Neues Grundsatzprogramm der CDU - Die Merz-CDU sagt laut und deutlich „Good bye, Angela“

Der vom CDU-Bundesvorstand beschlossene Entwurf zum neuen Grundsatzprogramm der Partei vollzieht einen Bruch mit der Ära Merkel, insbesondere in der Migrations- und Integrationspolitik. „Wir schaffen das“ – das war einmal.

Angela Merkel im Jahr 2021 / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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„CDU pur“ soll das neue Grundsatzprogramm liefern. Das hatte Generalsekretär Carsten Linnemann angekündigt. Das leistet der jetzt vom Bundesvorstand beschlossene Entwurf auf zweifache Weise. Es bekräftigt zum einen Vorstellungen und Werte aus früheren, für die Partei besseren Zeiten. Und es bricht zum anderen an vielen Stellen mit der Ära Merkel.

Der Bruch mit Merkels Politik wird besonders deutlich bei den Fragen, die die Bevölkerung zurzeit besonders beschäftigen: Migration und Integration. Schon in der Einleitung wird die „ungesteuerte Integration“ als eine der „Herausforderungen unserer Zeit“ genannt. „Wir schaffen das“ – das war einmal.

Absage für Multi-Kulti-Träume

Der Abstand zur Altkanzlerin, die sich bei ihrer Politik mehr von Meinungsumfragen als von parteipolitischen Grundsätzen leiten ließ, wird besonders deutlich beim Thema Integration. Als Bundespräsident hatte der CDU-Politiker Christian Wulff für seinen Satz, „der Islam gehört zu Deutschland“, viel Beifall aus dem linksgrünen Spektrum erhalten. Merkel hatte sich dem angeschlossen: „Der Islam gehört zu uns, weil wir hier Millionen von Muslimen haben.“ Davon rückt die CDU jetzt eindeutig ab. Im Programm heißt es: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland.“

Den bei vielen „Merkelianern“ unverändert vorhandenen Sympathien für Multi-Kulti-Träume erteilt das Programm ebenfalls eine klare Absage: Schon auf der ersten von 73 Seiten fordert die Partei: „Mut zur Leitkultur! Wir wollen eine Gesellschaft, die zusammenhält. Alle, die hier leben wollen, müssen unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen.“ Zugleich definiert die Union, was sie unter Leitkultur versteht: Achtung der Würde jedes Einzelnen, Rechtsstaat, Respekt und Toleranz sowie die Anerkennung des Existenzrechts Israels. Dann folgt die knallharte Ansage: „Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden.“

Schluss mit Merkel

Es ist der späte Sieg des einst von Merkel aus dem Fraktionsvorsitz verdrängten Friedrich Merz. Der hatte schon vor mehr als zwei Jahrzehnten als Oppositionsführer eine Leitkultur-Debatte begonnen, die bei Merkel auf wenig Widerhall stieß. Im Gegenteil: Sie fand den Begriff missverständlich, plädierte stattdessen für „europäische Kultur“ als Richtschnur des Zusammenlebens. Inzwischen ist Merz CDU-Chef und seine Ideen von früher sind auch vor dem Hintergrund des importierten Antisemitismus hoch aktuell.
 

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Schluss mit Merkel macht die CDU – jedenfalls programmatisch – auch bei der Steuerung der Zuwanderung. So will die Partei „die Kontrolle über die Migration zurückerlangen“, also das, was während Merkels Kanzlerschaft weitgehend verloren ging. Die humanitäre Migration soll auf ein Maß reduziert werden, das die Integrationsfähigkeit Deutschlands nicht überfordert. Vor allem sollen die Außengrenzen elektronisch überwacht und abgesichert werden auch durch „baulichen und technischen Grenzschutz“.

Zugleich setzt sich die CDU für das „Konzept der sicheren Drittstaaten“ ein. Das bedeutet, dass Migranten in einen sicheren Drittstaat überführt werden und das Asylverfahren dort durchlaufen. Das setzt freilich weitreichende Änderungen beim europäischen Asylrecht voraus. Auch hier setzt sich die CDU von ihrer eigenen Politik unter der Kanzlerschaft Merkels ab: Weder die Genfer Flüchtlingskonvention noch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte beinhalteten das Recht „sich das Land des Schutzes frei auszusuchen oder gewähren einen Schutzanspruch aufgrund einer wirtschaftlichen Schwäche des Herkunftslandes.“

Abschaltung der letzten Atommeiler

Die CDU war immer die Partei gewesen, die zur Kernkraft ein pragmatisches Verhältnis hatte – als Brückentechnologie. Bis sie 2011 nach Fukushima den überstürzten Ausstieg beschloss. Jetzt stellt sie selbst fest, Deutschland könne „zurzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten“. Schon das Wort „zurzeit“ ist verräterisch, ist es doch in einem Grundsatzprogramm fehl am Platz. Schließlich sollen die Grundsätze Jahrzehnte lang gelten. Die derzeit gültigen der CDU stammen von 2007. Doch war wohl die Versuchung zu groß, auf diese Weise an die unverantwortliche Abschaltung der letzten Atommeiler durch die Ampel zu erinnern.

Den „Merzianern“ dürfte gefallen, dass sich die Partei unmissverständlich zu ihren Wurzeln bekennt: christlich-sozial, liberal und konservativ. Nicht nur Merkel hatte sich mit dem konservativen Element schwergetan. Auch der 2021 gescheiterte Kanzlerkandidat Armin Laschet hatte seine Schwierigkeiten mit diesem Begriff. Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst steht auf dem Standpunkt, „der Markenkern der CDU war nie das Konservative, sondern das Christliche.“ Das sieht man in der Merz-CDU offenbar anders.

Ausdruck einer ebenso konservativen wie sozialen Grundhaltung ist das Plädoyer für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, das einst die Kurzzeit-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Es biete Schulabgänger die große Chance, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken. Dieser Dienst für das Gemeinwohl bringe zudem Menschen aus unterschiedlichen Milieus, Religionen und Generationen zusammen.

Leitbild der sozialen Marktwirtschaft

Keine Überraschung ist es, dass die CDU am Leitbild der sozialen Marktwirtschaft festhält, die Steuerlast möglichst niedrig halten und die Staatsquote senken will. „Denn wir wissen: Vor dem Verteilen kommt das Erwirtschaften.“ Von einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes zur Finanzierung der Entlastung mittlerer Einkommen ist, anders als in einem früheren Entwurf, nicht mehr die Rede, ebenso wenig von einer Reform der Erbschaftsteuer zu Lasten der Unternehmen. Da scheint sich der Wirtschaftsflügel gegen die Sozialausschüsse durchgesetzt zu haben.

Der Programmentwurf setzt in der Sozialpolitik durchaus neue Akzente. Obwohl die meisten Bürger Umfragen zufolge gegen einen späteren Renteneintritt sind, spricht nach Ansicht der CDU „viel dafür“ die Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung zu koppeln. Zugleich sollen Arbeitnehmer, die 45 Jahre lang zum Mindestlohn gearbeitet haben, im Alter besser gestellt werden als die Bezieher von Grundsicherung. Das war bisher aus der CDU nicht zu hören. 

Nicht unbedingt zu erwarten war der Vorschlag eines „Startkapitals“ für neu geborene Kinder. Es darf zweckgebunden für Bildung, Wohneigentum oder Altersvorsorge eingesetzt werden. Das erinnert an das von linken Ökonomen und den Jusos ins Gespräch gebrachte „Grunderbe“. Allerdings legt sich die CDU nicht fest, wie hoch das Startkapital ausfallen und wie es finanziert werden soll.

„Im besten Sinne bürgerlich“

Die CDU bezeichnet sich als „im besten Sinne bürgerlich“. Das schlägt sich im Entwurf des Programms deutlich nieder. Was bürgerlich aus Sicht der CDU bedeutet, steht auch darin: „Wir glauben an die Menschen. Wir nehmen sie so, wie sie sind. Wir wollen sie nicht verändern.“ Generalsekretär Linnemann, der die Programmarbeit maßgeblich geprägt hat, forderte immer, ein CDU-Mitglied müsse auch mitten in der Nacht sagen können, was seine Partei ausmache. Die Menschen nicht verändern wollen, das bringt den Unterschied zu SPD und Grünen auf eine prägnante Formel.

Diejenigen in der Partei, die sich für Friedrich Merz als Vorsitzenden entschieden haben, können sich bestätigt fühlen. Offiziell trägt der Entwurf den Titel „In Freiheit leben – Deutschland sicher in die Zukunft führen“. „Good bye, Angela“ hätte aber auch gepasst.
 

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