Klimaproteste - Erpressung, Kunstschändung, Blockaden

Wer verändern will, braucht in einer Demokratie Mehrheiten. Doch die Weltuntergangspropheten der „Letzten Generation“ verspielen mit ihren Aktionen Sympathien und schaden somit den eigenen Zielen für mehr Klimaschutz.

Autofahrer verlieren die Geduld mit den Klimaaktivisten / dpa
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Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

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Es gibt drei verschiedene Formen von Protest. Die erste ist mit Abstand die tragischste. Der Markthändler in Tunis, der sich selbst verbrannt hat, weil er die Korruption der Polizei nicht mehr ertragen konnte, gehört hierzu, oder auch der Dissident Alexei Nawalny, der nach Russland zurückgekehrt ist, obschon er wusste, dass er dort für viele Jahre in einem sibirischen Zwangsarbeiterlager inhaftiert werden würde. In diesem Protest wird das eigene Leben für ein politisches Ziel geopfert. Ein größeres Opfer ist nicht möglich. Die Wirkung, die von einem solchen Protest ausgeht, ist entsprechend überwältigend. Die Selbstverbrennung des Markthändlers Mohammed Bouazizi löste den arabischen Frühling aus. Nawalnys Selbstopfer hat seinen politischen Kampf gegen das Putin-Regime weltweit bekannt gemacht.

Die zweite Protestform besteht darin, dass sie die Regel überschreitet, gegen die sie protestiert. Hier ist die Tat von Rosa Parks bis heute legendär, weil sie so einfach und zugleich so mutig war. Sie setzte sich im Bus auf einen Platz, der für weiße Amerikaner reserviert war. Sie akzeptierte die Regel der Rassentrennung und Abwertung schwarzer Menschen nicht mehr. Aus der einfachen Tat, sich auf den „falschen“ Platz im Bus zu setzen, folgte eine Protestbewegung, die zur Aufhebung der zahlreichen rassistischen Gesetze in den USA geführt hat. Der Protest der iranischen Frauen gegen die Gewalt der „Sittenpolizei“ gehört ebenfalls zu dieser mutigen Protestform. Sie riskieren ihr Leben, indem sie gegen den Kopftuchzwang aufbegehren.

Die dritte Protestform unterscheidet sich von diesen beiden existentiell gefährlichen Protesten. In ihr wird weder die Regel durchbrochen, gegen die protestiert wird, noch riskiert sie das Leben der Protestierenden. Die dritte Protestform könnte man als Wohlstandsprotest beschreiben. Man findet ihn in den sozialen Netzwerken, wo ein Empörungssturm den nächsten jagt. Jemand hat ein falsches Wort gesagt, schon findet sich eine Hundertschaft von Sofa-Aktivisten, die per Mausklick die sofortige Verbannung fordern. Bei diesem Clicktivism wird weder etwas riskiert, noch wird eine Regel überschritten. Es handelt sich um ein gratismutiges Gesellschaftsspiel, bei dem sich jeder Smartphonebesitzer für ein paar Sekunden als Teil einer aufregenden Rebellion fühlen darf. Ein Click, und man ist so mutig wie Sophie Scholl, ein Protestbrief unterschrieben, und man ist so engagiert wie Martin Luther King.

Aktionen beschädigen die politischen Absichten

Wozu gehören nun die Protestformen der Klebeaktivisten der „Letzten Generation“? Sie riskieren etwas, wenn sie den fließenden Verkehr mit ihrem Körper aufhalten oder wenn sie sich in Museen an Bildern festkleben. Doch ihr persönliches Risiko ist berechenbar. Kein Polizist wird sie mit einem Wasserwerfer überrollen, sondern mit Pinsel und Sonnenblumenöl vorsichtig die Hand vom Asphalt lösen. Es droht keine jahrelange Haftstrafe, sondern es werden überwiegend kleinere Geldstrafen verhängt. Aber im Gegensatz zu den überschaubaren Folgen für die Aktivisten wirft die Wirkung dieses Protestes zahlreiche Fragen auf: Welche Bedeutung soll es für den Klimawandel haben, wenn ein Bild in einem Museum mit Kartoffelbrei beworfen wird? Und was hilft es dem Klima, wenn der alltägliche Stau durch die Verkehrsblockade noch viel länger wird?

Die Antwort der Protestlogik lautet: Der Protest erzeugt Öffentlichkeit. Diese Antwort ist so richtig wie sie falsch ist. Der Protest erzeugt Aufmerksamkeit, doch die öffentliche Wahrnehmung ist kein Selbstzweck. Schon in der Antike gab es das Negativbeispiel eines geltungssüchtigen Griechen. Herostratos setzte den Tempel der Artemis in Brand, um unsterblich berühmt zu werden. Sein Plan ist aufgegangen, der Name Herostrastos ist bis heute bekannt. Doch er ist zum Synonym für eine eitle Tat geworden, und er gilt als abschreckendes Beispiel, wie man auf keinen Fall zu Ruhm gelangen sollte.

Die Feststellung, dass eine Tat Aufmerksamkeit bekommt, erklärt also nicht, ob diese Aufmerksamkeit auch dem politischen Ziel des Protestes nutzt. Darum ist die gebetsmühlenartig wiederholte Mitteilung der „Letzten Generation“, man sei erfolgreich, weil nun alle über sie sprechen würden, falsch. Zutreffend ist hingegen die Feststellung, dass es einen Widerspruch zwischen der Aktionsform der Klimakleber und ihrem politischen Ziel gibt. Denn die Aufmerksamkeit, die durch die Blockaden und Kunstschändungen erzeugt wird, beschädigt die politischen Absichten. Ein Kunstwerk mit Altöl zu beschmieren, weckt so viel Sympathie, wie vor laufender Kamera einem Katzenbaby die Augäpfel aufzuschneiden. Und täglich hunderte Berufstätige in Zeitnot zu bringen und Krankenwagen zu behindern, weckt kein Verständnis, sondern Wut auf die Klimaproteste. Nach einer Umfrage sind inzwischen 85 Prozent der Deutschen der Meinung, dass solche Aktionen dem Anliegen des Klimaschutzes schaden. Die Frage, die die Protestierenden ignorieren, lautet darum: Wieso schaden die Prostierenden ihrer eigenen Sache?

Auf der Hochphase der linksradikalen Gewalt in den 1970er-Jahren drehte Rainer Werner Fassbinder den Film „Die dritte Generation“. Hierin schildert er eine Terrorgruppe, die im Geiste der RAF Anschläge plant und sich immer weiter radikalisiert. Die Pointe dieses Films besteht darin, dass die Gruppe von einem Agenten der Polizei gegründet worden ist. Die seinerzeit heftig diskutierte Aussage des Films ist, dass die Gewaltspirale der RAF eine geplante Provokation der Sicherheitskräfte ist, um neue Überwachungssysteme einführen zu können. Dass die Wirklichkeit noch viel absurder ist, wurde erst nach 1989 deutlich. Denn dann kam heraus, dass der Polizist, der Benno Ohnesorg erschossen hatte, was maßgeblich zur Gewaltspirale der Studentenbewegung beigetragen hat, ein Mitarbeiter der Staatssicherheit war. Der Agent Provocateur kam aus der DDR. Es lohnt sich, manchmal an die filmische Pointe wie an die historische Intrige zu erinnern. Denn was treibt einen Protest dazu, der anfangs auf breite Zustimmung in der Bevölkerung trifft und zu einem großen Zuwachs Grüner Wähler geführt hat, plötzlich eine Richtung einzuschlagen, die nicht nur die Sympathien verspielt, sondern den Staat zwingt, härter gegen ihn vorzugehen?

Es geht nicht mehr ums Klima

Die Antwort der Protestierenden lautet, dass ihre bisherigen Proteste nicht das Ergebnis gebracht hätten, das sie erwarten. Das Klima nimmt keine Rücksicht auf demokratische Verfahren, also haben wir keine Zeit für langwierige Debatten. In dieser Antwort steckt der Abgrund der Protestlogik. Die Klebeaktivisten behaupten, dass sie einer höheren Wahrheit dienen. Je apokalyptischer ihnen der Klimawandel erscheint, desto größer wird der Druck, den sie selbst empfinden und den sie darum an die Gesellschaft weitergeben müssen. Wer im Auftrag einer höheren Macht unterwegs ist, der muss sich nicht an die menschlichen Gesetze halten.

Diese Argumentation ist seit Carl Schmitt als Ausnahmezustand bekannt. Im Ausnahmezustand müssen alle Regeln außer Kraft gesetzt werden. Und wer über den Ausnahmezustand entscheidet, der hat die absolute Macht. Die Klimaaktivisten beanspruchen diese Macht. Damit stehen sie in einer fundamentalen Opposition zur Gesellschaft. Denn Demokratie gründet sich darauf, dass es keinen Ausnahmezustand gibt, der von einer Minderheit ausgerufen werden kann. Wer Veränderung will, braucht dafür die Mehrheit. Darum waren die sympathiesteigernden Protestformen von Fridays for Future sinnvoll. Die aggressiven Proteste der „Letzten Generation“ begründen sich hingegen in einer falschen Behauptung. Denn es ist nicht so, dass FfF nichts bewirkt hätte. Das Gegenteil ist richtig. Die globalen Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel haben dadurch zugenommen. Die Behauptung, es gehe nicht schnell genug, folgt also nicht der politischen Realität, sondern der Logik des Ausnahmezustands. Mit dieser Logik ist dann jede Form von Widerstand oder Gewalt zu rechtfertigen. Denn der Klimawandel ist in jedem Fall die schlimmere Katastrophe als ein Stau oder eine tote Radfahrerin. Und dann klingt die Reaktion eines Aktivisten der „Letzten Generation“ zum Tod der Radfahrerin in Berlin so: „Shit happens. Wir sind im Klimakampf und nicht im Klimakuscheln.“

 

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Protest, der sich mit dieser Unlogik begründet, gerät zwangsläufig in eine Spirale der Eskalation. Denn ein demokratischer Staat kann die Erpressung mit dem Ausnahmezustand nicht akzeptieren. Je heftiger die Proteste werden, desto härter müssen die Reaktionen des Staates ausfallen. Für die Protestierenden wird der Protest gerade durch die härtere Reaktion immer mehr zu seinem eigenen Inhalt. Man protestiert gegen den Staat und nicht mehr für das Klima. Ob der Stau oder das beschmierte Bild dem Klima hilft, ist dann egal. Es geht darum, durch möglichst effektvolle Maßnahmen die eigene Kampfkraft zu demonstrieren.

Man nennt eine solche Botschaft Erpressung

Der Protest gerät in die Phase, wo er sich mit sich selbst beschäftigt. Und folgerichtig wird in der Gesellschaft mehr über die Protestform gesprochen, und die politischen Inhalte geraten in Vergessenheit. Wer könnte heute noch sagen, wofür die RAF eigentlich ihre Morde begangen hat? Ist der Protest in der Phase der Selbststeigerung angekommen, erscheint die Radikalisierung zwangsläufig. Denn der Protest agiert nicht mehr für sein Ziel, sondern er reagiert auf die Repression, die er durch den Staat erfährt. Es geht dann nicht mehr ums Klima, sondern es geht um die Durchsetzung des eigenen Willens. Die Botschaft lautet: Wir kleben hier so lange, bis ihr uns folgt!

Im Alltag nennt man eine solche Botschaft eine Erpressung. Dass Demokratien sich nicht erpressen lassen dürfen, ist spätestens seit der RAF klar geworden. Ist aber diese Dynamik einmal in Gang gesetzt, werden Protest und Staat zu Gefangenen dieser Logik: Der Staat darf sich nicht erpressen lassen, und die Protestierenden wollen ihre Sache nicht verraten. Es ist also höchste Zeit, diese Spirale zu verlassen. Denn Aufmerksamkeit haben die Klimaprostete mehr als genug. Die Sympathien verspielen sie aber durch jeden weiteren Stau, in dem zahllose Menschen um ihre Lebenszeit gebracht werden. Die Proteste haben ihre wichtige Aufgabe erfüllt, der Klimawandel ist zum allgemein beachteten Thema geworden. Nun muss die zweite Generation der Klimaproteste aufpassen, dass sie das Erreichte nicht selbst wieder kaputt macht. So möchte man den Klebeaktivsten zurufen: Euer Protest wird das Klima nicht retten. Also steht auf, und engagiert euch!

Doch wenn ich die hochmütige Rhetorik des Ausnahmezustands höre, die bei allen Aktivisten exakt gleich klingt, habe ich wenig Hoffnung, dass sie von dem Geschäft mit der Apokalypse ablassen wollen. Es scheint ein zu verlockendes Geschäftsmodell zu sein, mit dem Ausnahmezustand alle Mühen der Ebene überspringen zu können. Und solange die Unterstützerschar bei den Grünen und den ihnen gewogenen Journalisten die Proteste weiter ermuntern, ist nicht mit der Einsicht zu rechnen, dass sich Protestform und politisches Ziel immer weiter voneinander entfernen.

Prediger der Katastrophe sind die schlechtesten Ratgeber

Die Dialektik der Geschichte ist unbarmherzig, und es wäre nicht das erste Mal, dass eine gute Absicht böse Folgen hat. Doch in diesem Fall wäre es besonders tragisch. Denn das Klima nimmt auch keine Rücksicht auf die Befindlichkeit der Protestierenden. Dass sich die „Letzte Generation“ mit dem Klebe-Aktivismus engagierter fühlt als beispielsweise in einem Studium der Klimaforschung, ist dem Klimawandel egal. Doch spätestens, wenn ein Protest die Stimmung gegen die Klimapolitik dreht, sollten die Alarmglocken in der Bevölkerung läuten. Denn das allgemeine Bewusstsein über die praktischen Schritte für den Klimaschutz scheint inzwischen besser entwickelt als bei den Aktivisten. Mit jeder Aktion wird es wahrscheinlicher, dass die Apokalypse-Seligkeit der „Letzten Generation“ dem politischen Kampf für den Klimaschutz einen schweren Schaden zufügt.

Der Klebe-Aktivismus ist also eine neue, vierte Protestform. Das Risiko für die Protestierenden ist überschaubar. Doch ihr Protest entfernt sich nicht nur von ihren politischen Zielen, sondern er bringt sogar die Mehrheit gegen diese Ziele auf. Dass die Protestierenden diese Selbstbeschädigung nicht bemerken, ist erstaunlich. Wenn man nicht der filmischen Verschwörungserzählung glauben will, bleibt als mögliche Erklärung nur noch die Blindheit, die durch die apokalyptischen Phantasien entsteht. Wer sich Auge in Auge mit dem Weltuntergang wähnt, der verliert seine Gegenwart aus dem Blick.

Weltuntergangssekten gab es zu allen Zeiten. Ihnen zu folgen, war noch nie eine gute Idee. Denn gerade, wenn die Katastrophe naht, sind die Prediger der Katastrophe die schlechtesten Ratgeber. Ihre Ratschläge sind zu verliebt in das Pathos des Ausnahmezustands. Wer von der Droge eines heiligen Auftrags erfüllt ist, der will dieses Gefühl der Wichtigkeit nicht mehr missen. Die vierte Protestform erzählt viel über die Sehnsucht nach einem Leben im Ausnahmezustand, und sie bewirkt wenig, die Katastrophe abzuwenden.

Die Pointe, dass die „Letzte Generation“ und ihr internationales Netzwerk von der Erbin des Ölmilliardärs Paul Getty gesponsert wird, sollte nachdenklich machen. Und dass der saudische Ölmulti Aramco die Proteste unterstützt, ist bisher noch eine Filmfantasie. Aber je länger die Proteste in ihrer Unlogik gefangen bleiben, desto unheimlicher werden mir diese Verbindungen zwischen den Predigern des Weltuntergangs und den Profiteuren des globalen Kapitalismus.

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