Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor vorgestellt - Rassistisches Dunkeldeutschland

Die Bundesregierung legt eine Studie zu Rassismus in Deutschland vor. Doch die vorgelegten Daten halten nicht, was sie versprechen. Über das aktuelle Ausmaß an Rassismus kann die Untersuchung aufgrund ihrer Fragestellungen kaum haltbare Aussagen treffen. Auch wenn die „evidenten“ Zahlen noch so pompös klingen mögen: Einen Beleg für die Zuspitzung der Lage in Sachen Rassismus liefern sie nicht.

Frank Kalter, Naika Foroutan und Lisa Paus stellen den Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) vor. /dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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„Rassismus gibt es überall, er ist mitten unter uns“, mit diesen apokalyptischen Worten stellte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) kürzlich vor der Bundespressekonferenz den „Nationalen Diskriminierungs- & Rassismusmonitor“ (NaDiRa) unter der Leitung der Migrationsforscherin Naika Foroutan vor.  Zurück geht die auf Dauer angelegte Studie auf den November 2020. Seinerzeit forderten die Mordanschläge von Halle und Hanau die Bundesregierung heraus. Gegen den scheinbar zunehmenden Rassismus in Deutschland mussten dringend weitere Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehörte auch: eine weitere Studie.

90 Prozent anerkennen Existenz von Rassismus

Insgesamt 5.003 Menschen wurden zu ihren Rassismuserlebnissen befragt. Es sei die „erste Studie“, so Foroutan, die „Rassismus in einer großen Breite“ adressiere. Es gehe darum, wie Rassismus „subjektiv“ erlebt werde. Und die Ergebnisse sind auf den ersten Blick beeindruckend und erdrückend zugleich: Etwa 60 Prozent so genannter „rassifizierter Personen“ hätten nach Selbstauskunft schon einmal selbst rassistische Diskriminierung erlebt. Etwa der Hälfte aller Befragten wurde „schon einmal von Rassismuserfahrungen berichtet“. In der Studie wird das als eine Form der „Ko-Betroffenheit“ von Rassismus gewertet. Und ganze 90 Prozent geben an, „Kontakt zu mindestens einer potenziell von Rassismus betroffenen Person“ zu haben. Dabei hätte der Wert ja eigentlich bei 100 Prozent liegen müssen, da „potenziell“ jeder Mensch von Rassismus betroffen ist. Deutschland das Land mit dem Rassismusproblem. Ungefähr so könnte man die Botschaft der Studie zusammenfassen.

Dabei war Foroutan gar nicht traurig darüber, dass 90 Prozent der Bevölkerung anerkennen würden, dass es in Deutschland Rassismus gebe. Dieser hohe Wert habe die Wissenschaftler vielmehr „überrascht“. Offenbar deshalb, weil trotz aller bedauernswerten Gesamtumstände doch ein Funken Hoffnung glüht. Denn: Es scheint immerhin ein gewisses Problembewusstsein zu geben.

Dabei kann man die Daten freilich auch genau umgekehrt lesen. Dass es in einem Volk mit 83 Millionen Einwohnern auch eine erkleckliche Anzahl an Rassisten geben dürfte, kann man ganz ohne eigene Diskriminierungs- oder Rassismuserfahrungen mit Berechtigung mutmaßen. Dass sogar zehn Prozent der Bevölkerung diese Binse bestreiten, kann ja nur zweierlei bedeuten: Entweder fehlt diesen zehn Prozent ein gehöriges Maß an Vorstellungskraft oder sie hängen möglicherweise selbst im nazistischen Sumpf fest. 

Evidente Daten für evidente Politik

Bundesministerin Paus ihrerseits zeigte sich zwar nicht erfreut, aber doch erleichtert über das Ergebnis der Studie. Was viele schon immer geahnt hätten, sei nun endlich wissenschaftlich erwiesen. Die Erleichterung betraf also nicht das Ausmaß an Rassismus, sondern dass sich die Angelegenheit endgültig nicht mehr wegdiskutieren lasse. Vielmehr gebe es nun zum Glück eine wissenschaftliche Einschätzung auf der Basis „evidenzbasierter, regelmäßiger Daten“ als Handlungsgrundlage für die Politik.

„Evidenzbasierte Daten“, das ist ein in Politik und Wissenschaft inzwischen weit verbreitetes Schlagwort. Es meint ungefähr das: Die Lage ist so glasklar, dass keine Fragen mehr zu stellen sind. Es liegt auf der Hand, was der Fall und was zu tun ist. Das hätten die wissenschaftlichen Daten ja schließlich ergeben. Follow the science!

Aber gerade in Sachen „Rassismus“ ist die Lage alles andere als klar. Die Autoren des NaDiRa geben das in ihrer Studie auch unumwunden zu. Weder nämlich existiere ein in der Wissenschaft unstrittiges Konzept von „Rassismus“ noch könne man voraussetzen, dass in der Alltagssprache der Menschen damit dasselbe gemeint sei wie in der Wissenschaft. Und genau deshalb sind die Ergebnisse des NaDiRa auch alles andere als „evident“.

Der schillernde Begriff der Rasse

Das Problem beginnt schon mit dem Begriff der Rasse. Laut NaDiRa ist es im Grunde bereits rassistisch, Menschen „aufgrund von äußerlichen Merkmalen in verschiedene Gruppen“ einzuteilen. Nicht erst die ungerechtfertigte Diskriminierung ist demnach ein rassistischer Akt, sondern bereits die Unterscheidung von Menschen anhand ihres Äußeren – und sei sie auch wertfrei. 

Ganz abgesehen davon, dass die Macher der Studie sich damit in einen ziemlichen Selbstwiderspruch verwickeln: Sie untersuchen nämlich unter anderem die Verbreitung eines „anti-asiatischen“ und „anti-schwarzen“ Rassismus in Deutschland, was ohne Anknüpfung an äußerliche Merkmale freilich gar nicht möglich wäre. Es darf zudem bezweifelt werden, dass dieser enge Rassismusbegriff in der Bevölkerung allzu weit verbreitet ist. Und genau deshalb zerbröckelt die „Evidenz“ der Untersuchungsergebnisse von selbst, denn Fragesteller und Antwortende dürften unter derselben Frage häufig gar nicht dasselbe verstehen. Deshalb geben die Antworten vermutlich auch nicht das her, was die Fragesteller aus ihnen herauslesen. 

Die Daten halten nicht, was sie versprechen

Hinzu kommt noch ein ganz anderes Problem. Die Fragen sind meist nicht zeitlich limitiert. Sie lauten zum Beispiel: „Wurden Sie selbst schon einmal rassistisch behandelt?“ oder „Haben Sie selbst schon einmal rassistische Vorfälle beobachtet?“. Oder es handelt sich um Aussagen wie: „Es gibt rassistische Diskriminierung in deutschen Behörden.“, was mehr als 60 Prozent der Befragten für plausibel halten.

Das Problem an den Ergebnissen zu diesen Statements und Fragen ist, dass man schon deshalb nicht viel mit ihnen anfangen kann, weil die Beobachtung eines rassistischen Vorfalls eines 88-jährigen Befragten auch aus dem Jahre 1939 stammen könnte. In Wahrheit wird mit dieser Studie daher nicht das aktuelle „Ausmaß von Rassismus“ in Deutschland ausgeleuchtet, wie die Autoren versprechen, sondern die kumulierten Lebenserfahrungen der Befragten. Und nicht einmal diese müssen objektiv rassistisch gewesen sein. Es reicht ja der „subjektive“ Eindruck hin. Die Studie trüge daher besser den Titel „Rassistische Erinnerungen“ statt „Rassistische Realitäten“. Mit derartigen Fragen lässt sich daher in Wahrheit nicht viel über das aktuelle Ausmaß an Rassismus in der deutschen Gegenwartsgesellschaft in Erfahrung bringen. Auch wenn die „evidenten“ Zahlen noch so pompös klingen mögen. 

Und für die Vermutung, dass es auch in Behörden rassistische Diskriminierung gebe, muss man nicht einmal eigene entsprechende Erfahrungen gemacht oder von ihnen gehört haben. Es reicht sich vorzustellen, dass sich unter den zahlreichen Staatsdienern wohl bestimmt auch ein paar Idioten befinden werden. Aber dafür gibt es bisher freilich keine wissenschaftliche „Evidenz“ auf der Basis empirischer Studien. Hier muss man sich vorerst noch auf seinen gesunden Menschenverstand verlassen. In Wahrheit wird daher mit Statements wie „Es gibt rassistische Diskriminierung in deutschen Behörden.“ auch gar nicht das rassistische Feld vermessen, sondern die Vorstellungskraft der Befragten.

Das „finanzstärkste Demokratieförderprogramm“ aller Zeiten

Trotz aller eigentlich deprimierender Daten sieht Bundesministerin Paus Deutschland „auf einem guten Weg“. Sie meint damit aber eigentlich nicht Deutschland, sondern die Bundesregierung, also sich selbst. 

Mit dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ nämlich würden von ihrem Ministerium derzeit rund 600 Initiativen gegen Rassismus und Diskriminierung mit 165 Mio. Euro jährlich gefördert. Das sei das „finanzstärkste Demokratieförderprogramm, das je eine Bundesregierung aufgelegt hat“, verkündet sie stolz. Und der NaDiRa-Monitor bestärkt sie darin, in ihrem Bemühen nicht nachzulassen. Deshalb will sie jetzt ein „Demokratiefördergesetz“ auf den Weg bringen und die Förderung weiter aufstocken. 

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