Landtagswahl in NRW - CDU stärkste Kraft, FDP mit dramatischen Verlusten

Die CDU geht als Wahlsiegerin aus der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hervor, die SPD erreicht einen historischen Tiefstand. Und die FDP erleidet dramatische Verluste. Derzeit läuft alles auf eine schwarz-grüne Koalition hinaus. Die Linkspartei kommt auf gut zwei Prozent und setzt ihren Niedergang fort. Auch die AfD verschlechtert sich, bleibt aber mit einem Ergebnis von knapp unter sechs Prozent im Landtag vertreten.

Ministerpräsident Hendrik Wüst am Wahlabend im nordrhein-westfälischen Landtag / picture alliance
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Die CDU von Ministerpräsident Hendrik Wüst hat die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewonnen. Ihr bisheriger Koalitionspartner FDP erlitt hingegen schwere Verluste, sie musste nach den Hochrechnungen am Sonntagabend sogar um den Wiedereinzug in den Landtag zittern. Die SPD mit Spitzenkandidat Thomas Kutschaty landete mit einem historisch schlechten Ergebnis auf dem zweiten Platz. Die Grünen erzielten ein Rekordergebnis, sie dürften bei der Regierungsbildung zum entscheidenden Faktor werden.

Die seit fünf Jahren regierende schwarz-gelbe Koalition hat keine Mehrheit mehr. Denkbar wäre jetzt unter anderem ein schwarz-grünes Bündnis. Wüst erklärte: „Die Menschen haben uns ganz klar zur stärksten Kraft gemacht. Das ist der Auftrag, eine künftige Regierung zu bilden und zu führen.“

Kutschaty könnte aber auch versuchen, als Zweitplatzierter ein Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP nach dem Vorbild im Bund zu schmieden – sofern die FDP wieder in den Landtag einzieht. Unter Umständen könnte es auch knapp für Rot-Grün reichen. Kutschaty sagte am Abend: „Wir werden uns Gesprächen nicht verschließen.“

In den 19.00-Uhr-Hochrechnungen kommt die CDU auf 35,3 bis 35,5 Prozent (2017: 33,0). Die SPD erreicht 27,3 bis 27,5 Prozent (2017: 31,2). Drittstärkste Kraft werden die Grünen, die 17,9 bis 18,3 Prozent einfahren und damit ihr Ergebnis von 2017 quasi verdreifachen (2017: 6,4 Prozent). Die FDP bricht so stark ein wie noch nie bei einer NRW-Landtagswahl und erzielt nur noch 5,0 bis 5,5 Prozent (2017: 12,6). Die AfD verschlechtert sich auf 5,6 bis 5,7 Prozent (2017: 7,4.). Die Linke scheitert erneut auch in NRW, sie kommt nur noch auf 2,0 bis 2,2 Prozent (2017: 4,9).

Nach den Hochrechnungen bekommt die CDU im neuen Landtag 76 bis 77 Sitze (2017: 72). Die SPD erhält 59 bis 60 Mandate (2017: 69). Die Grünen kommen auf 39 bis 40 Sitze (2017: 14), die FDP auf 11 bis 12 (2017: 28). Die AfD zieht mit 12 Abgeordneten in den Landtag ein (2017: 16).

„Kleine Bundestagswahl“

Die Abstimmung im bevölkerungsreichsten Bundesland gilt als „kleine Bundestagswahl“ und wichtiger Stimmungstest für die Bundespolitik, Kanzler Olaf Scholz (SPD) und den neuen CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz. Wahlberechtigt waren 13 Millionen Bürger, etwa ein Fünftel aller Wahlberechtigten in Deutschland.

Für die Sozialdemokraten dürfte der Wahlausgang eine Enttäuschung sein, hatten sie doch auf Sieg gesetzt – knapp acht Monate nach der Bundestagswahl und sieben Wochen nach ihrem Triumph im Saarland. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte jedoch, er sei nicht unzufrieden. Er sprach von der Chance auf einen Regierungswechsel. Schwarz-Gelb sei klar abgewählt.

Rückenwind bedeutet das Ergebnis für die CDU und Parteichef Merz. „Die Menschen haben uns ganz klar zur stärksten Kraft gemacht. Das ist der Auftrag, eine künftige Regierung zu bilden und zu führen“, schrieb Merz am Abend auf Twitter. „Die CDU ist zurück, unser nach vorn gerichteter Kurs wurde bestätigt.“

FDP-Bundesvize Johannes Vogel sprach von einer schweren Niederlage. Für die Bundes-FDP, die Teil der regierenden Ampel-Koalition ist, bedeute dies: „Wir sollten auf keinen Fall weniger mutig werden.“

Grüne und FDP hatten sich im Wahlkampf alle Bündnisoptionen offengehalten. Die Grünen machten aber deutlich, dass sie eine Zweierkoalition bevorzugen. Mit ihrem starken Ergebnis dürften sie die „Königsmacher“ werden. Ihre Spitzenkandidatin Mona Neubaur erklärte, ihre Partei wolle mitregieren und dort „endlich eine Politik auf Höhe der Zeit machen“. Sie sprach von einem Vertrauensvorschuss und lobte den Rückenwind aus Berlin. Die Grünen-Politiker in der Bundesregierung hätten „Haltung und Kompass“ in Krisenzeiten unter Beweis gestellt.

SPD in NRW auf historischem Tiefstand

Für die CDU ist es der zweite Erfolg nach dem haushohen Wahlsieg in Schleswig-Holstein, der die Serie von Niederlagen im Bund und in mehreren Ländern vor einer Woche beendet hatte. In Kiel strebt Ministerpräsident Daniel Günther nun eine Fortsetzung der seit 2017 regierenden Jamaika-Koalition an, obwohl die CDU auch mit Zweierbündnissen eine sichere Mehrheit hätte.

Wüst hatte das Amt des Regierungschefs erst im Oktober 2021 von Armin Laschet übernommen, der bei der Bundestagswahl als Kanzlerkandidat der Union gescheitert war. Laschet trat in der Folge auch als CDU-Bundesvorsitzender zurück. Merz stammt ebenfalls aus NRW, er hatte Wüst im Wahlkampf engagiert unterstützt. Der 46-jährige Wüst begann seine Karriere als Generalsekretär der NRW-CDU, 2010 trat er infolge einer Affäre zurück und wurde später Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen Zeitungsverlegerverbands. 2017 wurde er dann unter Laschet Landesverkehrsminister.

Als „Stammland“ der Sozialdemokratie gilt NRW schon lange nicht mehr. CDU und SPD wechselten sich in den vergangenen Wahlperioden an der Regierung ab, seit 2005 hat kein Regierungsbündnis länger als sieben Jahre durchgehalten. Der heutige SPD-Partei- und Fraktionschef Kutschaty war bis 2017 Landesjustizminister in der rot-grünen Koalition. Unter der Führung des 53-Jährigen rutscht die SPD jetzt noch unter das Ergebnis von 2017, das schon damals mit 31,2 Prozent einen historischen Tiefstand markierte.

Die AfD, vor einer Woche in Schleswig-Holstein erstmals wieder aus einem Landtag rausgeflogen, erleidet auch in NRW Verluste und schafft es wohl knapp in den Landtag. Die Linke, seit zehn Jahren nicht mehr im Landtag vertreten und 2017 nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde-gescheitert, bleibt draußen.

„Ansehen, Amtsbonus und ältere Wähler“

Die CDU in Nordrhein-Westfalen hat ihren Sieg bei der Landtagswahl am Sonntag nach Erkenntnissen von Wahlforschern ihrem Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und ihrem Ansehen als Partei zu verdanken. Zudem habe sie von der großen Zustimmung bei der Generation 60-plus profitiert, stellte die Forschungsgruppe Wahlen fest. Die Wahl sei auch ein Votum gegen eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition gewesen. Die Wähler wünschen sich demnach vor allem ein rot-grünes Bündnis für das bevölkerungsreichste Bundesland.

„Ansehen, Amtsbonus und ältere Wähler“ – das hat der Analyse zufolge den CDU-Erfolg ausgemacht. „Inhaltlich zeigt die CDU aber relative Defizite in einer schwarz-gelben Koalition, die bei Kritik primär an der FDP als erneute Regierung abgelehnt wird.“ Mehr Sympathien gebe es für Rot-Grün, wobei sich das Plus der Grünen mit spezifischer Sachkompetenz, gewachsener Reputation und der grünen Performance im Bund erkläre. Die SPD habe mit Ansehen und sozialen Themen gepunktet, ihr Spitzenkandidat Thomas Kutschaty sei aber blass geblieben. Gut die Hälfte der Befragten habe ihn namentlich gar nicht gekannt.

Beim Ansehen der Landesparteien liege die CDU auf der +5/-5-Skala mit einem Wert von 1,4 nur knapp vor der SPD (1,2). Klar zulegen könnten beim Image nur die Grünen (0,9), während die FDP (0,2) beim Ansehen Verluste hinnehmen müsse. Hinzu komme die deutlich gewachsene Wertschätzung der grünen Bundespartei, die mit Robert Habeck (2,4) im Bund einen stärkeren Politiker aufbieten könne als die SPD mit Olaf Scholz (1,7) und die CDU mit einem schwachen Friedrich Merz (0,2).

Im Vergleich der Spitzenkandidaten liegt der Analyse zufolge CDU-Amtsinhaber Wüst bei 1,8 und SPD-Herausforderer Kutschaty bei 1,4. Auch bei der Frage nach dem gewünschten Regierungschef habe der SPD-Mann das Nachsehen: 33 Prozent seien für Kutschaty, 41 Prozent für Wüst.

Bei der Wahl sei für 54 Prozent der Menschen die Landespolitik wichtig gewesen, die Bundespolitik nur für 41 Prozent. Nur 44 Prozent der Befragten sähen ihr Bundesland eher gut für die Zukunft gerüstet, 49 Prozent eher schlecht. In der bisherigen schwarz-gelben Koalition werde die Arbeit der FDP weitaus kritischer als die der CDU gesehen. Zudem sei die FDP auch bei den Sachkompetenzen wenig präsent.

AfD bei Kompetenzzuschreibung praktisch unsichtbar

Laut Forschungsgruppe Wahlen zeigen SPD und Grüne Stärke beim Thema Bildung und Schule. Die SPD genieße zudem bei sozialen Themen wie steigende Preise, Gerechtigkeit und Wohnungsmarkt das meiste Vertrauen. Beim Top-Thema Energiepolitik sowie dem in NRW ebenfalls sehr wichtigen Thema Verkehr führten die Grünen. Die AfD bleibe bei den Kompetenzen praktisch unsichtbar, falle dafür aber wie in anderen Ländern bei Oppositionsarbeit und Ansehen mit miserablen Noten auf.

Wie die CDU war auch die SPD bei älteren Wählerinnen und Wähler stark. Während die CDU in der Generation der ab 60-Jährigen auf 43 Prozent zulege, verzeichne sie bei allen unter 45-Jährigen Verluste. Bei den unter 30-Jährigen falle die CDU (18 Prozent) hinter Grüne (25 Prozent) und SPD (21 Prozent) zurück, bei den 30- bis 44-Jährigen liege die CDU (30 Prozent) vor Grünen (22 Prozent) und SPD (21 Prozent). Auch die SPD liege nur bei den ab 60-Jährigen über dem Schnitt (35 Prozent). Stark bleibe sie bei Gewerkschaftsmitgliedern (37 Prozent). Bei Arbeitern werde die SPD (33 Prozent) jetzt aber von der CDU (36 Prozent) überholt.

Nur 30 Prozent fänden eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition gut, ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP sogar nur 28 Prozent, eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP immerhin 34 Prozent. Für Schwarz-Grün können sich demnach 37 Prozent der Befragten begeistern, für Rot-Grün aber 43 Prozent. dpa

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