Kritik an Pandemie-Maßnahmen - Das Coronavirus lässt sich nicht wegschimpfen

Spielplätze und Museen dürfen wieder öffnen, sonst ändert sich nach Merkels Schalte mit den Ministerpräsidenten nichts am Corona-Ausnahmezustand. Die Kritik daran dürfte immer lauter werden. Doch die Verantwortlichen sind so oder so die Gekniffenen.

Auch für Angela Merkel wird es vermutlich noch schlimmer kommen / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Von Armin Nassehi, dem klugen Soziologen, habe ich neulich einen Begriff gelernt, den ich nicht kannte: Präventionsparadoxon. So nennt man das, wenn man etwas macht, daher etwas nicht passiert und dann folglich die Kritik kommt, warum der Quatsch denn gemacht wurde. Ist doch gar nix passiert. 

Ja, eben, können dann zwar die sagen, die etwas gemacht haben. Aber sie können nicht beweisen, dass es auf ihr Handeln zurückzuführen ist. Die Kritik bleibt folglich bestehen

Du bist immer der Gekniffene

Dieses Paradoxon erleben derzeit die Verantwortlichen für die deutsche Corona-Politik. Die Virologen ebenso wie die Politiker. Die Kanzlerin genauso wie die Ministerpräsidenten. Und so wird das auch bleiben. Nein, es wird noch schlimmer für sie kommen. Sie werden mutmaßlich in eine Situation kommen, die man im Englischen catch-22 nennt. Den Begriff kannte ich schon vor Corona. Er besagt: Du kannst machen, was Du willst. Du bist immer der Gekniffene. 

Am heutigen Donnerstag kam es wieder zur schon fast routinehaften Schalte zwischen Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder. Beschlossen wurde kaum etwas Neues, außer dass bis zum 10. Mai erst einmal alles so bleibt, wie es ist. 

Zehn Millionen Kurzarbeiter

Wenn bis dahin die Zahlen weiter besser werden und die gefühlte Sicherheit auch, dann werden die jetzt schon stark anschwellenden Stimmen (mit sehr guten Argumenten übrigens) noch lauter werden, dass nun aber wirklich mal alles wieder auf mehr oder weniger normal geschaltet werden kann. Zehn Millionen Kurzarbeiter und mehr als 300.000 neue Arbeitslose sind ein starkes Wetterleuchten dessen, was Deutschland und anderen Ländern auch demnächst bevorsteht. 

Setzt das Virus aber zum erneuten Sturmlauf an, weil diese oder jene Lockerung (entscheidend scheinen mir die Schulen) irgendwann nach dem 10. Mai kommt, dann können sich Armin Laschet und seine Kollegen schon einmal darauf vorbereiten, mit ihrer verantwortungslosen Politik an einer zweiten Welle schuld zu sein. Im Zweifel kommt die Kritik von den gleichen Leuten. Ablesen kann man dieses Phänomen an Volkes Stimme, der Bild-Zeitung. Die ist da völlig schmerzfrei. Morgen die Folgen dessen anzuprangern, was sie gern noch gefordert hat.

Kein Mitleid, aber Fairness

Man muss mit Politikern deshalb kein Mitleid haben. Kritik auszuhalten ist eine Grundvoraussetzung für diesen Job. Bei Markus Söder meint man sogar sehen zu können, dass er den Ausnahmezustand als einen Zustand ansieht, in dem er endlich mal auf Betriebstemperatur kommt. Als eine Art politischen Normalzustand. Und wer das nicht aushält und etwa vor einem Millionenpublikum schwimmt und ausrastet, der ist auf seiner Position falsch und empfiehlt sich auch nicht für mehr. 

Aber es wäre fairer und angemessener, nicht das Zwillingspaar aus Präventionsparadoxon und catch-22 gleichzeitig an den Handelnden auszulassen. In der Antike wurden bekanntlich die Überbringer schlechter Nachrichten umgebracht, als könne man so die schlechte Nachricht tilgen. Kritik an Politikern und ihrem Handeln soll und kann man bitte immer äußern. Man soll aber nicht glauben, dass damit das Virus weg wäre. Es lässt sich nicht wegschimpfen. Die handelnden Akteure haben es auch nicht in die Welt gesetzt. Man darf sogar so weit gehen anzunehmen, dass sie es nicht zum willkommenen Anlass nehmen, die hiesige Wirtschaft in Schutt und Asche zu legen. 

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