Mord in Stuttgart - Lauter regionale Einzelfälle

Viele Leitmedien wie der Deutschlandfunk berichteten nicht über den Schwertmord in Stuttgart. Damit ignorieren sie nicht nur das offensichtliche Muster hinter solchen Attentaten. Sie bestärken auch Kräfte, in deren Händen das Thema nicht gut aufgehoben ist

Warum berichteten überregionale Medien nicht über den Mord in Stuttgart? / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Wer sich dafür interessieren sollte: Es gibt erste Hinweise auf das Motiv des Mörders von Stuttgart, der auf offener Straße einen 36-jährigen Mann mit einem Schwert getötet, man muss eher sagen, zerstückelt hat. „Warum hast du das getan?“, soll er zwischen seinen Hieben auf sein Opfer und im vorausgegangenen Streit immer wieder gerufen haben. Wie die Bildzeitung nun berichtet, könnte damit eine Anzeige gemeint gewesen sein. Der Jordanier oder Palästinenser hatte sich 2015 als Syrer ausgegeben, als er in Deutschland einreiste und so Asylmissbrauch betrieben. Das hatte sein Opfer bei den Behörden offenbar gemeldet. Demnach hätte der Mann deshalb auf bestialische Weise sterben müssen.

Dieser Fall ragt aus den vielen anderen Fällen ähnlicher Art in seiner Grausamkeit heraus. Trotzdem hat er in der Tagesschau, dem Deutschlandfunk und bei Spiegel Online – um drei Leitmedien zu nennen – kaum eine oder keine Rolle gespielt. Der Deutschlandfunk (DLF) hat stattdessen eine Erklärung abgegeben, warum die Redaktion über den Schienenmord von Frankfurt, nicht aber über den Schwertmord von Stuttgart berichtet hat. Sie sei hier in voller Länge zitiert: 

Die Meldung des Deutschlandfunks

„In Stuttgart ist gestern ein Mann mit einem schwertähnlichen Gegenstand getötet worden. Die Polizei hat einen syrischen Staatsbürger als Verdächtigen festgenommen. Täter und Opfer kannten sich nach den Angaben der Ermittler gut. In den Sozialen Medien wurde an uns die Frage herangetragen, warum wir bislang nicht über dieses Verbrechen berichtet haben, das im Netz auch als „Macheten-Mord“ bezeichnet wird. In den Nachrichten des Deutschlandfunks spielen einzelne Kriminalfälle nur selten eine Rolle. Voraussetzung für die Berichterstattung ist eine bundesweite und gesamtgesellschaftliche Bedeutung, so wie in dieser Woche bei der Tat vom Frankfurter Hauptbahnhof.

Das Verbrechen von Stuttgart ist grausam und erfüllt auch unsere Redaktion mit Trauer und Fassungslosigkeit. Die bundesweite und gesamtgesellschaftliche Relevanz sehen wir aber derzeit nicht. Die Staatsangehörigkeit eines Menschen begründet diese Bedeutung für sich genommen noch nicht. Das gilt auch für die Intensität der Debatte in Sozialen Medien. Zahlreiche Medien berichteten über die Tat von Stuttgart, insbesondere lokale und regionale. Das finden wir angemessen. Diese Berichte sind im Internet und in den Sozialen Medien für jedermann verfügbar.“

Regionale Ereignisse mit weltweiter Bedeutung

Der Deutschlandfunk berichtet also nicht über Einzelfälle. In Ordnung. Kann man ja so handhaben, selbst wenn Stuttgart sogar der New York Times eine Meldung wert war. Die ist nun in vielerlei Hinsicht noch weiter weg von Stuttgart als der Deutschlandfunk. Und jenseits dessen: Kann mir irgendwer freundlicherweise den Unterschied zwischen Stuttgart und Frankfurt nach Lesart des DLF erklären? Ich habe ihn nicht verstanden.

Es stimmt ja: Regionale Ereignisse, Unfälle, Gewaltverbrechen haben in überregionalen politischen Nachrichtensendungen und -kanälen nichts verloren. Man kann sich auf diesen Standpunkt stellen.

Aber erstens werden Busunglücke und Flugzeugabstürze vom anderen Ende der Welt gleichwohl dauernd entgegen dieser Maxime vermeldet. Und zweitens ist es so, dass bei einer Serie von Busunglücken oder Flugzeugabstürzen eines Herstellers natürlich aus dem regionalen Ereignis ein Ereignis von bundespolitischer, sogar weltweiter Bedeutung wird. Der Spiegel hat in seiner aktuellen Ausgabe so ein Thema auf dem Titel. Weil bei mehreren ähnlich verlaufenen Flugzeugabstürzen immer ein Modell der Firma Boeing betroffen war, stellt sich natürlich eine Frage von bundesweiter, in dem Fall weltweiter Bedeutung: Stimmt etwas technisch nicht mit der Boeing 737 Max? Akribisch geht der Spiegel in seiner Titelgeschichte völlig zu Recht dieser Frage nach.

Schweigen bestärkt die Gegner

Und so, wie es ein Muster des Herstellers bei den betreffenden Flugzeugabstürzen gibt, so gibt es ein Muster der Herkunft von Tätern schwerer Gewaltverbrechen in Deutschland, das sich in Stuttgart, in Freiburg, in Berlin, in Offenburg, in Wiesbaden, in Würzburg und an vielen anderen Orten erwiesen hat. Täter sind junge Männer, die im Zuge der offenen Grenzen 2015/2016 nach Deutschland gekommen sind. Das ist für sich genommen nachrichtlich relevant. Und politisch deshalb, weil das unkontrollierte Hineinlassen von Menschen ohne eindeutigen Herkunftsnachweis 2015/2016 durch die Bundesregierung bis heute umstritten ist und das Land wie kaum eine andere Frage spaltet.

Das ist daher ein Muster von bundesweiter Relevanz und hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Der Versuch, dieses Muster in Redaktionsstuben zu ignorieren oder zu negieren, führt zu einer grotesken Schieflage in der Nachrichtengebung. Selbst wenn das gut gemeinte Motiv dahinter steht, keine Ressentiments gegen unbescholtene Migranten zu schüren, führt dieses Vorgehen zum Gegenteil. Es macht politisch jene Kräfte stark, in deren Händen das Thema nicht am besten aufgehoben ist.

Spiegel Online erachtete es in etwa zeitgleich mit dem Schwertmord von Stuttgart für relevant, eine Meldung aus Ulm zu bringen. Dort hatte im Nachgang zu einem Streit wegen Lärms bei einer privaten Feier ein ortsansässiger betrunkener Anwohner einen Besucher der Feier mit zwei Schüssen aus einer Luftpistole verletzt.

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