Die Krise der FDP - Die Liberalen sind nostalgisch, nicht innovativ

In keiner anderen Partei entfaltet sich die Sehnsucht nach der alten Bonner Republik so sehr wie in der FDP. Gegen diese Nostalgie wäre nichts zu sagen, wenn die Liberalen nicht zugleich digitale Innovation und Fortschrittsglauben vortäuschen würden.

Früher war alles besser: Cindy und Bert 1975 am Flughafen Tegel, im Hintergrund ein FDP-gelber VW Bulli / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Als der neue Flughafenkomplex in Berlin-Tegel 1974 eröffnet wurde, galt der Airport als einer der modernsten der Welt. Vom Taxi bis zum Check-In in 20 Metern, ein Traum für Vielflieger, wie Architekt Meinhard von Gerkan selbst schwärmte. Das geniale Sechseck stand für den technischen Vorsprung der Bundesrepublik an der innerdeutschen Grenze, ohne dabei protzig zu wirken, sondern dezent und freundlich. 

1974 ist lange her. Helmut Schmidt war gerade Bundeskanzler geworden und führte eine sozialliberale Koalition an. Inzwischen steht der Flughafen Tegel vor der Schließung, Helmut Schmidt ist gestorben, die SPD kurz vorm Kollaps, der nur dadurch aufgehalten wird, dass sie Teil der Bundesregierung ist, und die FDP verschwindet in der politischen Bedeutungslosigkeit. 

Sehnsucht nach der alten Bundesrepublik

Ist es die Nostalgie, die Wehmut, die die Berliner FDP immer noch für den Weiterbetrieb von Tegel kämpfen lässt? Die Sehnsucht nach der alten Bundesrepublik, als die deutsche Ingenieurskunst noch weltweit führend war? Und, vor allem: Als die FDP noch mitregieren und bestimmen durfte? 

Warum sonst tut sich ein Sebastian Czaja, Fraktionschef der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus, eine Kampagne für die Offenhaltung des maroden Flughafens an, obwohl der Kampf angesichts der unwirklich erscheinenden, aber nun wirklich bevorstehenden Inbetriebnahme des Hauptstadtairports BER ganz und gar verloren sein muss? Die Berliner FDP hat sich mit ihrer Tegel-Kampagne sogar einigen Ärger eingehandelt, denn sie kämpft unter anderem mit Straßenplakaten gegen die Schließung. Die sind aber nicht erlaubt, weil sie zu sehr wie Wahlwerbung wirken. 

Gruselig

Die Plakataffäre hat sogar dazu geführt, dass jüngst einer der profiliertesten Berliner FDPler, Marcel Luthe, aus der Fraktion ausgeschlossen wurde. Es scheint so, als sei Tegel zur fraktionsinternen Machtfrage geworden. Und Czaja duldet offenbar keine Gegenmeinung. Er will seinen Flughafen.

Den Rauswurf von Luthe inszenierte Czaja mit einem kurzen Social-Media-gerechten Video. Dort steht er vor der Kamera, im Hintergrund reihen sich in einem stattlichen Flügel des Abgeordnetenhauses die Mitglieder seiner Fraktion auf. Es wirkt wie eine Mischung aus einer „House of Cards“-Szene und der frühchinesischen Terrakotta-Armee. Gruselig. 

Ein bombastisches Rauswurftheater

Dieses Video zeigt sehr plakativ die Widersprüche der Liberalen. Einerseits nutzt die FDP die zeitgemäße Inszenierung mit Netflix-Anmutung in den sozialen Netzwerken, um ihre Botschaften zu verbreiten. Andererseits inszeniert sich Czaja als altertümlicher Feldherr, der seine Soldaten hinter sich versammelt hat, um eine verquaste Ansprache zu halten, die eben nicht begründet, warum Luthe aus der Fraktion ausgeschlossen wurde. Luthe kann einem angesichts dieses bombastischen Rauswurftheaters, mit dem sich die Berliner FDP als kleinste Fraktion gewaltig überschätzt, fast leidtun.  

Der Berliner Fall steht für das grundsätzliche Dilemma der Liberalen, einer Partei, die in der guten, alten Bonner Republik stets das Zünglein an der Waage war (sieht man von der Großen Koalition unter Kiesinger ab) und nun nur noch eine Partei von vielen jenseits von Union und SPD ist. Einmal noch, zwischen 2009 und 2013, durften die Liberalen im Bund zeigen, was sie können. Doch mit Ruhm bekleckert haben sie sich damals auch nicht. Mövenpick-Steuer, Teppich-Geschenke, Kai-Diekmann-Umarmung und ein desaströser Wahlkampf, der 2013 die Partei aus dem Bundestag fliegen ließ. Ein Absturz, wie es ihn in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hatte.

Die Umfragen sehen nicht gut aus

Christian Lindner übernahm, die FDP wurde zur Ein-Mann-Partei, die Wahlplakate wirkten wie Werbung für Herrenmode, und man gab sich modern, digital und fortschrittsgläubig. Wem die Piraten zu nerdig waren, die Grünen zu moralisch, der konnte sich für die FDP entscheiden und darauf bauen, dass mit den Liberalen in der Regierung endlich alles vorangehen würde: Schnelles Internet überall, boomende Start-Ups wie in Kalifornien, Deutschland als „Innovation Nation“. 

Doch dann wollte die FDP nicht mitregieren, die nächste Große Koalition sedierte das Land, und nun sind viele in und außerhalb der Partei Christian Lindner überdrüssig, er hat sich abgenutzt, die Slogans klingen hohl, die Partei wirkt verloren, zwischen den Stühlen. Die Umfragen sehen nicht gut aus.

Die alte Apotheker- und Mövenpickpartei

Möglicherweise spüren die Wähler, dass das moderne Auftreten der FDP unter Lindner nie viel mehr als eine Mogelpackung war, die über die alte Partei gestülpt wurde. Auf den Parteitagen in der hippen Berlin-Kreuzberger „Station“ beschwor man die „Innovation Nation“, die „Beta Republik“, alles wirkte wahnsinnig hip und locker – bis man einen Blick in die Anträge warf. 

Denn da ging es dann wieder um alt-liberale Kernthemen wie die Verteidigung der Rechte von Apothekern im Wettbewerb mit Versandapotheken, Steuererleichterungen für den Mittelstand und eine möglichst geringe Einmischung des Staates in unternehmerische Belange. Dagegen ist nichts zu sagen, auch Apotheker brauchen ihre Lobby und Liberale sind qua definitionem misstrauisch gegenüber dem Staat. Aber man wurde als Beobachter das Gefühl nicht los, dass da weiterhin die alte Apotheker- und Mövenpickpartei saß, während die Forderungen nach „mehr Digitalisierung“ eher luftig blieben und mehr Marketing als ernsthaftes Anliegen waren. 

Konservativ statt innovativ

Gerhart Baum, der als Innenminister die goldenen sozialliberalen Zeiten noch miterlebt hat, beklagte sich vor kurzem darüber, dass die FDP immer weiter nach rechts rücke und immer mehr als die Partei wahrgenommen werde, die „dagegen sei“. Und seine Beobachtung ist nicht ganz von der Hand zu weisen, zumindest wenn man das Konservative als eine traditionell rechte Eigenschaft nimmt: Da ist die eben erwähnte Liebe zum Flughafen Tegel, die kategorische Ablehnung eines Tempolimits auf Autobahnen, der Kampf gegen Pop-Up-Radwege, gegen das Corona-Konjunkturprogramm, gegen das Klimapaket. 

Diese Art der Politik ist zwar viel greifbarer als das Innovationsgefasel, aber eben auch konservativ im wahrsten Sinne des Wortes. In ihrem Dagegensein offenbaren sich die Liberalen als das Gegenteil von dem, mit dem sie Wahlkampf führen: innovativ. Ihre Definition von Moderne ist noch die aus der guten alten Bundesrepublik: Der Traum vom Vielfliegen, von der freien Fahrt für freie Bürger (mit PKW), von der unternehmerischen Freiheit ohne gesellschaftliche Verantwortung. Es ist der Traum der Bonner Republik, und deswegen ist es nur nachvollziehbar, dass jemand wie Sebastian Czaja weiter vom Flughafen Tegel abheben will.

Auf dem Gelände des Flughafen Tegels soll übrigens die „Urban Tech Republic“ entstehen. Ein „Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien“. Das klingt, als sei es direkt aus dem Wahlprogramm der Liberalen kopiert. Umso entlarvender, dass die Berliner FDP lieber einen technisch überholten Flughafen am Leben erhalten will.  
 

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