Vorreiter Österreich - Die Impfpflicht kommt

Landesweiter Lockdown und Impfzwang für alle: Österreich kämpft mit harten Mitteln gegen die Corona-Pandemie. Was in der Alpenrepublik bereits beschlossen ist, dürfte bald auch in Deutschland kommen.

Spritzen gegen die Pandemie: Noch ist die Corona-Impfung freiwillig, aber der Druck steigt / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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In den letzten Monaten zeigte Österreich seinem Nachbarland Deutschland schon des öfteren dessen Zukunft. Auch in diesem Winter wird dies der Fall sein. Mit Inzidenzen von über 1.000 sah sich die türkis-grüne Regierung zu dem genötigt, was dank der Impfstoffe eigentlich nicht mehr geschehen sollte: zum Lockdown. Selbst eine Impfpflicht für alle ab Februar 2022 ist inzwischen beschlossene Sache. All das dürfte demnächst auch auf Deutschland zukommen.

Ab Montag werden landesweit erneut Restaurants und Kneipen, Kultureinrichtungen und Anbieter körpernaher Dienstleister für drei Wochen schließen und für alle Österreicher gilt eine Ausgangssperre. Nur der Weg zur Arbeit, zum Supermarkt oder ein Spaziergang bleiben erlaubt. Auch gilt in geschlossenen, nicht-privaten Räumen eine strikte FFP2-Maskenpflicht. 

Zwar sollen diesmal Kindergärten und Schulen geöffnet bleiben, aber das entsprechende Bekenntnis der Regierung erweist sich als fadenscheinig. Gleichzeitig nämlich werden die Eltern dazu aufgefordert, ihre Kinder nach Möglichkeit in den nächsten Wochen in den eigenen vier Wänden zu betreuen. Das ist zwar keine offizielle Schulschließung, führt aber zum selben Ergebnis.

Rund 70.000 Impfgegner demonstrierten in Wien

Ausgelöst wurden diese drastischen Maßnahmen letztlich durch die Entwicklungen in Salzburg und Oberösterreich. In einigen Bezirken hat die Inzidenz dort bereits den Wert von 2.000 überschritten. Spätestens, als die örtlichen Kliniken Alarm schlugen und offiziell bekannt gaben, nunmehr Triage-Teams einrichten zu müssen, zogen Österreichs Politiker die Notbremse. Und dazu gehört nun auch die „Zwangsimpfung“. Am Sonntag demonstrierten hiergegen in Wien rund 70.000 Menschen.

„Trotz monatelanger Überzeugungsarbeit“, so Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP), sei die Impfquote leider zu niedrig, um weitere Infektionswellen zu verhindern. Daher müsse man jetzt zu einschneidenden Maßnahmen greifen. Schallenberg attackierte allerdings nicht die Wähler, sondern gab sich selbstkritisch. Die Regierung hätte Fehler im Pandemie-Management begangen, unter denen nun vor allem die Geimpften ungerechtfertigterweise litten: „Ja, ich möchte mich entschuldigen, und ich glaube, ich muss mich entschuldigen bei jenen Menschen, die alles richtig gemacht haben“, bekannte er am Freitag dieser Woche im österreichischen Fernsehen.

Ein Stück aus dem Tollhaus 

Eine Entschuldigung stünde vielleicht auch der künftigen Ampelkoalition in Deutschland gut zu Gesicht. Vor rund vier Wochen kündigten drei ihrer Vertreter an, die epidemische Lage von nationaler Tragweite beenden zu wollen. Sämtliche Einschränkungen von Freiheitsrechten sollten außerdem mit „absoluter“ Verbindlichkeit spätestens am 20. März 2022 enden. Woher die drei Politiker diese Selbstgewissheit nahmen, bleibt bis heute rätselhaft. Offenbar wirkte der Schampus von der Party am Wahlabend noch nach.

In dieser Woche hat der Bundestag die Ankündigung trotz heftiger Kritik durch die Unionsparteien wahr gemacht. Obwohl die Lage so schlimm zu werden droht wie noch nie, soll die epidemische Lage von nationaler Tragweite ab 25. November 2021 nun beendet sein. Selten hat man ein solches Stück aus dem Tollhaus gesehen. Denn die einzig logische Schlussfolgerung daraus lautet ja: Wenn nicht einmal heute die Berechtigung besteht, die epidemische Lage nationaler Tragweite aufrecht zu erhalten, dann hätte sie in der Vergangenheit erst recht nie verkündet werden dürfen. Denn der Maßstab hierfür ist nicht die Impfquote, sondern eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems.

Unehrliche Debatte

An das Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite glauben wahrscheinlich nicht einmal jene, die sie selbst beschlossen haben. Einen Fehler einzugestehen und sich öffentlich hierfür zu entschuldigen, dafür fehlt ihnen offenbar die menschliche Größe. In Wahrheit sind durch den bloßen Zwang der Umstände ja auch wieder zahlreiche Instrumente zur Einschränkung von Freiheitsrechten in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen worden. Allgemeine Ausgangsbeschränkungen sowie die Schließung von Schulen und Kitas allerdings gehören nicht mehr dazu. Das ist auch nicht nötig, es bleibt ja noch immer der österreichische Weg.

Wie unehrlich die Debatte der letzten Tage war, wird am Gesetzestext selbst deutlich. So soll die epidemische Lage zwar am 25. November 2021 enden, aber wenn ein Land noch vor Ablauf dieses Datums eine entsprechende Verordnung in Kraft setzt, kann so de facto die epidemische Lage von nationaler Tragweite in diesem Land bis 15. Dezember 2021 verlängert werden. Angesichts explodierender Inzidenzen und voll laufender Krankenhäuser haben Bayern und Sachsen davon bereits Gebrauch gemacht.

Markus Söder setzt rigorosen Kurs fort 

Apropos Bayern. Geografisch eingezwängt zwischen Österreich und dem Rest der Bundesrepublik hat sich Markus Söder (CSU) während der Corona-Pandemie zu so etwas wie einer politischen Zeigerpflanze entwickelt. Er konnte stets aus ziemlicher Nähe beobachten, was demnächst auch auf sein Bundesland zukommen dürfte – und gehörte daher in Deutschland stets zu den rigorosesten Corona-Bekämpfern.

Diese Linie setzt er auch dieser Tage fort, der bayerische „Lockdown light“ ist längst beschlossene Sache. Während im Rest der Republik noch darüber gestritten wird, wie der Glühwein auf den Weihnachtsmärkten trotz Maskenpflicht den Weg ins menschliche Innere finden soll, sind sie in Bayern längst abgesagt. Hinzu kommen Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte, eine Sperrstunde ab 22 Uhr für Geimpfte wie Ungeimpfte sowie die Schließung von Schankwirtschaften und Bordellen. Und Markus Söder geht, nach Österreich blickend, noch einen Schritt weiter. „Ich glaube, dass wir am Ende um eine allgemeine Impfpflicht nicht herumkommen werden“, sagte er am Freitag.

Bekenntnisse gegen die Impfpflicht halten nicht lange

Dass dieser Vorstoß prompt Kritik auslösen würde, ist nicht weiter verwunderlich. Außenminister Heiko Maas (SPD) stand dabei in der ersten Reihe. Eine allgemeine Impfpflicht werde es nicht geben, sie sei zudem verfassungsrechtlich bedenklich. Die Halbwertszeit dieser Äußerung dürfte indes nicht allzu hoch sein. Noch im Sommer hatte beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Blick auf die Einführung der Impfpflicht für Pflegekräfte in Frankreich ganz ähnlich argumentiert. Aber über dieses Bekenntnis sind die Ereignisse hinweggefegt, die Impfpflicht für ausgewählte Berufsgruppen kommt.

Und dabei wird es nicht bleiben. Der Höhepunkt der vierten Welle ist längst noch nicht erreicht, sondern wird bis weit in den Dezember hineinragen. Wir stehen unstrittig in Teilen des Landes vor einer dramatischen Belastung des Gesundheitssystems. Und wenn rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung ungeimpft bleibt, wird es auch im nächsten Jahr unvermeidlich zu entsprechenden Infektionswellen kommen. Die Zeigerpflanze Markus Söder hat daher Recht. Ohne allgemeine Impfpflicht droht uns „eine Endlosschleife mit diesem Mist-Corona“. 

Deutschland und die Welt haben übrigens nicht unbedingt schlechte Erfahrungen mit der Impfpflicht gemacht. Bereits im Jahre 1874 verhängte Deutschland unter Otto von Bismarck eine Impfpflicht gegen Pocken. Erst rund 100 Jahre später wurde sie wieder aufgehoben, weil die Pocken als ausgerottet galten.

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