Licht-Projektion am Rathaus - Die depperte Idee des Münchner Stadtrats

Wegen einer Allgemeinverfügung der Stadt München liefern sich Corona-„Spaziergänger“ und die Polizei seit Wochen ein Katz-und-Maus-Spiel in der Münchner Innenstadt. Als wäre das nicht schon anstrengend genug, lässt der Stadtrat am Mittwoch nun auch noch Begriffe wie „Demokratie“ und „Wissenschaft“ an die Fassade des Rathauses projizieren. Dabei ist politisches Symbolgetue wirklich das letzte, was wir derzeit brauchen.

Polizisten während eines „Spaziergangs“ auf dem Marienplatz. Rechts im Bild: das Münchner Rathaus / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„München ist die nördlichste Stadt Italiens“, hört häufiger, wer in der bayerischen Landeshauptstadt lebt. Woher dieser Ruf kommt, darüber ließe sich lange spekulieren. Vielleicht kommt er daher, dass der Föhn – ein warmer und trockener Fallwind, der von den Alpen nach München zieht – regelmäßig sehr italienisches Wetter bringt. Weshalb ein kleiner Spaziergang und ein gutes Glas Wein beim Italiener seines Vertrauens bisweilen schon reichen, um ganz nah dran zu sein am Dolce Vita unserer Fast-Nachbarn im Süden.

Von warmem Wetter ist gerade zwar nichts zu spüren – ein eisiger Wind weht ums Haus, während dieser Text entsteht –, aber spaziert wird derzeit trotzdem regelmäßig und sehr ausgiebig in München. Unter anderem deshalb, weil sich viele Menschen nach zwei Jahren Corona-Pandemie auch hier wieder sehnen nach mehr Dolce Vita auf den Straßen und in den Etablissements dieser Stadt, und sich obendrein wundern, dass der deutsche Staat meint, er habe darüber zu entscheiden, ob sich jemand einen Impfstoff verabreichen lässt oder nicht.

Der Wunsch nach dem Nannystaat

Freilich ist diese Verwunderung berechtigt. Und selbstverständlich gibt es darüber hinaus jede Menge legitime Kritik an den Corona-Maßnahmen, die alles andere ist als das viel zitierte „Geschwurbel“. Vom Missmut über die unsinnige 2G-Regelung im Einzelhandel und dem Hokuspokus beim Genesenenstatus, bis hin zur simplen Tatsache, dass Ungeimpfte nicht mal mehr mit ihren Kindern in den Münchner Zoo dürfen, obwohl dafür – weil an der frischen Luft – keine epidemiologische Notwendigkeit besteht. Vom Märchen von der „Pandemie der Ungeimpften“ noch ganz zu schweigen.

Da kann man schon mal sauer werden, wenn die Politik derart ins Leben der Leute eingreift und manches davon eben auch nur das ist: Übergriffigkeit, die mit Wissenschaft wenig zu tun hat, aber viel mit irrationalen Ängsten, einer gewissen Überheblichkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung und mit dem wenig netten Anliegen, jedem, der nicht tut, was man ihm sagt, so lange das Leben zu erschweren, bis er endlich folgt. Ja, da kann man schon mal sauer werden als mündiger Bürger, und das hat dann auch nur geringfügig damit zu tun, ob man geimpft ist oder nicht. Sondern eher damit, wie ausgeprägt das eigene Bedürfnis ist, in einem übergriffigen Nannystaat zu leben.

Zwischen Stachus und Marienplatz

Wie in demokratischen Ländern eigentlich üblich, bleibt vielen Menschen dann nur noch, ihren Unmut auf die Straße zu tragen. Doch selbst da tun sich seit geraumer Zeit gewisse Schwierigkeiten auf, die etwas post-demokratisch anmuten. In München etwa liefern sich seit Wochen jeden Mittwoch, und bisweilen nun auch montags, Kritiker der Corona-Maßnahmen und die Polizei ein Katz-und-Maus-Spiel, weil die Beamten eine Allgemeinverfügung der Stadt München durchsetzen müssen, die da besagt, dass Demonstrationen in Zusammenhang mit der Corona-Politik in der Innenstadt verboten sind.

Die Losung lautet stattdessen, und wird auch mit Hilfe von blechernen Stimmen aus Lautsprechern auf Polizeiwägen unter die Leute gebracht: „Der Infektionsschutz hat höchste Priorität.“ Und weil dem so ist, schickt die Stadt lieber bis zu 1000 Polizisten in die Fußgängerzone zwischen Stachus und Marienplatz, statt einen orchestrierten Demonstrationszug zuzulassen, was unter anderem die Organisatoren von „München steht auf“ fordern. Die finden nämlich, dass stationäre Versammlungen etwas abseits eigentlich unsinnig sind, weil sie dort kaum einer hört.

Hundertschaften in Kampfmontur

Nun ließe sich diskutieren, ob dem wirklich so ist, oder ob man auch als Demonstrant in Pandemie-Zeiten, wie jüngst auf der Theresienwiese ohnehin geschehen, etwas Kompromissbereitschaft an den Tag legen muss. Und auch, ob so ein Katz-und-Maus-Spiel in der Innenstadt im Sinne des Erfinders ist – oder vom Niveau her eher „Räuber und Gendarm“ auf dem Pausenhof. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Zweifel angebracht sind, ob das riesige Polizeitheater, das die Stadt München und ihr Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) seit Wochen veranstalten lassen, verhältnismäßig ist.

Polizei und Politik derweil schweigen, was das ganze Tohuwabohu an Steuergeldern kostet, und sammeln überdies – beides geht aus einer Anfrage von Cicero hervor – angeblich keine Erkenntnisse darüber, wer da demonstriert. Und das wiederum kann schon stutzig machen, weil es doch im Sinne der Übersicht wäre, einige Erkenntnisse über gewisse Demonstranten zu sammeln, wenn man schon hunderte Beamte, davon viele in Kampfmontur, auf die eigene Stadtbevölkerung und Gäste aus dem Münchner Umland loslässt.

Eine saublöde Idee

Als wäre all das nicht schon leidig genug, will der Münchner Stadtrat nun auch noch eine ganz besondere Idee umsetzen: Am Mittwoch, 2. Februar, sollen laut Mitteilung der Stadt München die Begriffe „Wissenschaft“, „Solidarität“, „Demokratie“ und „Zusammenhalt“ zwischen 18 und 23 Uhr auf die Fassade des Münchner Rathauses am Marienplatz projiziert werden. Das Vorhaben geht zurück auf einen gemeinsamen Stadtratsantrag von SPD/Volt, Grünen – Rosa Liste, CSU, FDP und Freien Wählern, die das künftig jeden Montag und Mittwoch tun wollen. Also immer dann, wenn in der Innenstadt gegen die Corona-Politik „spaziert“ wird. Im Folgenden, was der Oberbürgermeister dazu sagt, und weil es lohnenswert ist, in ganzer Länge:

„Allen Bürgerinnen und Bürgern, allen Mitarbeitenden vor allem im Gesundheitswesen und in der Pflege hat diese Pandemie viel abverlangt. Deshalb freue ich mich über diesen Vorschlag des Stadtrats, danke zu sagen und zudem ein Zeichen für Demokratie und Zusammenhalt zu setzen. Dieser Dank gilt allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sich geduldig an Regeln halten, die sich haben impfen lassen und die ihren Mitmenschen in Notlagen beistehen. Es freut mich sehr, dass das Miteinander und die gegenseitige Rücksichtnahme in München auch nach zwei Jahren belastender Pandemie immer noch so groß sind“, wird Dieter Reiter in der Mitteilung zitiert. Und eine Frage drängt sich auf: Gibt es denn niemanden in den genannten Stadtratsfraktionen, dem auffällt, dass diese Licht-Projektion eine depperte Idee ist?

Mehr schadet als nutzt

Erstens bricht die Stadt München damit unnötigerweise den nächsten Höhepunkt in einer ohnehin schon Orwell’schen Szenerie los, die sich in der Münchner Innenstadt seit Wochen immer wieder aufs Neue beobachten lässt. Zweitens entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn der Begriff „Demokratie“ auf die Fassade eines Rathauses einer Stadt projiziert wird, deren Oberbürgermeister seit Wochen per Allgemeinverfügung versucht, weitestgehend friedliche Proteste mit der Staatsgewalt im Keim zu ersticken. Drittens sollte jedem halbwegs vernünftigen Menschen einleuchten, dass wir in aufgewühlten Zeiten wie diesen nicht mehr, sondern weniger Eskalation durch die Politik bräuchten. Und erst recht kein politisches Symbolgetue, das am Ende mehr schadet als nutzt.

Denn es ist nun einmal so, und das mag man doof finden, entspricht aber leider der Realität: Die „Spaziergänger“ werden diese Licht-Projektion als Provokation wahrnehmen, erdacht von Stadträten, denen die teils eben sehr berechtigten Anliegen vieler Bürger – die derzeit die größten Freiheitseinschränkungen in Friedenszeiten erleben – egal scheinen. Und freilich weiß man das im Rathaus auch, weshalb man sich offiziell zurechtschwurbeln muss, von wegen, man würde sich zuvorderst bei irgendwem bedanken. Oder, auch das ist denkbar, die Verantwortlichen glauben wirklich, sie würden mit einer solchen Licht-Projektion einen sinnvollen Beitrag in Seuchenzeiten leisten. Das Ergebnis bleibt gleichwohl dasselbe: La Dolce Vita war gestern, unfreies Leben ist heute – und München braucht dringend neues politisches Personal.

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