Klimaschutz und Klassenkampf - Change the System

Vor dem Bundestag versammelte sich an diesem Freitag die klimabewegte Jugend – unterstützt von Eltern, Großeltern und Aktivisten. Dass sich unter den Demonstranten auch Linksextremisten tummeln, die für den revolutionären Umsturz trommeln, stört offenbar niemanden.

Linksradikale Parolen bei der Klimastreik-Demo in Berlin / dg
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Charlotte Jost studiert Political- and Social Studies an der Julius-Maximilians Universität in Würzburg und ist Hospitantin in der Cicero Online-Redaktion.

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Vor dem Reichstagsgebäude steht eine junge Frau und peitscht die Menge auf. Rhythmisch skandiert sie mit sich überschlagender Stimme ins Mikrofon: „Eins – Komma – fünf – Grad – Klima in den Bundestag!“ Aus den Kehlen hunderter Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener schallt es zurück. Auch etliche Eltern und einige Großeltern sind mitgekommen. Aktivisten allerlei Couleur tummeln sich dazwischen.

Die Berliner Großkundgebung ist Teil des „Globalen Klimastreiks“, zu dem „Fridays for Future“ aufgerufen hat. Schüler lassen an diesem Freitag die Schule ausfallen, Berufstätige nehmen sich frei, und auch die „Omas for Future“ nutzen den Tag zum Protest. Auf der Wiese vor dem Bundestag herrscht Volksfeststimmung. Seifenblasen fliegen durch die Luft, Familien haben ihre Jüngsten in Kinderwägen dabei, es wird nicht nur deutsch gesprochen, sondern auch italienisch, portugiesisch und arabisch. Eine Frau hat sogar ein Waldhorn dabei, in dessen tiefe lange Töne ein Hund in der Ferne jaulend einsteigt.

Sie wollen Grüne und Linke wählen

Luisa und Paula sind beide 19 Jahre und wählen am Sonntag das erste Mal. Sie sind extra aus Frankfurt angereist. „Für das Klima zu kämpfen ist existenziell“, sagt Paula, und ihre Augen leuchten voller Entschlossenheit. „Als privilegierte Gesellschaft hier in Deutschland ist es unsere Pflicht, sich für das einzusetzen, was sich ändern muss.“ Sie werden die Grünen und die Linke wählen, sagen sie.

Theo (21) und Moritz (23) sind Studenten aus Hessen. „Unmittelbar vor den Bundestagswahlen muss man sich das einmal angucken, und wir sind sowieso gerade in Berlin“, antwortet Theo auf die Frage, warum er heute hier ist. Der Wahlkampf sei aktuell einfach „peinlich“ und habe kaum Inhalt, sagt Moritz. Gewählt haben sie schon per Briefwahl, ebenfalls Linke und die Grüne. „Weil ich gerne eine Rot-Grün-Rote Koalition hätte“, sagt Theo.

Einer der weißhaarigen Klimastreiker, Dirk (61), ist mit seiner Frau hier und beeindruckt davon, was junge Leute auf die Beine gestellt haben. „Wir müssen der Politik Dampf machen“, sagt er, „besonders unsere Generation, die einen so großen Teil der Wählerschaft ausmacht, sollte ebenfalls für die Klimaziele kämpfen. Auch wenn wir die Ergebnisse nicht mehr miterleben, machen wir für die jungen Generationen mit.“

„Antikapitalistischer Block“ ist offiziell angemeldet

Während die junge Frau auf der Bühne „Kohlestopp, hop, hop, hop“ anstimmt und die klimabewegte Jugend unter den stolzen Blicken der Älteren zu hüpfen beginnt, sammelt sich ein paar hundert Meter weiter hinten der radikalere Teil der Kundgebung.

Ganz offiziell ist bei der „Fridays-for-Future“-Veranstaltung ein „antikapitalistischer Block“ angemeldet. Auch diese Demonstranten sind jung, die meisten im Schüler- bis Studentenalter. Einige von ihnen sind schwarz gekleidet. Auf Schildern und Transparenten tragen sie linksradikale Parolen vor sich her: „Fuck Capitalism“, „System Change not Climate Change“, wobei „Change“ mit dem umkreisten A der Arnachisten geschrieben ist, „Riot against the Rich“.

Das Zwei-Flaggen-Symbol der autonomen Antifa ist allgegenwärtig. Ein junger Mann hat es auf dem Rücken seines Kapuzenpullis mit dem Schriftzug der Klimabewegung „Fridays for Future“ (FFF) kombiniert:

Antifa meets Klimajugend: Demoteilnehmer in Berlin / dg

Junge Marxisten wettern gegen die FFF-Führung

An einem kleinen Stand verkaufen zwei Mädchen eine „marxistische Schüler:innenzeitung“. Sie heißt „Klassenkampf“ und ist durchaus interessant zu lesen. Denn darin wird nicht nur gegen die Kapitalisten gewettert, sondern auch gegen die Grünen und die FFF-Führung. Denn die würden sich auf Kompromisse mit der Bourgeoisie einlassen, anstatt den Klassenfeind zu bekämpfen. Hoffnungsvoll heißt es in der Zeitung dann aber: „Immer mehr Schüler:innen radikalisieren sich, nicht zuletzt wächst eine antikapitalistische Strömung in FFF. Unserer Ansicht nach braucht es klare marxistische Ideen und eine Organisation, um diese Kräfte zu koordinieren und in eine revolutionäre Richtung zu lenken.“

Warnungen des Verfassungsschutzes verhallen

Auch die „Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) ist vertreten. Wie selbstverständlich reiht sich die vom Verfassungsschutz beobachtete kommunistische Jugendorganisation in die Kundgebung mit ein. Ihre roten Flaggen wehen neben denen von Grünen, Greenpeace und Co.

„Eine Voraussetzung für den revolutionären Kampf sieht die SDAJ in der Bündnispolitik. Bei der Wahl ihrer Bündnispartner schließt sie gewaltbereite Linksextremisten nicht aus“, warnt das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht. Und: Die SDAJ versuche verstärkt, „Einfluss auf die Klimaprotestbewegung zu nehmen.“

Das scheint vor Ort niemanden zu stören. Vielleicht auch deshalb nicht, weil sich die Ideen der Linksradikalen von denen der gemäßigteren Klimaschützer gar nicht allzu sehr unterscheiden: Den Slogan „Change the System“ sieht man nicht nur im „antikapitalistischen Block“, sondern überall auf der Demo.

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