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Vor dem NSU-Prozess - Gericht unter Druck

Drei Wochen vor Beginn des Prozesses gegen Beate Zschäpe und andere mutmaßliche Unterstützer der Terrorgruppe „NSU” steht das Münchner Oberlandesgericht beträchtlich unter Druck. Zu Recht?

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Guyton, Patrick

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Drei Wochen vor Beginn des Prozesses gegen Beate Zschäpe und andere mutmaßliche Unterstützer der Terrorgruppe NSU steht das Münchner Oberlandesgericht unter zunehmendem öffentlichen Druck. Nur 50 Journalisten sollen laut Gerichtsentscheidung im Verhandlungssaal dabei sein. 73 weitere akkreditierte Medienvertreter müssen hingegen vor der Tür bleiben, darunter alle türkischen Journalisten sowie Vertreter von renommierten internationalen Blättern. Acht der insgesamt zehn Opfer der NSU-Terrorakte waren Türken gewesen.

Warum wird der Prozess nicht per Video in einen anderen Saal übertragen?

Das Gericht lehnt dies bisher ab. Die Leiterin der Justizpressestelle Margarete Nötzel sagte dazu: „Die Übertragung der laufenden Hauptverhandlung in einen anderen Raum kann aus Rechtsgründen nach deutschem Recht nicht umgesetzt werden.“ Dies würde „eindeutig gegen Paragraf 169 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes verstoßen“. Gerichtspräsident Karl Huber hatte kürzlich gesagt, eine Übertragung würde ihm zwar „gut gefallen“. Allerdings sei sie nicht möglich.

Liest man den betreffenden Paragrafen, so kommen aber erhebliche Zweifel an dieser Auslegung. Denn untersagt sind demnach lediglich „Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung“. Damit ist eine Art von „Gerichts-TV“ verboten. In München wäre die Sachlage allerdings völlig anders: Der zweite Übertragungssaal wäre ein anderer Gerichtssaal, ebenso gesichert und nur für akkreditierte Medienvertreter zugänglich. Foto- und Filmaufnahmen wären verboten wie im eigentlichen Verhandlungssaal auch. Selbst das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, legt das Gesetz nicht so streng aus: Dort gibt es einen Pressearbeitsraum, in den der Ton der Verhandlungen live übertragen wird. Weitere Säle, die deutlich mehr als 70 Beobachter fassen könnten, gibt es im Justizzentrum.

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Könnten die Akkreditierungsregeln aufgehoben und die Plätze neu vergeben werden?

Prinzipiell spricht nichts dagegen. Allerdings wäre dies eine weitere Blamage für das Gericht. Dieses argumentiert, dass die Platzvergabe nach dem „Windhundprinzip“ (wer am schnellsten ist, hat gewonnen) zulässig ist. Der „Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens“ werde damit gewahrt. Eine ebenfalls zulässige Platzvergabe per Losentscheid hat das Gericht abgelehnt. Allerdings wäre, das zeigen andere Großprozesse, durchaus auch die sogenannte Poolbildung denkbar gewesen. Dafür hätte man sich vonseiten des Gerichtes aber mehr anstrengen müssen.

Bei den Pools würde das Gericht mehrere Töpfe machen – etwa für Münchner Zeitungen, Boulevardblätter, regionale und überregionale Zeitungen, Fernsehen, Hörfunk, türkische Medien, sonstige ausländische Medien. Für jeden Topf würden dann die Vertreter gelost. Gegebenenfalls erhielten sie die Akkreditierung nur unter der Auflage, dass sie auch für Medien berichten, die leer ausgegangen sind. Nach Angaben der bayerischen Grünen hat ein Gerichtssprecher im Landtag gesagt, dass man eine solche Poolbildung durchführen werde – was aber nicht geschehen ist.

Das Gericht hält deshalb so hart an seiner eingeschlagenen Linie fest, weil es das Verfahren „revisionsfest“ durchführen will. Das bedeutet, dass nicht am Ende wegen irgendeines Formfehlers Revision eingelegt werden kann und der ganze Prozess noch einmal durchgeführt werden muss. Sowohl bei der Videoübertragung als auch beim Akkreditierungsverfahren glaubt sich das Gericht auf der sicheren Seite – auch wenn diese Entscheidungen für heftigen Unmut sorgen.

Die ARD, deren Anstalten fünf Plätze im NSU-Prozess vom Gericht erhalten haben, möchte auf einen dieser Plätze verzichten und ihn türkischen Kollegen anbieten. Der Platz soll an den türkischen Rundfunk TRT gehen, wie die ARD mitteilt. Dessen Reporter sollten damit "dauerhaft die Möglichkeit bekommen, authentisch vom Prozessgeschehen zu berichten". Bereits im Januar 2013 habe die Sendeanstalt dem Gericht eine Poollösung vorgeschlagen.

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Warum verlegt man den Prozess nicht in einen größeren Saal, etwa eine Stadthalle?

Das wäre kaum machbar. Im Schwurgerichtssaal A 101 werden sich insgesamt etwa 250 Personen aufhalten – Angeklagte, Verteidiger, Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und deren Anwälte, Presse und öffentliches Publikum. Gerichtspräsident Huber sagt, dass ein geordneter Prozessablauf bei deutlich mehr Zuschauern nicht mehr gewährleistet sei. Richter und Prozessbeteiligte müssten sich etwa bei Zeugenvernehmungen sehr genau konzentrieren. Auch wäre ein anderer Saal nicht so zu sichern wie im Justizkomplex. Zudem würde die nötige Infrastruktur fehlen – Übersetzungsanlage, gesicherte Warteräume, Aktenablage und Ähnliches. Die Idee, den Prozess zum Beispiel in den Saal des Hotels Bayerischer Hof zu verlegen, in dem jährlich unter großem Polizeischutz die Münchner Sicherheitskonferenz stattfindet, ist utopisch. Denn das NSU-Verfahren wird mehr als zwei Jahre dauern – so lange ließe sich der Saal nicht mieten und erst recht nicht bezahlen.

Die Justiz ist unabhängig – darf sich die Politik da einmischen?

Gerade deswegen sind die Stellungnahmen und Kommentare aus der Politik sehr zurückhaltend – man will die Unabhängigkeit der Justiz nicht untergraben. Die aktuellen Statements von Politikern werden deshalb in der Regel genau mit diesem Hinweis versehen. Andererseits ist die Befürchtung groß, dass das Vorgehen des Münchner Gerichts beträchtliche Irritationen im Ausland hervorrufen könnte, was zumindest im Fall der Türkei ja bereits geschehen ist (siehe nebenstehenden Text).

Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) hat deshalb am Mittwoch eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes ins Spiel gebracht. Damit könne künftig verhindert werden, dass Gerichte in ähnliche Zwangslagen kämen, sagte sie am Mittwoch in München. „Ich werde solche Vorschläge machen. Das NSU-Verfahren muss freilich nach geltendem Recht geführt werden“, betonte sie. Wenn das OLG eine Übertragung der Hauptverhandlung in einen anderen Raum aus Rechtsgründen abgelehnt habe, müsse man diese Entscheidung des unabhängigen Gerichts respektieren. Politiker, die andere Lösungen forderten, sollten nicht das Gericht kritisieren, sondern Vorschläge zur Gesetzesänderung einbringen.

Welche Erfahrungen im Umgang mit Medien gibt es bei anderen Prozessen?

Das Landgericht Mannheim ist im Jahr 2010 beim Vergewaltigungsprozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann nach der bereits genannten „Topf“-Methode vorgegangen. Um die verschiedenen Mediengattungen zu berücksichtigen, wurden für die zur Verfügung stehenden 48 Plätze fünf Töpfe gebildet, sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht, Joachim Bock, dem Tagesspiegel. Einer für Journalisten von Print- und Online-Medien, der zweite für die öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Sender, der dritte für Radio-Journalisten, der vierte für Nachrichtenagenturen. Die Freien Journalisten teilten sich die Plätze in Topf Nummer fünf.

Da es sich bei Jörg Kachelmann um einen Schweizer Staatsbürger handelt, achteten die Mannheimer zudem darauf, die Medien aus dem Nachbarland angemessen zu berücksichtigen. So entfielen zum Beispiel im Print- und Online-Topf 17 Plätze auf bundesdeutsche und vier auf Schweizer Medien. Auch beim zeitlichen Ablauf gingen die Mannheimer auf Nummer sicher. Die Akkreditierung begann erst zwei Wochen, nachdem das Landgericht das Verfahren bekannt gegeben hatte. Eine vergleichbare Kritik wie nun in München hat es deshalb nicht gegeben, auch wenn in Mannheim ebenfalls viele große Medien nicht zum Zuge kamen.

Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der „Zeit“, hat mehr als zehn Jahre für die Wochenzeitung aus Gerichtssälen berichtet. „Dieses Theater, das jetzt in München gemacht wird, ist mir neu“, sagt sie. „Dass der Münchener Dudelsender Radio Arabella dabei ist, aber die ,New York Times‘ nicht, ist lächerlich.“ Das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ funktioniert nach ihrer Erfahrung nur bis zu einer gewissen Größenordnung. Dieser Rahmen wurde zum Beispiel 2009 am Landgericht Oldenburg gesprengt. Im Prozess um den tödlichen Holzklotzwurf von einer Autobahnbrücke entschied sich das Gericht, die wenigen verfügbaren Sitzplätze für Medienvertreter nach einem festen Schlüssel für TV, Radio, Zeitungen und Agenturen zu vergeben. Ob in München noch umgesteuert wird, ist für Sabine Rückert ungewiss. „Die bayerische Justiz kann unerbittlich sein“, sagt die „Zeit“-Journalistin.

Auch das Landgericht Oldenburg hatte 2008 in einem Prozess gegen einen 30-Jährigen, der von einer Autobahnbrücke einen Holzklotz auf ein fahrendes Auto geworfen und dadurch die Beifahrerin getötet hatte, ein andere Akkreditierungsverfahren praktiziert. Weil klar war, dass die 20 Presseplätze im Verhandlungssaal nicht reichen würden, ersannen die Richter ein ausgeklügeltes Quotensystem. Fünf Wochen vor Prozessbeginn teilten sie per Pressemitteilung mit, wie viele Plätze für welche Medien-Kategorien reserviert würden. Die Oldenburger Justiz gab allen Medien eine Woche Zeit, sich per Mail um ihre Zulassung zu bewerben. Erst nach Anmeldeschluss entschied das Gericht, welche der 31 Bewerber zum Zuge kamen. Unklar blieb allerdings, nach welchen Kriterien überzählige Bewerber aussortiert wurden.

 

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