Der Winter der Krise - Die drohende Götterdämmerung für die Parteienlandschaft

Deutschland steht vor einem Winter der massiven Krisen. Astronomische Energiepreise, galoppierende Inflation und eine erneute Massenmigration könnten in der Ampel-Koalition zu einem Zustand der Handlungsunfähigkeit führen und die bestehende Parteienlandschaft dadurch sogar sprengen.

Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner auf einer gemeinsamen Pressekonferenz / picture alliance
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Markus Karp ist an der Technischen Hochschule Wildau Professor für Public Management und Staatssekretär a.D.

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Die Vorweihnachtszeit wird in Deutschland von starken Kontrasten gekennzeichnet sein: Im mit fossiler Energie märchenhaft reich gewordenen Katar wird die Fußballweltmeisterschaft über die Bühne gehen. Das Spektakel wird erst dadurch möglich, dass mit großem Aufwand eine gewaltige Infrastruktur aus dem Boden gestampft wurde und die mit dem Ballsport zu Multimillionären gewordenen Profis nebst wohlhabenden Fans über gewaltige Distanzen in die durchweg klimatisierte Scheinwelt reisen. Geboten wird ein Event wie aus der vor zwei Jahren versunkenen Welt vor Corona, vor der Zeitenwende des russischen Überfalls auf die Ukraine.

In Deutschland wird sich hingegen ein gänzlich anderes Bild bieten: Wegen astronomischen Energiepreisen infolge von Energiemangel droht eine Pleitewelle und für viele der Abstieg in die Armut. Es wird weniger Beleuchtung in den Städten geben, damit weniger Sicherheit. Weniger Mobilität, da sie unerschwinglicher geworden ist. Die Weihnachtsmärkte werden kleiner oder ganz ausfallen. Ein saures Fest steht bevor, und die beiden kältesten Monate des Jahres werden dem erst noch folgen. Nicht zu vergessen, dass auch andere Krisen, teils alte Bekannte, das gesellschaftliche und politische Klima belasten: aufbrechenden Interessengegensätze in Europa, mäandernde Coronapolitik, galoppierende Inflation, eine erneute Migrationskrise, marode öffentliche Infrastruktur, Zuspitzung der demographischen Schieflage und Reformstau in der Verwaltung.

Zurück in die Zukunft?

Nicht alle im Land sehen die Kernschmelze des deutschen Wohlstandsmodells als Katastrophe: In einem aktuellen Essay in der taz, einer Tageszeitung, welche von Wikipedia als „als grün-links, linksalternativ und systemkritisch“ beschrieben wird, heißt es: „Würden wir auf die Hälfte unserer Wirtschaftsleistung verzichten, wären wir immer noch so reich wie 1978. Auch damals ließ es sich gut leben. Es war das Jahr, als Argentinien Fußballweltmeister wurde und der erste Teil von ,Star Wars' in den Kinos lief.“

Unerwähnt bleibt allerdings, dass 1978 in Großbritannien auch das Jahr des sogenannten Winters der Unzufriedenheit war, zu dem eine Spirale aus Geldentwertung, Arbeitskämpfen und staatlichem Interventionismus geführt hatte. Straßen wurden unpassierbar, weil sich in ihnen meterhoch der Müll stapelte, Leichen blieben wochenlang unbestattet, weil sich die Totengräber im Streik befanden. Das Resultat war ein politischer Rechtsruck, der im Vereinigten Königreich gemeinhin als Ende des politischen Nachkriegskonsenses gilt.

Winter 1978/1979 war in Norddeutschland auch die Zeit der Schneekatastrophe, als Millionen Menschen nur dank Kohle und Kernkraft dem Frieren und Erfrieren entgehen konnten. Alles in allem also ist 1978 kein rein positiver Referenzpunkt, sondern eher ein Ausrufezeichen, weshalb es einen ökonomischen Rücksturz dorthin zu verhindern gilt. Selbst ökologisch brächte das nichts: Damals wurde keinesfalls umweltfreundlicher gewirtschaftet.

 

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Wie aber den Krisen begegnen, um solches zu verhindern? In der Regierungskoalition sitzen Parteien, deren Rezepte schier unvereinbar sind, weil die Kombination des deutschen Regierungsmodells der Mehrheitskoalition und die Zersplitterung der hiesigen Parteienlandschaft inzwischen weltanschaulich weit auseinanderliegende Partner nötigen, in wirklich jeder Frage eine Übereinkunft zu finden, die häufig zwischen Kuhhandel, kleinstem gemeinsamen Nenner und faulem Kompromiss changiert. Das funktioniert, wenn die Wirtschaft robust läuft und außenpolitisch die Sonne scheint. In einem politisch sehr kalten Winter aber wird die Polarisierung schärfer werden.

Geschlossenheit wird nur erzielt werden können, indem auf den Doppel-Wumms der Dreifach-Wumms folgt. Das aber erschöpft irgendwann sogar die tiefen Taschen der Bundesrepublik. Schuldenfinanzierte Ausgaben können zwar kurzfristig Probleme lindern und Abstürze verhindern, schaffen aber an sich noch keine einzige Lösung für die strukturellen Probleme des Landes.   

Zugleich aber kann die Opposition ihre Rolle nicht ausfüllen. Die eine Aufgabe, Regierungspolitik zu hinterfragen, anzugreifen und zu kritisieren, erfüllt sie zwar mit Bravour. Zugleich ist sie aber keine Regierung im Wartestand, da sie zwischen putinfreundlichen bis -hörigen Populisten und pragmatischen Politikangeboten unüberwindlich gespalten ist.

Eine planwirtschaftliche „Überlebenswirtschaft“ funktioniert nicht

Es droht ein Zustand der Handlungsunfähigkeit, da die Parteien der Mitte ihre Gegensätze zwischen Idealismus und Pragmatismus nicht überbrücken können. Die Konflikte um die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke, Waffenlieferung an die überfallene Ukraine oder die Aussetzung der Schuldenbremse, die schon im Frühjahr und Sommer ans parteipolitische Mark gingen, waren da nur die Ouvertüre. Die Probleme werden sich insbesondere beim Umgang mit anderen energiepolitischen Themen, wie CO-Abscheidung und -Rückholung, auftürmen.

Denn es wird sich erweisen, dass die meisten Menschen sich ihren Lebensstandard nicht halbieren lassen wollen, ebenso wenig kann eine planwirtschaftliche „Überlebenswirtschaft“, wie in der taz angeregt, die Voraussetzungen für einen umverteilenden Wohlfahrtsstaat bieten und das Streben der meisten Menschen nach einem besseren Leben für ihre Kinder befriedigen.

Das sind auch alles keine Fragen, die sich auf die nächste oder übernächste Legislaturperiode vertagen ließen, wie es mit vielen Problemstellungen seit Jahrzehnten gehandhabt wird. Schon in den nächsten Monaten werden sich alle politischen Kräfte ehrlich machen und Antworten geben müssen. Die können pragmatisch ausfallen – ein anderes Wort wäre opportunistisch –, aber auch prinzipientreu, dann auf Kosten von Popularität und Koalitionsfähigkeit. Das wird sich auf den Politikfeldern von Verteidigung, Migration, Sozialem und Wirtschaft fortsetzen. Die idealistischen Antworten kommen hier zu einem politisch hohen Preis.

Multiple Krisen können das Parteiensystem erschüttern

Unter dieser Prämisse werden es schwarz-grüne, Kenia- und Ampelkoalitionen, die ja Stabilität in der demokratischen Mitte gewährleisten sollen, sehr schwer haben. Denn sie erfordern schon in normalen Zeiten große Kompromisse der Koalitionspartner. In der Krise aber wäre Selbstverleugnung mindestens eines Koalitionärs notwendig, um zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen. Dass es in einer solchen Situation ein politischer Renegat, der nicht nur an den Rändern, sondern auch in der politikverdrossenen Mitte Zuspruch einzusammeln vermag, eine jahrzehntelang gewachsene Parteienordnung umzustoßen vermag, hat beispielsweise Emmanuel Macron bewiesen.

Schon 2015 hat zu einer nachhaltigen Erschütterung des Parteiensystems geführt. Damals war die Krise singulär und stand unter dem Vorzeichen der Hochkunjunktur. Die multiplen Krisen dieses Jahreswechsels haben das Potential, das Parteiensystem nicht nur zu erschüttern, sondern zu sprengen.

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