Kommunikation des Bundeskanzlers - „Scholz lässt die Menschen ratlos zurück“

Bundeskanzler Olaf Scholz kommuniziert in Interviews und Reden meist zurückhaltend und uneindeutig - nicht nur im Auftreten, sondern auch inhaltlich. Der Kommunikationswissenschaftler Olaf Hoffjann analysiert im Cicero-Interview, wie vor diesem Hintergrund seine Aussagen zu Waffenlieferungen an die Ukraine und die Warnung vor einem Atomkrieg einzuordnen sind.

Legt sich ungern fest: Bundeskanzler Olaf Scholz / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Olaf Hoffjann ist seit 2019 Professor für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Organisationskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Er forscht und publiziert unter anderem zu postfaktischer Politik und strategischer Ambiguität.

Herr Hoffjann, Bundeskanzler Olaf Scholz kommuniziert durch fast aggressive Zurückhaltung. Welche Strategie könnte dahinter stehen?

Olaf Scholz kommuniziert in zweifacher Hinsicht zurückhaltend. Erstens ist sein Auftritt zurückgenommen. Er spricht leise, langsam und suchend. Wie ungewöhnlich das für einen Staatschef immer noch ist, zeigten die überraschten internationalen Reaktionen zu seinen ersten Auftritten als Bundeskanzler. Der zweite Aspekt ist für mich aber viel wichtiger: Olaf Scholz agiert auch inhaltlich oft zurückhaltend. In Interviews und Reden vermeidet er eindeutige Aussagen, er redet oft mehrdeutig. Diese sogenannte strategische Ambiguität, also die bewusste Mehrdeutigkeit, ist nicht nur in der Politik seit vielen Jahren eine bewährte Praxis.

Was genau zeichnet diese Art der Kommunikation aus?

Bei einer solchen bewussten Mehrdeutigkeit kann man zwischen zwei Wegen unterscheiden. Ein erster ist die bewusste Vagheit: Politiker möchten sich nicht festlegen und vermeiden konkrete Ziele. Kaum ein Politiker wird heute wie einst Gerhard Schröder versprechen, die Arbeitslosenzahl unter eine bestimmte Marke zu drücken. Solche eindeutigen und überprüfbaren Ankündigungen machen Politiker angreifbar. Vor allem aber schränken sie künftige Handlungsspielräume ein. Auf dieser Idee basierten die bewusst unkonkreten Sanktionsdrohungen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Die Russen sollten sich die schlimmsten Maßnahmen vorstellen, während die Wirtschaftsbranchen im Westen noch hoffen sollten, dass sie selbst von Sanktionen nicht betroffen wären.

Welche Wege der Mehrdeutigkeit wählt Scholz noch?

Ein weiterer Weg zu bewusster Mehrdeutigkeit sind die sogenannten Mixed Messages. Die Bundesregierung verteidigte bis vor kurzem mit unterschiedlichen, teilweise widersprüchlichen Begründungen ihre Zurückhaltung bei den Lieferungen schwerer Waffen: von der Sorge vor dem Dritten Weltkrieg über fehlendes Gerät bei der Bundeswehr bis hin zu fehlenden Anträgen der Ukraine. Jeder konnte sich dabei das für ihn plausibelste Argument heraussuchen. Jeder sieht und versteht in solchen Fällen das, was er sehen und verstehen wollte. Und genau hier beginnt das Problem für Olaf Scholz: Als Bundeskanzler ist er eben doch der Neue, der kritisch beobachtet wird und dem viele noch nicht vertrauen, erst recht nicht in einer Ausnahmesituation wie einem Krieg. Und viele merken plötzlich, wie wenig sie ihn eigentlich kennen.

Der Regierungschef verliert an Zustimmung. Ist seine Kommunikation Grund für den Vertrauensverlust, oder ist es vielmehr doch seine inhaltliche Positionierung?

Olaf Hoffjann

Es ist beides. Die Bundesregierung hat sich nicht zuletzt mit Blick auf die deutsche Geschichte zurückgehalten, erst mit Sanktionsdrohungen, später mit den Waffenlieferungen. Die Regierung war stets nur Mitläufer und wollte vielleicht auch nie mehr sein. So eine „Irgendwie dabei“-Position ist natürlich schwerer zu kommunizieren als eine Politik der klaren Kante wie von Polen oder den baltischen Ländern. All dies mag man gut oder schlecht finden, man hätte es aber erklären müssen. Robert Habeck ist zu Recht für seine Erklärungen zum Festhalten an russischen Öl- und Gaslieferungen gelobt worden. Ihm ist es gelungen, die Zwänge transparent zu machen und sein Handeln zu erklären. Mein Eindruck ist, dass viele Menschen in Deutschland so eine Rede oder ein Interview von Olaf Scholz erwarten.

War sein jüngstes Spiegel-Interview eine Art versuchter Befreiungsschlag?

Das zurückliegende Spiegel-Interview interpretiere ich so, dass diese Erwartung der Bevölkerung nach Erklärung auch im Kanzleramt wahrgenommen wurde. Die schriftliche Form und der Autorisierungsprozess mit all seinen Möglichkeiten, an den Formulierungen zu arbeiten, waren eigentlich eine Steilvorlage für Kanzleramt und Regierungssprecher. Es ist schon erstaunlich, dass diese nicht genutzt wurde.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diese zurückhaltende Kommunikation kultiviert. Warum kann diese Art der unterkühlten politischen Rede zum Erfolg führen?

Angela Merkel hatte damals eine völlig andere Ausgangssituation. Viele empfanden es als wohltuend, dass auf den Basta-Politiker Gerhard Schröder eine uneitle Kanzlerin folgte. Später konnte sie sich von Macho-Politikern wie Berlusconi, Sarkozy, Trump und Johnson abheben. Viele Menschen in Deutschland waren froh, eine Bundeskanzlerin zu haben, der es erkennbar nicht um ihr eigenes Ego ging. Hinzu kam, dass ihre erste große Krise erst 2008 war. Da zählte sie schon zu den dienstälteren Staatschefs, war international etabliert und in Deutschland beliebt. Das erlaubte ihr, sich in vielen Situationen gar nicht zu äußern oder vage zu bleiben. Durch die Beliebtheit und das Vertrauen der Deutschen wurde sie zunehmend zu einer Projektionsfläche: Jeder sah und verstand das, was er sehen und verstehen wollte. Die Konservativen wählten sie, weil sie bei aller Skepsis immer noch das kleinere Übel darstellte. Wechselwähler der Mitte fanden sie vernünftig und integer. All dies mündete 2013 in dem Satz, der mehrdeutiger nicht sein könnte: „Sie kennen mich.“

Gibt es eine Veränderung in der Wahrnehmung dessen, was wir an Kommunikation erwarten? Würde Kohls oder Schröders Redeweise heute noch funktionieren?

Warum sollte das nicht funktionieren? Mein Eindruck ist, dass die Kommunikation der Zurückhaltung und der Mehrdeutigkeit nach 16 Jahren Angela Merkel und vor allem durch den kommunikativ völlig verstolperten Start von Olaf Scholz an ihre Grenzen stößt. Was bei Angela Merkel meist erfolgreich war, führt bei Olaf Scholz zu Reaktanzen. Er agiert allzu offensichtlich mehrdeutig und lässt die Menschen ratlos zurück. Das kann zu einer neuen Sehnsucht nach einem Politikertyp der klaren Worte und klaren Kante führen. Vielleicht schlägt bald doch noch die Stunde von Friedrich Merz. Diesen Wechsel der Charaktere kann man in Frankreich gut beobachten: Hollande wurde gewählt, weil die Franzosen den Show-Politiker Sarkozy nicht mehr ertrugen. Als viele die Zurückhaltung von Hollande als Zaudern empfanden, kam der smarte Manager Macron.

Was würden Sie Olaf Scholz als kommunikative Offensive raten?

Er müsste sich und seine Politik in einer Rede erklären und dies mit konkreten Maßnahmen ausbuchstabieren. Vielleicht werden wir diese Rede ja noch in dieser Woche hören. Absehbar ist für mich aber auch, dass ihn dieser Verdacht des Lavierens, Ausweichens und des Vagen noch lange begleiten wird. Die Menschen werden künftig genau zuhören und kritisch fragen: Was hat er jetzt konkret gesagt?

Die Fragen stellte Volker Resing.

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