Mahmud Abbas in Berlin - Wer Antisemiten einlädt, bekommt Antisemitismus geliefert

Die Empörung über die jüngste Holocaust-Relativierung durch Mahmud Abbas wirkt wenig glaubwürdig. Denn es ist seit langem bekannt, was der Palästinenserpräsident über Israel, den Zionismus und den Holocaust denkt. Das wusste Olaf Scholz, und das wussten auch seine Kritiker. Die Frage ist, warum man Abbas überhaupt in Berlin hofiert.

Mahmud Abbas und sein Gastgeber Olaf Scholz bei der Pressekonferenz am Dienstag / dpa
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Ingo Way ist Chef vom Dienst bei Cicero Online.

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Wer hätte denn bloß ahnen können, dass Palästinenserpräsident Mahmud Abbas einen Auftritt vor der Presse in Berlin für israelfeindliche und antisemitische Statements nutzen würde? Da Abbas für entsprechende Äußerungen notorisch ist, eigentlich jeder – außer offenbar Bundeskanzler Olaf Scholz. Der hatte am Dienstagnachmittag zu einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) ins Bundeskanzleramt geladen. Und nachdem Abbas diesen Auftritt bereits dazu genutzt hatte, dem israelischen Staat „Apartheid“ vorzuwerfen, legte er ganz am Ende noch eins drauf.

Auf die Frage eines Journalisten, ob Abbas zum 50. Jahrestag des von der PLO verübten Attentats auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München nicht allmählich für dieses Verbrechen um Verzeihung bitten möchte – wohlgemerkt: seinerzeit, 1972, war Abbas Generalsekretär des Exekutiv-Komitees der PLO, die er Anfang der 60er-Jahre mitgegründet hatte –, entgegnete der PA-Präsident patzig: „Seit 1947 bis zum heutigen Tag hat Israel 50 Massaker in 50 palästinischen Dörfern und Städten begangen. 50 Massaker, 50 Holocausts.“ Auf das Olympia-Attentat ging er gar nicht erst ein.

Eine gewisse Verärgerung im Gesicht

Hatte Scholz nach Abbas’ Apartheid-Vorwurf in Richtung Israel immerhin noch milde und etwas kraftlos gekontert: „Ich will ausdrücklich hier an dieser Stelle sagen, dass ich mir das Wort Apartheid nicht zu eigen mache und dass ich das nicht für richtig halte für die Beschreibung der Situation“, sagte er jetzt – gar nichts. Zwar war seinem Gesichtsausdruck eine gewisse Verärgerung durchaus anzumerken, dennoch reichte er Abbas am Ende der Pressekonferenz noch die Hand.

Selbstverständlich verdient hier das Verhalten von Regierungssprecher Steffen Hebestreit Kritik, der sofort im Anschluss an Abbas’ Holocaust-Vergleich die Pressekonferenz planmäßig beendete und keine weiteren Fragen zuließ. Dennoch wirkt die Erklärung, er habe damit dem Bundeskanzler gar keine Zeit gelassen, auf die Aussagen seines Gegenübers zu reagieren, wie eine lahme Ausrede.

Wer ist denn der Chef im Hause? Als solcher hätte Scholz selbstverständlich sofort das Mikrofon ergreifen und Abbas zurechtweisen müssen. Sich hinter Hebestreit zu verstecken und erst am Abend gegenüber der Bild-Zeitung von den Äußerungen seines Gastes zu distanzieren („Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel“), ist eines deutschen Regierungschefs jedenfalls unwürdig.

Abbas schrieb vom „Mythos“ der sechs Millionen ermordeten Juden

Kritik an Scholz kam unter anderem vonseiten der Union. „Ein unfassbarer Vorgang im Kanzleramt“, twitterte etwa CDU-Chef Friedrich Merz. Der Kanzler hätte Abbas „klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen!“. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, klagte: „Durch seine Holocaustrelativierung hat Präsident Abbas jegliche Sensibilität gegenüber uns deutschen Gastgebern vermissen lassen.“ Und gegenüber den Opfern des Holocaust erstmal, möchte man ergänzen.

Olaf Scholz’ Empörung wirkt überdies aufgesetzt, denn es ist schließlich nicht das erste Mal, dass Abbas den Holocaust relativiert. Es ist allgemein bekannt, dass er im Jahr 1982 seine Doktorarbeit unter dem Titel „Die andere Seite: Die geheime Beziehung zwischen Nazismus und Zionismus“ an der sowjetischen Patrice-Lumumba-Universität in Moskau vorgelegt und am Institut für Orientalische Studien der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften verteidigt hat. Darin vertritt Abbas die These, dass die zionistische Bewegung mit den Nazis kooperiert habe und damit zu gleichen Teilen verantwortlich für den Holocaust war. Abbas zufolge arbeiteten die Zionisten mit Hitler zusammen, um Europa für die Juden unbewohnbar zu machen und sie so zu zwingen, nach Palästina auszuwandern. 1984 erschien das Buch in arabischer Sprache in einem jordanischen Verlag.

 

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Abbas leugnet also den Holocaust nicht per se, gibt allerdings dem Zionismus eine Mitschuld an der Ermordung der europäischen Juden. Er bezieht sich damit auf das Haavara-Abkommen, in dem das Dritte Reich mit der Jewish Agency vereinbarte, die jüdische Auswanderung aus Deutschland in das Mandatsgebiet Palästina zu erleichtern. In dem Buch behauptet er, die Zionisten hätten den „Mythos“ von sechs Millionen ermordeten Juden geschaffen, was er als „fantastische Lüge“ bezeichnet. Vielmehr seien im Holocaust nicht mehr als 890.000 Juden ermordet worden.

Mit dieser Fantasiezahl beruft er sich, natürlich zu Unrecht, auf den amerikanischen Historiker Raul Hilberg. Der hatte in der Erstauflage seines Buches „Die Vernichtung der europäischen Juden“ von 1961 auf der Basis des damaligen Forschungsstandes die konservative Schätzung von 5,1 Millionen jüdischer Opfer der Schoa angegeben. Wie Abbas auf die Zahl 890.000 kam, bleibt sein Geheimnis. Ferner bezweifelt Abbas in seinem Buch die Existenz der Gaskammern und beruft sich dabei auf den französischen Holocaustleugner Robert Faurisson.

Die Bundesregierung finanziert indirekt „Märtyrer-Renten“

Als Jugendsünde lassen sich Abbas’ damalige Ausführungen nicht abtun, denn sein Buch erschien 2011 in einer Neuauflage und wird bis heute auf der offiziellen Website der Palästinensischen Autonomiebehörde beworben. Und noch im Jahr 2018 gab Abbas in einer Rede vor dem Palästinensischen Nationalrat den europäischen Juden eine Mitschuld an ihrer eigenen Ermordung, indem er erklärte: „Die Judenfrage, die sich in ganz Europa gegen die Juden ausbreitete, war also nicht wegen ihrer Religion, sondern wegen des Wuchers und der Banken.“ Abbas’ jüngste Äußerungen kamen also keineswegs überraschend. Der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff erklärte denn auch, eine breitere Öffentlichkeit erfahre nun endlich, „wie die Palästinenser und Abbas – Israels angebliche ,Partner‘ – drauf sind“. Etwas, das man in Regierungskreisen natürlich schon seit langem weiß.

Warum war Abbas überhaupt in Berlin? Es war das erste Mal, dass Bundeskanzler Olaf Scholz den 87-jährigen Palästinenserpräsidenten empfing. Nachdem dieser von US-Präsident Joe Biden bei dessen Nahostbesuch im Juli offenbar nicht das zu hören bekam, was er hören wollte, ist Abbas nun auf Europa-Tournee, um nach neuen Verbündeten zu suchen. Nach einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vor drei Wochen wollte sich Abbas in Berlin dafür einsetzen, dass Deutschland die Palästinensergebiete nicht nur finanziell unterstützt, sondern sich auch politisch stärker im Nahen Osten engagiert – im Sinne der palästinensischen Sache, versteht sich.

Finanzielle Unterstützung sofort beenden

Genau dies, die finanzielle Unterstützung der Autonomiebehörde zu beenden, wäre die richtige Reaktion nicht nur auf die antisemitischen Äußerungen ihres Präsidenten, sondern auch darauf, dass diese Gelder von der PA unter anderem dazu benutzt werden, sogenannte Märtyrer-Renten an die Hinterbliebenen palästinensischer Terroristen zu zahlen, die bei Selbstmordattentaten auf Israelis ums Leben kommen. Mit solchen „Renten“ werden nämlich Anreize für weitere Attentate gesetzt.

Das war übrigens auch der vorherigen Bundesregierung bereits bekannt, weswegen die Kritik an Scholz vonseiten der CDU eher in parteipolitischem Kalkül denn in einer Durchdringung des Sachverhalts gründet. Die Politik der PA und die Haltung ihres Präsidenten sind jedem politisch Verantwortlichen in Deutschland seit langem bewusst. Nachträgliche Empörung wirkt hier etwas wohlfeil. Wer Antisemiten einlädt, bekommt eben auch Antisemitismus geliefert.

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