Landratswahl in Thüringen - Allparteien-Bündnis gegen die AfD

Im thüringischen Landkreis Saale-Orla hat sich der CDU-Kandidat knapp gegen den AfD-Bewerber durchgesetzt. Sein Sieg wird als Erfolg der Demonstrationen „gegen rechts“ bejubelt. Doch ein Blick auf die Zahlen zeigt: Die Empörung über die Rechtsaußenpartei hat deren Anhänger stark mobilisiert.

„Bündnis mit den Bürgern“: Der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt und Landrats-Kandidat Christian Herrgott / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

So erreichen Sie Hugo Müller-Vogg:

Anzeige

52,4 Prozent für den CDU-Kandidaten Christian Herrgott, 47,6 Prozent für den AfD-Mann Uwe Thrum: Das Aufatmen bei CDU, SPD, Grünen, FDP und Linken ist unüberhörbar. Diese Region in Ostthüringen mit ihren 66.000 Wahlberechtigten ist politisch nicht bedeutsam. Aber wenigstens erlangte sie jetzt nicht die traurige Berühmtheit, bundesweit den zweiten AfD-Politiker – nach Sonneberg vor einem halben Jahr – ins Amt gebracht zu haben. 

Man könnte meinen, hier im Thüringer Schiefergebirge wäre der Höhenflug der AfD ein- für allemal gestoppt worden. CDU-Fraktions- und Landeschef Mario Voigt lobt die Kraft, die in dem „Bündnis mit den Bürgern“ stecke. SPD-Landeschef, Innenminister Georg Maier, hob hervor, die demokratischen Kräfte hätten die Oberhand behalten. Grüne und Linke rühmten das „Engagement der Zivilgesellschaft“ und zeigten „tiefen Respekt“ vor dieser Leistung.

Prompt fand sich ein Politologe, der den wissenschaftlichen Überbau dafür lieferte, dass der „Kampf gegen rechts“ seine Spuren in dieser strukturschwachen Gegend hinterlassen habe. Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sah den Wahlsieg des CDU-Kandidaten „als ersten Effekt der bundesweiten Demonstrationen“. Die Proteste nach Bekanntwerden eines Treffens von Rechtsradikalen in Potsdam und der dort geäußerten Remigrations-Phantasien könnte viele Protestwähler „zum Umdenken gebracht“ haben, vermutete Brodocz.

Von 2042 zusätzlichen Stimmen gingen 1753 an den AfD-Kandidaten

Das klingt gut und dürfte die vielen Initiativen – überwiegend aus dem linksgrünen Spektrum – ermuntern, ihren „Kampf gegen rechts“ eher verstärkt fortzusetzen. Dass viele dieser Gruppierungen Menschen gegen den Rechtsextremismus mobilisieren, bei „gegen rechts“ aber zugleich gegen CDU und CSU agieren, wird dabei gerne übersehen. Auch viele CDU- und CSU-Politiker reihen sich „gegen rechts“ ein, obwohl es einst die Stärke der Union ausmachte, auch Wähler rechts der Mitte zu binden und ins demokratische Spektrum zu integrieren. 

Der Jubel über „erste Effekte“ der Massendemonstrationen hält einer näheren Prüfung jedoch nicht stand. Richtig ist, dass die Wahlbeteiligung von 65,5 auf 68,6 Prozent gestiegen ist. Richtig ist auch, dass der AfD-Kandidat als hoher Favorit in die Stichwahl gegangen war. Im ersten Wahlgang – vor Beginn der Protestwelle – hatte er 45,7 Prozent erreicht gegenüber den 33,3 Prozent von Herrgott sowie den zusammen 21,1 Prozent der Kandidaten von SPD und Linken. Jetzt lautete das Ergebnis 52,4 zu 47,6 Prozent zugunsten des neuen Landrats.

 

Mehr zum Thema:

 

Gewonnen hat Herrgott jedoch in erster Linie deshalb, weil die unterlegenen Kandidaten ihre Wähler aufgerufen hatten, ihr Kreuz bei ihm zu machen. Von der höheren Wahlbeteiligung hat er indes nicht sehr profitiert. Das zeigt der Vergleich der absoluten Stimmen. So hatte der AfD-Kandidat im ersten Wahlgang 19.611 Stimmen erhalten, im zweiten dann 21.364, ein Plus von 1753 Stimmen. Herrgott und seine Mitbewerber von SPD und Linken hatten es im ersten Wahlgang zusammen auf 23.341 Stimmen gebracht. Herrgott konnte jetzt nur 193 Stimmen mehr erzielen.

Es spricht also wenig dafür, dass die Demonstrationen die Menschen im Saale-Orla-Kreis „zum Umdenken gebracht“ hätten, wie der Professor aus Erfurt meint. Im Gegenteil: Am Sonntag gaben genau 2042 mehr Wähler ihre Stimmen ab als am 14. Januar – und davon gingen rechnerisch 1753 an den AfD-Kandidaten. Ein „Umdenken“ sähe wohl anders aus.

Falls die bundesweiten Proteste sowie die örtlichen Demonstrationen in Ostthüringen etwas bewirkt haben, dann wohl die Tatsache, dass das Allparteien-Bündnis gegen die AfD zusammengestanden hat; dass selbst Linke CDU gewählt haben. Die zahllosen Anti-AfD-Aktionen sowie deren mediale Begleitung haben im Saale-Orla-Kreis zugleich die Wähler und Sympathisanten der AfD mobilisiert – und zwar in viel stärkerem Maße als aufseiten des Anti-AfD-Bündnisses.

Stimmen für die AfD sind zu einem großen Teil Stimmen gegen die Ampel 

So erfreulich es auch ist, wenn Menschen gegen Rechtsradikale auf die Straße gehen, so ungewiss ist der Effekt dieser Aktivitäten. Denn die AfD schnitt bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen nicht deshalb so gut ab und steht in Umfragen nicht so gut da, weil es plötzlich so viele Nazis gibt. Alle Analysen zeigen, dass etwa die Hälfte der AfD-Wähler nicht über ein verfestigtes rechtsradikales Weltbild verfügt. Stimmen für die AfD sind zu einem beträchtlichen Anteil Stimmen gegen die Politik der Ampel (Stichwort: Heizungsgesetz) und vor allem gegen die unverändert unkontrollierte Zuwanderung.

Beim Thema Migration zeigt sich die Zwiespältigkeit, ja Unaufrichtigkeit der Massendemonstrationen „gegen rechts“. Die meisten Redner werden von Organisationen links der Mitte gestellt. Diese sind auch, wie Transparente und rote Fahnen belegen, im Publikum stark vertreten. Ihre Redner verdammen zu Recht Deportationspläne, kritisieren aber zugleich scharf die Ampel-Regierung für deren Absicht, die Migration im Rahmen der EU zu begrenzen und illegale Zuwanderer verstärkt abzuschieben. Anders ausgedrückt: Ginge es nach dem Willen der meisten Organisatoren der Proteste, kämen noch mehr Migranten ins Land und würden auf diese Weise noch mehr Menschen zur AfD getrieben. 

Das könnte man schizophren nennen. Doch wahrscheinlich ticken diese Strategen anders. Sie gehen davon aus, man müssen Menschen nur lange genug vorwerfen, sie lägen mit ihren Ansichten falsch, dann würden aus Kritikern einer Politik der offenen Grenzen plötzlich begeisterte Befürworter grenzenloser Zuwanderung. Da schwingt die Hoffnung mit, die angeblich falsche Gesinnung lasse sich per Knopfdruck in eine politisch korrekte Haltung transformieren. Das Gegenteil ist richtig: Das wirkungsvollste Mittel, den Zulauf zur AfD einzudämmen, wäre eine andere Migrations- und Integrationspolitik. Da gilt eben der alte DDR-Spruch: Die Wirklichkeit ist real, Genossen!

Anzeige