„Notopfer Ampel“ - Die Union macht sich selbst das Leben schwer

Die Zustimmungswerte der Ampelregierung sind im Keller. Für die größte Oppositionspartei im Bundestag ist das eigentlich eine gute Nachricht. Doch die Union ist vor allem mit sich selbst beschäftigt – und lenkt dadurch von den Fehlern der Ampel ab.

CDU-Chef Friedrich Merz (l.) und Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Ob sie an der CDU-Spitze Mitleid mit dem Kanzler und seiner Ampel-Regierung haben? Die ständigen internen Streitereien, Rezession und Inflation, der Krieg in der Ukraine, ein ebenso missglücktes wie umstrittenes Heizungsgesetz – da kann man eigentlich froh sein, nicht selbst regieren zu müssen. In einer solchen Gemengelage könnten ordentliche Oppositionspolitiker – im Geist christlicher Nächstenliebe – auf den Gedanken kommen, der anderen Seite mal etwas Luft zum Verschnaufen zu lassen. Und wie macht man so etwas? Indem man durch eigene Fehler von denen der Regierenden ablenkt. 

Wenn’s so gewesen sein sollte: Die Union hätte ihre Operation „Notopfer Ampel“ nicht geschickter einfädeln können. Vorgelegt hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der meinte, auf einer Protestversammlung gegen den „Heizhammer“ sprechen zu müssen, nur weil sein bayerischer Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) dort auf der Rednerliste stand. Der bediente in Erding die zahlreich erschienenen Querdenker, Impfgegner und AfD-Sympathisanten unter den 13.000 Teilnehmern in bester Populisten-Manier, was ihm „Zugabe“-Rufe einbrachte. 

Söder hingegen, der sich nach ganz klar rechts abgrenzte, wurde teilweise niedergeschrien. Schlimmer noch: Die Ampel-Parteien stürzten sich auf den CSU-Chef, weil der seinen Vize nicht entlasse. Schließlich hatte der die Menge unter anderem mit dem Satz begeistert, „die schweigende große Mehrheit dieses Landes muss sich die Demokratie wieder zurückholen“. Dafür sah Söder natürlich keinen Grund, aber die Ampel und alle Ampelianer hatten ein schönes Thema.  

„Den Leuten halt keinen Scheiß erzählen“

Die CDU wollte ein paar Tage später ganz andere Akzente setzen. Weil sie in diesem Jahr kein Geld für einen richtigen Parteitag hat, sollte dieses Defizit mit zwei kleineren, preiswerteren Veranstaltungen ausgeglichen werden. Der Bundesausschuss, der sogenannte kleine Parteitag, wollte unter anderem mit einem sehr interessanten bildungspolitischen Konzept für Schlagzeilen sorgen. Tags darauf sollte dann auf einem „Programmkonvent“ die Arbeit am Grundsatzprogramm unter Mitwirkung von Experten ohne CDU-Parteibuch fortgesetzt werden.  

Aus dem sorgfältig geplanten Doppelpack wurde allerdings nichts. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther, eingefleischter Merkelianer und kein Freund seines Parteivorsitzenden Friedrich Merz, riet seiner Partei vorab: „Kurs der Mitte, sprachlich sauber bleiben, keine Debatten über das Gendern und andere Nebensächlichkeiten führen – den Leuten halt keinen Scheiß erzählen.“ An wen das adressiert war, lag auf der Hand: an Merz und die konservativen CDUler.

Schienbeintritt aus dem hohen Norden

Söders missglückter Auftritt und der Schienbeintritt aus dem hohen Norden hätten allein nicht ausgereicht, um der CDU den geplanten Aufbruch zu vermasseln. Das tat dann der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Hendrik Wüst. Der veröffentlichte zuerst ein Positionspapier, das nicht Sensationelles oder sonderlich Originelles enthielt. Ein Bundesparteitag hätte da mit 95 Prozent der Stimmen abgenickt.
 

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Doch war Wüst wohl bewusst, dass einige Passagen von den Merz gegenüber äußerst kritischen Medien als Spitzen gegen Merz interpretiert werden könnten – und wohl auch sollten. Etwa sein überschwängliches Lob für Angela Merkel, die dem jungen Hendrik Wüst einst nicht konservativ genug war. Oder diese Passage, die man bei hinreichend schlechtem Willen als Angriff auf Merz verstehen muss: „Wer nur die billigen Punkte macht und den Populisten hinterherrennt, der legt die Axt an die eigenen Wurzeln und stürzt sich selbst ins Chaos. Man schaue nur auf die Konservativen in den USA, im Vereinigten Königreich oder in Italien. Es geht auch anders.“ 

Wie es anders gehen könnte, das ließ Wüst keine 24 Stunden später „die Stadt und den Erdkreis“ wissen. In einem Interview schloss er seine Bewerbung um die Kanzlerkandidatur nicht aus und forderte vorsorglich eine Mitsprache der CDU-Landesvorsitzenden bei der K-Frage. Dass er als Chef des mitgliederstärksten Verbandes da besonders viel zu sagen hätte, liegt nahe. Jedenfalls gelang Wüst, noch ehe die Delegierten des CDU-Bundesausschusses in Berlin eingetroffen waren, ein spektakulär Doppel-Wumms. Olaf Scholz dürfte „schlumpfig“ gegrinst haben. 

Wüst gegen Merz

Damit hatte Wüst erreicht, dass über die interessanten CDU-Vorschläge zur Bildungs- und Familienpolitik so gut wie nicht berichtet wurde, weder über verpflichtende Sprachkurse vor der Einschulung für Kinder mit entsprechenden Defiziten noch über die gezielte Förderung von Alleinerziehenden und Familien aus sozial schwierigen Stadtteilen. Wüst gegen Merz wurde zum inoffiziellen Thema der zweitägigen CDU-Tagung – und zum zentralen Thema der Medien. 

Garniert wurde das Ganze noch dadurch, dass die der CDU nahestehende Eisschnellläuferin Claudia Pechstein – rhetorisch eher unbeholfen – die Finger in die Wunde der Zuwanderungspolitik legte und gegen das Gendern anredete – und das alles in ihrer Uniform einer Bundespolizistin. Damit war klar: Wüsts Werk und Pechsteins Beitrag verhinderten die geplante Standortbestimmung der Opposition, führten sogar zu Chaos.

Eine Chaos-Woche eingeleitet

Eigentlich hatte die Unionsspitze bis zu diesem Zeitpunkt wahrlich genug getan, um bei Scholz, Habeck, Lindner & Co. für spürbare Erholung vom medialen Bashing zu sorgen. Plötzlich rangierte das Heizungsgesetz nur noch unter „ferner liefen“. Friedrich Merz freilich wollte unbedingt auch etwas zum parteiinternen Durcheinander beitragen. Also nahm er sich den Partei-„Freund“ Wüst im Fernsehen vor, um die Performance der schwarz-grünen Landesregierung in Düsseldorf fast auf eine Stufe mit dem schlechten Erscheinungsbild der Bundesregierung zu stellen. Dass ein Parteivorsitzender eine „eigene“ Regierung so abmeiert, hatte es wohl noch nie gegeben. Dass Merz dann noch den Pechstein-Auftritt als „brillant“ adelte und die Uniformfrage als Petitesse abtat, rundete die Operation „Notopfer Ampel“ ab.

Und nun? Wüst hat der CDU den geplanten „Aufschlag“ vermasselt und stattdessen eine Chaos-Woche eingeleitet. Merz wiederum hat den Vorwürfen neue Nahrung gegeben, es fehle ihm an der Gelassenheit und Souveränität, Angriffe an sich abperlen zu lassen. Wenn die Union Pech hat, wabert jetzt die K-Frage durch die gesamte Sommerpause. Denn jeder CDU-Mandatsträger oder -Funktionär kann, wenn er will, in den nächsten Wochen ganz einfach in den Medien präsent ein: Er muss nur Wüst loben und Merz schlechtmachen – oder umgekehrt. 

Hoffnung bei SPD, Grünen und FDP

Ach ja, wenn die CDU-Spitzenpolitiker das alles geplant hätten – sie hätten es nicht besser machen können. Bisher schien die Union bei Meinungsumfragen über 28 bis 30 Prozent nicht hinauskommen zu können – 10 Prozentpunkte vor der SPD. Dieser Vorsprung schmilzt, während die AfD in den sieben aktuellsten Umfragen zur SPD aufgeschlossen hat oder sogar vor der Kanzlerpartei liegt. Das kann man drehen und wenden, wie man will: Dass es zurzeit für eine Neuauflage der Ampel nicht reichen würde, ist nicht das Verdienst der Union. Aber die Operation „Notopfer Ampel“ macht Hoffnung – bei SPD, Grünen und FDP.

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