Neue Wagenknecht-Partei - Noch stärkere Ränder und eine schrumpfende Mitte

Eine Wagenknecht-Partei bedeutete nicht nur das Ende der Partei Die Linke auf Bundesebene. Sie führte auch zu einer einschneidenden Veränderung der Parteienlandschaft – eine Zersplitterung, die Erinnerungen an die Weimarer Republik wachwerden lässt. 

Sozialismus mit menschlichem Antlitz: Sahra Wagenknecht / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Noch ist nichts offiziell. Wenn die Linke-Ikone Sahra Wagenknecht jedoch Bild bereits die vier Kernpunkte ihrer neuen linken Partei skizziert, dann spricht viel dafür, dass sie den Schritt wagen wird. In Umfragen steht die noch zu gründende neue Partei jedenfalls schon recht gut da. Demoskopen geben ihr bis zu 25 Prozent im Bund und über 40 Prozent in den ostdeutschen Ländern. 

Solche Zahlen sind freilich mit Vorsicht zu genießen. Eine Partei, die es noch gar nicht gibt und deren Programm ebenso wenig jemand kennt wie die führenden Personen neben Wagenknecht, ist eine Projektionsfläche für vieles. Eines lässt sich aus den Zahlen jedoch schließen: In der Bevölkerung gibt es einen weit verbreiteten Unmut über die in Bund und Ländern regierenden Parteien. Für „Wutwähler“ könnte Wagenknecht ein zusätzliches Angebot bieten, ihren Frust auszudrücken.  

Wagenknechts politisches Angebot unterscheidet sich deutlich von dem anderer Parteien. Es kombiniert sozialistische, nationale und konservative Elemente. Da ist für viele etwas drin, die die Grünen strikt ablehnen und sich nicht damit abfinden wollen, dass eine Stimme für CDU, SPD oder FDP im Zweifelsfall den Grünen zugutekommt. Denn schon im derzeitigen Sechs-Parteien-System sind Mehrheiten gegen die Grünen kaum noch möglich

Sozialistisch sind Wagenknechts Pläne, die Marktwirtschaft abzuschaffen oder stark einzuschränken. Dem Markt soll nicht länger „die Macht überlassen“ werden. Das will sie mit staatlichen „Kontrollorganen“ erreichen, die überwachen, was Betriebe herstellen und was nicht. 

Der Cancel Culture den Kampf ansagen

Sozialistisch sind, was ebenfalls nicht überrascht, Wagenknechts Vorstellungen von einer „gerechten“ Arbeitsmarkt und Sozialpolitik. Die neue Partei soll für höhere Löhne und höhere Sozialleistungen stehen, finanziert mit den Lieblingsinstrumenten aller Linken: staatlich regulierten Höchstpreisen und dem „Wegbesteuern“ von Gewinnen. 

Sehr national – und vielfach deckungsgleich mit denen der AfD – sind Wagenknechts Auffassungen zur Zuwanderung. Die will sie strikt begrenzen und Illegale schneller abschieben. Das sagen auch Union und SPD. Nur sah und sieht deren Zuwanderungspolitik völlig anders aus. Wagenknecht spricht hier laut Bild Klartext: „Wer Zuwanderung steuern und begrenzen will, wird als Nazi abgestempelt.“ Wem also die Höcke-Partei doch zu extrem ist, der kann in Sachen Zuwanderung bei Wagenknecht politisch Unterschlupf finden.  

Ebenfalls national will Wagenknecht die Außenpolitik ausrichten. Ob die Ukraine von Putin vereinnahmt wird oder als freies, demokratisches Land fortbestehen kann, ist ihr egal. Deshalb ist sie gegen Waffenlieferungen an das von Putin überfallene Land. Deutschland solle sich da raushalten und nur an die eigenen wirtschaftlichen Interessen denken. Wagenknecht sagt, „der Wirtschaftskrieg“ gegen Putin schade nicht Putin, sondern unserer eigenen Wirtschaft.  

Zu den sozialistischen und nationalistischen Tönen gesellen sich noch konservative. Mit ihrer neuen Partei will Wagenknecht insofern auf Freiheit setzen, als sie der „Cancel Culture“ den Kampf ansagt. Wagenknecht: „Menschen werden ausgegrenzt, wenn sie den Mainstream verlassen“, Bürger würden „moralisch geächtet“. Hier hebt sie sich ganz gezielt von den „Lifestyle-Linken“ in ihrer Noch-Partei ab. Auch hier gibt es viele Überschneidungen mit der AfD und sogar mit CDU und CSU. 

Die AfD müsste ebenfalls Federn lassen

Selbst wenn eine Wagenknecht-Partei nicht automatisch so stark würde, wie Umfragezahlen derzeit erwarten lassen: Sie würde Wähler anziehen, die von der Linken enttäuscht sind, weil diese als Koalitionspartner von SPD und Grünen zwangsläufig zu Kompromissen genötigt ist. Zudem erweckt die Linke den Eindruck, nicht so recht zu wissen, ob ihr Arbeiter in prekären Beschäftigungsverhältnissen und Kleinrentner wichtiger sind als „wokes“ großstädtisches Jungvolk oder nicht. 

Die Rechtsaußenpartei AfD müsste ebenfalls Federn lassen. Diejenigen ihrer Wähler, die es vor allem „denen da oben“ zeigen wollen, hätten in der radikalen Wagenknecht-Partei eine neue Hoffnungsträgerin. Zumal Wagenknecht strikt gegen offene Grenzen ist und dafür plädiert, gnadenlos abzuschieben, „wer sein Gastrecht missbraucht“. Da schlagen „rechte“ Herzen höher.  

 

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Um ihren Bestand müsste die AfD, anders als die Linke, allerdings nicht fürchten. Schließlich hat Allensbach kürzlich festgestellt, 56 Prozent der AfD-Wähler hätten „ausgeprägt rechte, teils autoritäre politische Ansichten“. Die würden wohl kaum zur ehemaligen Anführerin der „Kommunistischen Plattform“ innerhalb der Linken abwandern.  

Falls es Wagenknecht gelingen sollte, 2025 mit einer eigenen Partei in den Bundestag einzuziehen, hätten zunächst einmal SPD und Grüne einen potentiellen Koalitionspartner weniger, weil gleichzeitig die Linke verschwände. Das machte Koalitionsbildungen noch schwieriger und Regierungen instabiler. 

Zweier-Koalitionen werden noch unwahrscheinlicher

Die Wagenknecht-Truppe würde nämlich von den anderen Parteien ebenso wie die AfD als „Schmuddelkind“ behandelt, mit dem man nicht zusammenarbeitet – jedenfalls nicht auf absehbare Zeit. Das schränkte die Möglichkeit für Zweier-Koalitionen weiter ein. Wie schwierig es jedoch Dreier-Koalitionen mit Parteien aus unterschiedlichen Lagern haben, demonstriert im Bund die Ampel Tag für Tag aufs Neue. 

Natürlich ist Berlin nicht Weimar. Aber eine weitere Aufsplitterung der Parteienlandschaft weckt doch Erinnerungen an die Weimarer Republik. Als Nationalsozialisten und Kommunisten immer mehr Stimmen gewannen, wurde es für die die Weimarer Republik tragenden Parteien Zentrum, SPD, die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) und die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) immer schwieriger, aus eigener Kraft den Kanzler zu stellen. Folglich regierte bis 1933 meistens eine Minderheitsregierung von Zentrum, DDP und DVP, parlamentarisch gestützt von der SPD. Am Ende stand die Machtergreifung der Nazis. 

Um Missverständnissen vorzubeugen: Falls Sahra Wagenknecht im nächsten Bundestag mit einer eigenen Fraktion unter der Reichstagskuppel Platz nehmen sollte, wäre das Land nicht unregierbar. Aber es würde für CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP noch schwieriger, Regierungsbündnisse zu schmieden, die mehr gemein haben als den Wunsch nach der Macht. Koalitionen ohne genügend große inhaltliche Schnittmengen stärken aber die Ränder, wie am Beispiel der Ampel zu sehen ist. Das ist gefährlich – zunächst für die regierenden Parteien und schließlich für die parlamentarische Demokratie insgesamt. 

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