Große Koalition und der Fall Maaßen - Keine Statik mehr

Der Fall Maaßen ist nur das Symptom einer tiefen Krise: der Koalition, der Kanzlerin und des Landes. Lange hält die Regierung nicht mehr. Doch danach wird es nicht besser, im Gegenteil

Da hilft auch kein Koalitionsvertrag mehr: Die Bundesregierung hat keinerlei innere Statik mehr / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Wären die Zeiten normal, dann würde eine Bundesregierung in diesen Tagen einfach ihre Arbeit machen. Ein Jahr nach der jüngsten und drei Jahre vor der nächsten Bundestagwahl würden in den Ministerien Gesetze geschrieben, im Parlament würde sich die Opposition vergeblich an der Regierung abarbeiten. Die Parteien hingegen würden ein wenig durchatmen, bevor die Vorbereitungen für den nächsten Wahlkampf beginnen. Natürlich gäbe es unter den Koalitionspartnern auch Streit, aber der Koalitionsvertrag diente den Koalitionspartnern als Richtschnur, und die Kanzlerin würde in der Regierung und auch im Lande eine natürliche Autorität genießen, ohne das Wort Richtlinienkompetenz überhaupt aussprechen zu müssen.

Stattdessen ist an dieser Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD nichts normal. Die Bundesregierung ist völlig von der Rolle, von halbwegs ordentlicher Regierungsarbeit kann keine Rede sein. Eine Opposition braucht es eigentlich nicht mehr, weil die drei Regierungsparteien sich selbst genug Opposition sind. Ständig trachten sie danach, sich gegenseitig in die Beine zu treten. Der Fall Maaßen ist dabei nur das Symptom einer tiefen Krise der Regierung und der sie tragenden Parteien. Sie ist Symptom für die Ziellosigkeit der Großen Koalition, für die Erosion der drei Regierungsparteien und für die verlorengegangene Autorität der Kanzlerin Angela Merkel. Kurzum: Sie ist Symptom einer Krise der Demokratie in Deutschland.

Streit ohne Ende

Die Kanzlerin hatte ein halbes Jahr gebraucht, um überhaupt eine Regierungsmehrheit zu schmieden. Zunächst entdeckte die FDP ihre Oppositionslust und ließ die Jamaika-Sondierungen platzen. Anschließend diskutierte die SPD wochenlang über die Frage „GroKo oder No-GroKo?“. Und kaum war die Neuauflage der Großen Koalition zustande gekommen, stritten im Frühsommer CDU und CSU wochenlang erbittert über die Migrationspolitik und eine eher symbolische Schließung der bayerischen Grenzen. Wobei Teile der CSU unverhohlen den Sturz der Kanzlerin betrieben.

Kaum war die Sommerpause vorbei, ging es mit dem Streit um die Deutung der Ereignisse in Chemnitz und um den Verfassungsschutzpräsidenten weiter. Zwischendurch stritten sich CDU, CSU und SPD tagelang erbittert über die Rente, um am Ende das als Kompromiss zu präsentieren, was sie ein paar Monate zuvor schon als Kompromiss in den Koalitionsvertrag geschrieben hatten. Zurück blieb eine ziemlich verunsicherte Wählerschaft. Und bei aller öffentlichen Erregung über eine Grenzschließung und das Rentenniveau, über Chemnitz und den Verfassungsschutzpräsidenten ist in diesen Tagen beinahe untergegangen, dass Union und SPD auch in einer wichtigen außenpolitischen Frage entgegengesetzte Positionen eingenommen haben: einer möglichen Beteiligung der Bundeswehr an einem westlichen Militärschlag in Syrien.

Frust, Wut und Sehnsucht

Kein Wunder, dass kaum noch ein Wähler glaubt, diese Regierung habe noch die Kraft und den Willen, die großen politischen Herausforderungen des Landes zu bewältigen. Den für Freitag geplanten Mieten-Gipfel kann sich die Regierung eigentlich sparen. Das Motto „Erst das Land, dann die Partei“ gilt für CDU, CSU und SPD nicht mehr. Alle drei sind vor allem mit sich selber beschäftigt und ihren wenig rosigen Zukunftsperspektiven.

Die CSU steht vor einer Landtagswahl, die mit einer herben Niederlage enden und zu der schmerzhaften Erkenntnis führen könnte, dass die Sonderrolle der Bayernpartei im bundesdeutschen Parteiensystem ein Ende hat. In welche Richtung sich Frust und Wut nach der Wahl entladen, ist völlig offen. Ob nur der CSU-Vorsitzende und Bundesinnenminister Horst Seehofer gehen muss oder auch Ministerpräsident Markus Söder, hängt davon ab, wie tief die CSU abstürzt. Mit Sicherheit werden viele CSU-Politiker auch den Kopf der Kanzlerin fordern. Schließlich haben sie diese seit der Flüchtlingskrise 2015 ausgemacht als Ursache allen christsozialen Elends und für den Aufstieg der AfD.

Der SPD geht es noch dreckiger als der CSU. Sie steckt mitten in einem Existenzkampf. Die Genossen finden kein Rezept gegen den permanenten Abwärtstrend, und sie reagieren zunehmend panisch. Wenn die SPD bei der Landtagswahl in Bayern, wie aktuelle Umfragen andeuten, tatsächlich nur noch viert- oder gar fünftstärkste Partei wird; also wenn Grüne, AfD und womöglich auch die Freien Wähler an der bayerischen SPD vorbei ziehen, dann könnte die Oppositionssehnsucht unter den Sozialdemokraten im ganzen Land Überhand gewinnen.

Konflikt schwelt weiter

Nur scheinbar steht die CDU viel besser da. Auch die Christdemokraten sind tief gespalten, die Zahl der Merkel-Kritiker wächst und wächst. Nicht ausgeschlossen, dass sich der Frust schon in der kommenden Woche bei der Wahl des Fraktionsvorsitzenden entlädt und Merkels Mann Volker Kauder keine Mehrheit mehr bekommt. Der als Zählkandidat gestartete Ralph Brinkhaus ist mittlerweile ein ernstzunehmender Herausforderer. Kein Wunder, dass die Regierung nicht mehr arbeitsfähig ist.

In einer arbeitsfähigen Bundesregierung wäre auch der Fall Hans-Georg Maaßen längst geklärt. Er wäre schon vor zwei Wochen entlassen worden. Ein Spitzenbeamter, der sich mit kommentierenden Äußerungen in einer Boulevardzeitung in eine hoch emotionale politische Debatte einmischt und damit vor allem die Regierungschefin angreift, ist nicht mehr tragbar. Ein Verfassungsschutzpräsident, der in aller Öffentlichkeit wüste Spekulationen über die Authentizität von Gewaltexzessen am Rande einer Demonstration von Extremisten anstellt, statt seinem Dienstherren nüchtern die Erkenntnisse seines mit allerlei Sonderrechten ausgestatteten Amtes zu präsentieren, gehört vom zuständigen Minister einbestellt und wegen erwiesener Illoyalität alsbald rausgeschmissen. Ende der Diskussion.

Stattdessen schwelt der Fall Maaßen mit seiner Ablösung als Verfassungsschutzpräsident einerseits und der Ernennung zum Staatssekretär im Innenministerium andererseits weiter. Horst Seehofer hat Maaßen mit der Beförderung unter seine ganz persönliche Protektion gestellt und damit in seinem Kleinkrieg gegen Angela Merkel ein neues Zeichen gesetzt. Nicht ausgeschlossen, dass sich der CSU-Vorsitzende so für die finale Auseinandersetzung mit Angela Merkel nach der Bayernwahl rüstet.

Die Not der Beteiligten als Kitt

Lange wird diese Regierung nicht mehr halten. Denn im Dauerstreit zwischen Kanzleramt und Innenministerium, aber auch im Zwist in der Außenpolitik zeigt sich, dass die Bundesregierung keinerlei innere Statik mehr hat, sondern nur noch von der Not der Beteiligten zusammengehalten wird. Doch ohne Statik ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das ganze Gebäude in sich zusammenfällt.

Und Angela Merkel? Die Kanzlerin weiß vermutlich längst, dass sie diesen Kampf nicht mehr gewinnen kann. Dass sie aber den Zeitpunkt für einen Abgang in Ehren verpasst hat. Und dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die eigenen Parteifreunde sie aus dem Amt jagen.

Keine schönen Aussichten

Vieles im Berlin dieser Tage erinnert an die Lethargie in der Endphase der Ära Kohl vor der Bundestagswahl 1998. Aber es gibt zwei entscheidende Unterschiede: Erstens stand vor zwei Jahrzehnten mit SPD und Grünen eine Opposition zur Regierungsübernahme bereit, und zweitens war damals klar, wer Helmut Kohl in der CDU und gegebenenfalls auch im Kanzleramt nachfolgen würde: der damalige Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble.

Eine Regierung im Wartestand ist 2018 allerdings genauso wenig in Sicht wie ein Merkel-Nachfolger in der CDU. Stattdessen blickt die ganze Republik in ein ziemlich großes Nichts und auf eine AfD, die als Fundamentalopposition das ganze politische System weg haben will, die von einer Revolution gegen Merkel und ihrer Unterstützer in Parteien, Medien und Gesellschaft faselt und damit die Demokratie als solche ins Visier genommen hat. Für die Zeit nach der Großen Koalition und nach der Ära Merkel sind dies keine schönen Aussichten.

 

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