletzt gegenüber Welt zusammen. Aufgrund des fehlenden Personals sei auch die Versorgung der Patienten gefährdet, die an einem Herzinfarkt, einem Schlaganfall oder an Krebs leiden, warnte Scholz. Das klingt, als ob hier dringendes Handeln geboten ist.  

Lösungsvorschläge längst bekannt

Zumindest für FDP-Vize Wolfgang Kubicki scheinen entsprechende Warnungen so geklungen zu haben. Sonst hätte er nicht für eine Quarantäne-Verkürzung von fünf auf drei Tage plädiert, um die Lücken in der Versorgung schneller schließen zu können. Auch Jens Scholz zufolge besteht keine Notwendigkeit, die Quarantänemaßnahmen in der aktuellen Form weiterhin aufrechtzuerhalten. Hinter dieser Einschätzung verbirgt sich zugleich eine ganz andere Forderung. Eine, die auch der Bundesgesundheitsminister sehr gut kennt – selbst, wenn er sich bis heute erfolgreich geweigert hat, ihr nachzukommen: „Wir sollten mit Corona umgehen wie mit der Grippe“, schlägt Scholz nämlich vor, nach dem altbekannten und erprobten Grundsatz: „Wer krank ist, bleibt zu Hause“.  

Genau mit dieser Forderung wurde Karl Lauterbach schon am 22. März vom baden-württembergischen Gesundheitsminister Manfred „Manne“ Lucha konfrontiert. In einem Brief hatte Lucha Lauterbach um einen Strategiewechsel beim Corona-Management gebeten. „Ich glaube, dass ich diesen Brief ignorieren werde“, kommentierte Lauterbach damals bei der Bundespressekonferenz – das Schreiben sei mutmaßlich „aus Zorn oder aus Frustration heraus“ entstanden. Dabei hatte Lucha in seinem Brief explizit auf das gemeinsame Positionspapier der baden-württembergischen Gesundheitsämter verwiesen, welches seinem Brief zugrunde- und beilag. Das Positionspapier, in dem die Landesbehörden das Ende der Quarantäne- und Isolationspflicht sowie das der anlasslosen Corona-Tests forderten. Oder kurz: den Übergang zur Endemie.

 

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Neben der bürokratischen Überlastung der Gesundheitsämter führte das Papier auch rechtliche Bedenken gegen das Fortbestehen der Quarantänepflicht an: „Die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs ist bei der mäßigen Belastung der Kliniken nicht mehr gegeben“, hieß es. Auch der mittlerweile medial aufgearbeitete potenzielle Missbrauch von Teststationen wurde damals bereits thematisiert. Vor allem aber wurde vor dem gewarnt, was jetzt dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) um die Ohren zu fliegen droht: ein Versorgungsnotstand durch quarantänebedingten Personalmangel.

Den hatte das BMG Ende Mai in dieser Form möglicherweise noch gar nicht kommen sehen, als es auf eine Cicero-Anfrage zum Thema folgendermaßen antwortete: „Auch wenn es in einigen Regionen aufgrund infektionsbedingter Ausfälle zu Belastungen im stationären und intensivmedizinischem Bereich kommt, so müssen diese immer gegen die Gefahr einer Infektion für die dort zu versorgenden vulnerablen Gruppen abgewogen werden.“ Diese Argumentation mag nachvollziehbar sein, wenn die Gefährdung durch eine Atemwegserkrankung außerordentlich hoch ist. Nicht aber, wenn sie sich der einer Grippe annähert, bei der man entsprechende Risiken vormals offenbar bereit war, in Kauf zu nehmen – so wurde nicht zuletzt auch im Positionspapier argumentiert.

Und das sechs Tage, bevor die Gesundheitsminister der Länder das BMG und das Robert-Koch-Institut (RKI) dazu aufforderten, die Berechtigung der Quarantäneregeln zu prüfen. Acht Tage, bevor der vermeintlich eigene Vorstoß von RKI und BMG bekannt wurde, die Quarantänepflicht von zehn auf fünf Tage zu verkürzen – und rund zwei Wochen, bevor der Beschluss zur freiwilligen Quarantäne seinen kurzen öffentlichen Auftritt hatte.

Symbolpolitik vor Versorgungssicherheit

Denn – Sie erinnern sich? – am 5. April hatte Karl Lauterbach den Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz, die Einhaltung der Quarantäne nicht mehr nachzuverfolgen und auf Eigenverantwortung zu setzen, bei „Markus Lanz“ kurzerhand gekippt. Damit werde ein falsches psychologische Signal gesetzt und die Pandemie verharmlost, begründete Lauterbach seinen aufsehenerregenden Schritt bei der Pressekonferenz am darauffolgenden Mittwoch.

Der „symbolische Schaden“ wiege schwerer als die Warnungen der Gesundheitsämter, glaubte Lauterbach zu wissen. Dabei steht mit der Isolationspflicht doch offensichtlich weit mehr auf dem Spiel als die bürokratische Überlastung der Gesundheitsämter – nämlich das, worum es seit Beginn der Corona-Krise geht: die Gewährleistung der medizinischen Versorgung. Personalausfälle im Büro kosten Geld, im Krankenhaus könnten sie im schlimmsten Fall Leben kosten. Und der Verhinderung dieses Zustands dient(e) schließlich auch jegliche „symbolische“ Kommunikation in der Corona-Politik. Oder?

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