Markus Söder - Team Vorsicht und Team Augenmaß

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, bisher einer der Hardliner der Corona-Politik, lässt neuerdings sanftere Töne hören, die auf Öffnung und Lockerung hindeuten. Reagiert er darauf, dass der Wind sich angesichts der milderen Omikron-Variante dreht? Oder ist der vemeintliche Wandel nur ein verbaler? Ein Interview, das er am Wochenende dem „Münchner Merkur“ gab, könnte Aufschluss geben.

Will auch mal Fünfe gerade sein lassen: Markus Söder / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Hier finden Sie Nachrichten und Berichte der Print- und Onlineredaktion zu außergewöhnlichen Ereignissen.

So erreichen Sie Cicero-Redaktion:

Anzeige

Wie bereits vor einer Woche in Cicero vermutet, versucht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, sich in der Corona-Pandemie langsam von einer allzu strikten Maßnahmenpolitik abzusetzen – also vom „Team Vorsicht“ allmählich ins „Team Augenmaß“ hinüberzugleiten –, ohne durch ein komplettes Über-den-Haufen-Werfen seiner bisherigen Politik sein Gesicht zu verlieren. Bereits nach der letzten Ministerpräsidentenkonferenz stellte Bayern sich quer, als es die dort beschlossene 2G-plus-Regel für die Gastronomie als einziges Bundesland nicht einführte. Und in einem Interview mit dem Münchner Merkur vom Sonntag erläutert Söder erneut seinen Spagat zwischen Hardlinertum und einem mehr freiheitsbewussten Umgang mit der Pandemie. Mit Blick auf die Omikron-Variante sagt er den Interviewern: „Jetzt ist die Lage bei Omikron anders: stärkere Ansteckung, aber mildere Verläufe. Daher wäre ein Lockdown bei einer Inzidenz 1000 unverhältnismäßig.“ Man müsse die Lage in den nächsten zwei Wochen sehr genau im Blick behalten. „Omikron ist nicht Delta. Das heißt: Wir müssen genau justieren, welche Regeln zwingend nötig, aber auch verhältnismäßig sind. Wir wollen ,Team Vorsicht‘ und ,Team Augenmaß‘ zusammenbringen.“

Wie ist Söder zu diesem Sinneswandel gekommen? Durch Nachdenken, Gespräche und das Ziehen tiefer Lehren: „Ich habe über den Jahreswechsel lange nachgedacht, viele Gespräche geführt – privat und politisch – und aus diesen zwei Corona-Jahren auch tiefe Lehren gezogen. Wir brauchen jetzt, gerade bei Omikron, einen breiteren Ansatz. Es wird nicht mehr ausreichen, die Lage nur medizinisch und virologisch zu betrachten. Wir müssen auch auf die gesellschaftliche und soziale Komponente stärker achten.“ Etwas, das Kritiker seiner Maßnahmenpolitik schon von Anfang an angemahnt hatten, womit sie sich – auch aus Söders Munde – den Vorwurf des Coronaleugnertums eingehandelt haben. Aber wenn jemand dazulernt, kann man das ja auch einmal lobend anerkennen: „Wir müssen erkennen, dass die Gesellschaft mehr von uns erwartet, als jeden Tag nur neue Verordnungen zu erlassen“, erkennt der bayerische Ministerpräsident ganz richtig. „Wir müssen künftig genauer und verständlicher begründen, was wir tun.“

Spanien kein Vorbild

Als eine Abkehr von bisherigen Positionen will Söder diese versöhnlichen Worte freilich nicht verstanden wissen, vor allem, was die Impfpflicht betrifft. Denn: „Die Impfpflicht hängt nicht nur mit Omikron zusammen. Wir wollen auch alle künftigen Mutationen überwinden können – raus aus dieser Corona-Endlosschleife, und endlich wieder mehr Freiheit.“ Es soll also, wenn es nach ihm geht, bei der Impfpflicht bleiben, auch wenn, worauf seine Interviewer ihn aufmerksam machen, Ethikrat, Stiko und viele Politiker vorsichtig wieder davon abrücken. „Wer sich impfen und boostern lässt, wird bei Omikron nach Einschätzung der Experten wohl einen milderen Verlauf erleben“, erläutert Söder zuversichtlich, dabei unterschlagend, dass der mildere Verlauf mitnichten vom Impfstatus abhängt – und selbst die Infektiosität keinen Unterschied mehr zwischen Geimpften und Ungeimpften macht.

Deswegen ist für Söder auch Spanien kein Vorbild, das Covid künftig wie eine normale Grippe behandeln will. „Denn Spanien hat eine deutlich höhere Impfquote – der entscheidende Unterschied. Bei uns ist die Impflücke noch zu groß.“ Aber wen will man durch ein Schließen der Impflücke überhaupt noch schützen, wenn nicht die bis dato Ungeimpften, die nach einem solchen Schutz gar nicht verlangen? „Das ist ja das Paradoxe in dieser Pandemie: Dass wir viele zu schützen versuchen, die sich gar nicht schützen lassen wollen.“ Eine Paradoxie, die sich leicht auflösen ließe, kehrte man zu einem der Grundprinzipien des liberalen Rechtstaates zurück, niemandem (Gesundheits-)Schutz aufzuzwingen, der diesen nicht wünscht.

Ein immer größerer Teil der solcherart Zwangsbeglückten geht gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße („Jeder hat das Recht, seine Meinung kundzutun. Das werden wir nie verbieten“, verspricht Söder; aber es wurde seinerzeit bereits versprochen, dass eine Impfpflicht niemals kommen werde …), und da die Proteste inzwischen zu weit in die Mitte der Gesellschaft reichen, als dass man sie noch marginalisieren könnte, gilt es nun, die guten von den bösen Demonstranten zu scheiden: „Hass und Hetze müssen bekämpft und auch ein Verschwörungskanal wie Telegram blockiert werden. Den nutzen auch Menschen, die wir kaum mehr erreichen können, weil sie sich in ihren Verschwörungstheorien verfangen haben. Aber um eine andere Gruppe müssen wir uns stärker bemühen: Menschen, die einfach verunsichert und beschwert mitlaufen. Mit ihnen müssen wir wieder ins Gespräch kommen. Denn nicht jeder, der skeptisch ist, ist ein Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker oder Rechtsradikaler.“ Wer aber ein Verschwörungstheoretiker ist, das zu definieren, behält sich Markus Söder weiterhin selbst vor. Dazu kann dann auch schon mal der bayerische FDP-Landtagsabgeordnete Martin Hagen gehören, den Söder über seinen Generalsekretär Markus Blume so bezeichnen ließ – weil er die offiziellen Corona-Zahlen des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit angezweifelt hatte.

Das ganze Interview lesen Sie hier.

Anzeige