Helmut Kohl, Olaf Scholz und das Ende der Ampel - Wie Friedrich Merz zum Superminister werden könnte

Ob Friedrich Merz Kanzlerkandidat der Unions-Parteien wird, ist ungewiss. Doch mit einem ungewöhnlichen Manöver könnte er seine Position stärken und vielleicht Deutschland aus der Ampel-Sackgasse führen. Ein Gedankenspiel.

Gedankenspiel: Was kann Friedrich Merz von Helmut Kohl lernen? Auf dem Bild hört 1998 im Bundestag der Alte dem Jungen zu /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Helmut Kohl ist nicht als Liebling seiner Partei gestartet. Als er 1976 die Unions-Parteien bei der Bundestagswahl zu einem sensationellen Ergebnis von 48,6 Prozent führte, waren seine parteiinternen Widersacher klammheimlich erfreut, dass es zu einer Kanzlerwahl nicht reichte. Sozialdemokrat Helmut Schmidt konnte als Wahlverlierer mit 42,6 Prozent die sozialliberale Koalition weiterführen. Kohl blieb Oppositionsführer und CDU-Parteivorsitzender. 

Nur knapp hatte der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kohl die absolute Mehrheit im Bund verfehlt. Doch keineswegs trug ihn fortan seine Partei auf Händen. Nicht nur medial war „Birne“ als anti-intellektuell und provinziell verschrien. Kein Staatsmann eben, wie Hanseat Schmidt, das meinten auch CDU-Vordenker und Widersacher wie Kurt Biedenkopf und Lothar Späth, die sich zeitlebens für geeigneter hielten als den „Oggersheimer“.

Kohl war der Modernisierer der Partei von der Honoratiorenpartei zur Mitgliederpartei. Er hatte die Basis hinter sich, die Kreisverbände als Herzkammern der Partei. Dabei war er den konservativen Wortführern der Partei nie konservativ genug und den Christlich-Sozialen nicht christlich-sozial genug. Aus dem Austarieren und Moderieren dieser widerstreitenden Kräfte in der CDU gebar Kohl seine Gestaltungsfreiheit und seine wachsende Machtfülle.

Doch noch 1980, vier Jahre nach seinem historischen Wahlerfolg, der zuvor nur von Konrad Adenauer getoppt worden war, erschien Helmut Kohl keineswegs als der kommende Mann, der geborene Kanzlerkandidat seiner Partei. In einem heute kaum mehr vorstellbaren Vorgang gab es in der Bundestagsfraktion, dessen Vorsitzender Kohl war, eine Kampfabstimmung um den Spitzenkandidaten. Zur Wahl standen der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß und der niedersächsische Regierungschef Ernst Albrecht – eben nicht Kohl! Der konservative Strauß setzte sich gegen den liberaleren Albrecht durch. Kohl musste dabei zusehen, wie andere die Macht untereinander aufteilen. Doch er blieb ruhig. Strauß verlor die Wahl, Kohl wurde wieder Oppositionsführer.

Was kann Merz von Kohl lernen?

Was kann Friedrich Merz aber aus dieser Konstellation lernen? Zum einen: Es ist nicht völlig ungewöhnlich, dass die Partei nicht vollständig hinter einem steht. Davon konnte später auch Angela Merkel ein Lied singen. Und zum anderen: Es ist nie zu spät, doch noch den eigenen Weg an die Macht zu finden. Kohl konnte keineswegs davon ausgehen, dass seine Partei ihn gesichert und gewiss für die damals dann folgende Wahl 1984 als Kanzlerkandidat aufstellen würde. Die Chancen für einen Regierungswechsel aber waren nicht schlecht, was die Lust anderer potentieller Kandidaten wachsen ließ, selbst für die Union in den Ring zu steigen, um Kanzler zu werden. Wollte Kohl also selbst eine Bundesregierung anführen, musste er einen anderen Weg finden, um Schmidt zu beerben. 

Kohl setzte auf einen Regierungswechsel während der laufenden Legislaturperiode. Mit FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher fand er den geeigneten Komplizen. Auch der Liberale wusste, dass er seine eigene Stellung nur würde festigen können, wenn er den Farbenwechsel der Liberalen im laufenden Betrieb und nicht nach einer Bundestagswahl vollziehen würde. Die Arroganz des SPD-Kanzlers tat als Katalysator ihr Übriges. Es kam zum konstruktiven Misstrauensvotum. Kohl wurde Kanzler und blieb es 16 Jahre. Der Rest ist Geschichte.

Weg aus dem schwarz-grünen Dilemma

Die Konstellation für Friedrich Merz ist eine konkret völlig andere, vielleicht auch noch schwierigere. Und dennoch findet er ähnliche Ausgangsbedingungen vor. Er ist der Vorsitzende der Basis, die Eliten der Partei sehen ihn weiterhin weitgehend kritisch. Merz ist Partei- und Fraktionsvorsitzender wie Helmut Kohl, doch kann er keineswegs davon ausgehen, dass er im kommenden Jahr zum Kanzlerkandidaten erkoren wird. Die Umfragen sind für ihn nicht brillant, und auch die Netzwerke der Partei sehen die Machtperspektive mit Merz inzwischen kritisch. Auch die Konstellation der Widersacher erinnert etwas an Kohl. Da ist wieder ein Bayer mit Ambitionen. Und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst steht für die schwarz-grün-affine Generation, die sich von Merz nicht vertreten fühlt. So wie Kohl als provinziell galt, sieht man in Merz den Retro-Mann einer vergangenen CDU.

Wenn Friedrich Merz noch in die Regierung kommen will, muss er sich andere Optionen erarbeiten. Dazu könnte er sich die heutigen Konstellationen genau anschauen, die allerdings ganz anders sind, als die von 1982. Die CDU klemmt fest in einem neuen historischen Dilemma, welches Kohl immer zu verhindern versucht hatte. Es gibt rechts von der Union eine Partei, die so toxisch und extremistisch ist, dass sich eine Zusammenarbeit verbietet, die aber zugleich eine Mehrheit jenseits der jetzigen Ampel-Regierung verhindert.

Wer auch immer Kanzlerkandidat der CDU wird, muss mit dieser verhängnisvollen Lage umgehen. Das Unbehagen und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der gegenwärtigen Ampel-Bundesregierung macht sich dabei vor allem an einer Ablehnung der Grünen fest, mehr noch gelten die Grünen als maßgeblich für das Misslingen des Ampel-Bündnisses insgesamt. Kanzlerkandidat Merz könnte aber als Alternative zur gegenwärtigen Bundesregierung fast nur Schwarz-Grün anbieten, was sozusagen dem Schnapsfass der politischen Absurdität den Boden ausschlagen würde. Wie soll eine CDU-geführte Bundesregierung mit dem grünen Öl das Feuer löschen, das die Grünen aus Sicht mancher Wähler nun ja selbst gerade angezündet haben?

Große Koalition als Weg aus Lähmung

Olaf Scholz und Friedrich Merz verbindet in dieser politischen Großwetterlage dabei zwei verblüffende Eigenschaften. Zum einen sind sie in der Bevölkerung nicht sonderlich beliebt und zum anderen fehlt es ihnen beiden an durchschlagender Unterstützung in der jeweils eigenen Partei. Scholz führt sein Ampel-Bündnis weitgehend als sozialliberale Koalition Schmidt‘scher Prägung – mit grünem, mehrheitsbeschaffendem lästigen Anhängsel. Diese politische Täuschung funktioniert nur noch leidlich, die Grünen merken, dass sie unter Scholz wenig zu gewinnen haben. Und die Linken in der SPD merken, dass sie wieder mal – wie bei Schmidt und Schröder – ausgebootet werden. Die FDP wiederum wird zu mächtig, für Scholz sind die kraftstrotzenden Liberalen zunehmend ein Problem, auch wenn er sie selbst mit politischem Kraftfutter genährt hat.

CDU-Chef Friedrich Merz kann nun nicht, wie Helmut Kohl, mit einem Handstreich den amtierenden Kanzler ablösen und selbst Regierungschef werden, indem er Teile aus dem amtierenden Regierungsbündnis herausbricht. Dazu müsste er eine Jamaika-Regierung bilden, eine sogenannte schwarze Ampel. Doch das passt eben gar nicht in die aktuelle politische Gemengelage. Es sind ja gerade die streitenden Liberalen und Grünen, die die Stabilität der Regierung gefährden. In einer der schwersten Wirtschaftskrisen der Bundesrepublik zanken FDP und Grüne, so dass es eben deren Ablösung bedarf und keineswegs deren beider Rettung in ein Bündnis mit der CDU. Zudem wären die meisten Abgeordneten in den jeweiligen Fraktionen zu so einem Manöver nicht bereit.   

Was überzeugt potentielle AfD-Wähler?

Für die Befreiung aus der derzeitigen Paralyse Deutschlands muss das Undenkbare gedacht werden, das zugleich das Gewohnte für politische Krisenzeiten ist: Die Große Koalition – oder das, was früher mal eine Große Koalition genannt wurde. Es ist ein Gedankenspiel, vielleicht zu wild, um realisiert zu werden. Aber dem Land könnte es nützlich sein, wenn es wieder eine diesmal von der SPD geführte Regierung mit CDU/CSU geben würde. Es wäre ein Bündnis, das den klassischen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit moderieren könnte, die wirtschaftliche Situation stabilisieren und die „woken“ und identitäts-politischen Sandkastenspielereien beenden würde. Friedrich Merz müsste Olaf Scholz ein Regierungsbündnis anbieten, im dem Scholz zwar Kanzler bliebe und Merz nur Superminister würde, aber mit dem das Land aus seiner strukturellen Lähmung geführt würde.

Es ist leicht, ein derartiges Gedankenspiel zu Fall zu bringen. Die Union liegt in Umfragen zehn Prozentpunkte vor den Sozialdemokraten, wieso sollte sie nun in eine Große Koalition unter SPD-Führung eintreten? Doch vielleicht wäre es eben ein Argument, dass sich so das Land aus der Paralyse führen ließe. Staatspolitische Verantwortung! Das könnten die Wähler durchaus honorieren. Natürlich spricht auch dagegen, dass sich die Opposition ja nicht nur auf Harbeck und Baerbock, sondern gerade auch auf die Schwäche von Scholz als Kanzler eingeschossen hat. Doch zugleich bleibt das Dilemma, und das wissen auch alle im Land, dass die Große Koalition sowieso immer vor der Tür steht. Warum nicht das beginnen, was viele für 2025 eh schon erwarten. 

 

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SPD und CDU haben ein existentielles und programmatisches Interesse, sich von den Grünen zu emanzipieren. Verblüffender Weise hat SPD-Chef Lars Klingbeil das längst erkannt. Durch die relativ reibungslos verlaufenden schwarz-grünen Bündnisse auf Länderebene ist die Versuchung bei der CDU, Schwarz-Grün auch im Bund zu probieren, noch relativ groß. Doch den Abgeordneten, die vor allem auch um ihr Mandat fürchten, wird gewiss angst und bange bei der Aussicht, in einen Wahlkampf zu gehen, der als Alternative zur Ampel nur Schwarz-Grün zu bieten hat. Lieber jetzt eine pragmatische, unideologische Große Koalition bilden, das könnte die potentiellen AfD-Wähler doch eher umstimmen, als eine schwarz-grüne Perspektive. 

Eine Große Koalition könnte mit klaren wirtschaftspolitischen Maßnahmen und sozialer Abfederung einen neuen Aufschwung den Weg bereiten. Es wäre die Agenda 2030, die eine breite Unterstützung in der Bevölkerung finden würde. Klimaschutz mit Augenmaß, Gesellschaftspolitik ohne moralischen Dirigismus, Wandel ja, aber keine „Transformations“-Verheißungen. So ein Szenario würde allen Beteiligten etwas abverlangen, aus den üblichen Bahnen auszuscheren. „Entscheidend ist aber, was hinten herauskommt“, wusste Helmut Kohl. Es ist ein Gedankenspiel, mehr nicht. 

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