NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann - „Die Armutsprobleme dieser Erde nicht über das Asylrecht lösen“

Karl-Josef Laumann gilt in seiner Partei als profiliertes Aushängeschild des Arbeitnehmerflügels. Im Interview mit Cicero spricht er über die anhaltenden Überlastungen durch die Flüchtlingskrise, die CDU als Partei der kleinen Leute und sein Verhältnis zu den Grünen.

Migranten im griechischen Flüchtlingslager Moria / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

So erreichen Sie Volker Resing:

Anzeige

Karl-Josef Laumann ist Politiker der CDU und Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. Er wuchs im Münsterland auf und stammt aus einer katholisch geprägten Landwirtsfamilie.

Herr Laumann, Sie sind Sozialminister in NRW und Bundesvorsitzender der CDA. Ist unser Sozialstaat angesichts der Herausforderungen von Migration und Inflation überlastet?

Es gibt viele Faktoren, die für unseren Sozialstaat gerade herausfordernd sind. Neben der Immigration wiegen die Inflation und die damit verbundenen Tarifabschlüsse in der Finanzierung des Sozialstaates natürlich sehr schwer. Und das macht auch Druck auf die Sozialkassen, das muss man ganz klar sagen. Wenn man zum Beispiel in den Krankenhäusern die Lohnerhöhungen im vollen Umfang über die Krankenkassen finanziert, ist das eine enorme Belastung. Hinzu kommt der Personalmangel in vielen Bereichen, der uns zu schaffen macht. Uns fehlen beispielsweise Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer.

Gerade dieser Personalmangel erschwert aber auch die Integration der Flüchtlinge?

Karl-Josef Laumann / dpa

Die Situation macht uns zu schaffen, das stimmt. Wir haben zurzeit in Nordrhein-Westfalen etwa 100.000 Kinder in unseren Schulen, von denen wir vor zwei Jahren noch nicht wussten, dass sie zu uns kommen. Wir brauchen für jedes Kind Lehrer, für jedes Kind einen Klassenraum. Das gleiche Spiel gilt auch für die Kitas. Es ist klar, dass unsere Infrastruktur Zuwanderung in diesem Ausmaß, wie wir ihn derzeit haben, weiter nicht verkraften kann. 

Wie erleben Sie die Stimmung im Land?

Bei unseren Kommunalpolitikern geht es schon gar nicht mehr um diese Frage. Ob CDU, SPD, FDP oder Grüne, sie sind sich längst einig, dass das so nicht weitergehen kann. Die Bundes- und Europapolitik muss endlich darauf reagieren. Und die Zuwanderung von Geflüchteten ist eben derzeit nicht mehr in allererster Linie nur eine Geldfrage. Es ist eine Frage der vorhandenen Infrastruktur, die weitere Belastung nicht stemmen kann. 

Nun scheint sich etwas zu bewegen. Waren im Rückblick betrachtet die Äußerungen von Friedrich Merz zu den Zahnärzten richtig, weil die Politik einen derartigen Weckruf brauchte?

Dazu habe ich ja alles gesagt. Ich glaube nicht, dass das grundsätzlich eine gute Idee ist, die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen. Wir müssen stattdessen die Probleme lösen. Als CDU sollten wir auch sagen, dass wir das Asylrecht für Verfolgte richtig finden. Nur um es zu erhalten, müssen wir dafür sorgen, dass es auch Akzeptanz behält. Aber das bedeutet eben, dass wir Zuwanderung begrenzen müssen. Es gibt individuell sicherlich viele Gründe, nach Europa zu kommen, aber nur wer verfolgt ist, genießt Asylrecht. Wir können die vielfältigen Probleme, besonders die Armutsprobleme dieser Erde, nicht über das Asylrecht lösen, das müssen wir klar sagen. 

Versteht das eigentlich der grüne Koalitionspartner auch, dass man Zuwanderung begrenzen muss? 

Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Grünen bei uns in Düsseldorf da sehr realistisch geworden sind. Wir wissen alle, dass das nicht einfach wird, es braucht ein ganzes Bündel an Maßnahmen. 

Wären Einschränkungen der Sozialleistungen für Asylbewerber der richtige Weg? Einen Zugang zur gesetzlichen Krankenkasse etwa erst nach 18 und nicht wie jetzt nach drei Monaten?

Das kann man machen. Aber das löst das Problem nicht. Es kommt keiner wegen der GKV nach Deutschland. Vielleicht können wir so die Anreize reduzieren, aber der große Hebel ist das nicht. Es muss auf europäischer und auf nationaler Ebene dafür gesorgt werden, dass Menschen, die kein Recht auf Asyl haben, gar nicht erst zu uns kommen. Im kommenden Jahr sind Europawahlen, bis dahin muss die Politik das Problem in den Griff bekommen, sonst werden die Wähler extreme Parteien wählen, um einen Denkzettel zu erteilen. Das will ich nicht.  

Bei den zurückliegenden Wahlen haben wir gesehen, dass Wähler von der SPD direkt zur AfD wandern. Ist im Ruhrgebiet die AfD schon die neue Arbeiterpartei? 

Eine Arbeiterpartei ist die AfD nicht. Aber Menschen, die schon lange hier zu Hause sind und in einfachen Wohnverhältnissen leben, kriegen die Belastung unserer Infrastruktur viel schneller und direkter mit als Menschen in gut-bürgerlichen Gegenden. Entsprechend ist dann auch der Frust und vielleicht auch das Wahlverhalten. Natürlich macht mir das keine Freude, wenn die Wähler dann von der SPD zur AfD wandern. Sie sollten besser die CDU wählen. Generell müssen wir endlich viel stärker wahrnehmen, was die normalen Leute beschäftigt, und die Probleme in den Griff kriegen. 

Sie kommen vom Land, wie ist die Lage da?

In meiner kleinen Bauernschaft im Münsterland mit rund 1000 Einwohnern haben wir die wohl kleinste Grundschule Westfalens. Da ist die Lage ganz anders. Da finden es die Menschen sogar manchmal ganz schön, wenn mal zugewanderte Familien mit ihren Kindern dazukommen. Wir haben natürlich auf dem Lande auch noch ganz andere christliche und ehrenamtliche Strukturen. Da können wir die Menschen vielleicht auch etwas einfacher integrieren als zum Beispiel in Gelsenkirchen oder anderswo.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Muss die CDU auch wieder Partei der kleinen Leute werden?

Die CDU ist auch Partei der kleinen Leute. Das Wählerklientel der CDU ist seit Jahren von der Sozialstruktur relativ stabil. In erheblichem Umfang gehören dazu: Facharbeiter, Handwerker, ganz normale Leute.

Und kann Friedrich Merz diese gesellschaftlichen Gruppen für die CDU abholen? 

Er beweist in seinem Wahlkreis im Sauerland, dass er das sehr gut kann. Friedrich Merz könnte nicht die Wahlergebnisse im Sauerland haben, die er hat, wenn die Arbeiter ihn nicht wählen würden.

Sein Privatflugzeug als großbürgerliches Symbol ist kein Problem? 

Ich glaube nicht, dass das Privatflugzeug das Problem ist. Die CDU muss sich weiter breit aufstellen, darum geht es. In der Öffentlichkeit muss die CDU Vielfalt zeigen: Männer und Frauen, Land und Stadt, ganz unterschiedlichen Typen sind nötig. Und da ist die Partei zurzeit nicht breit genug aufgestellt. Wenn 80 Prozent der CDU-Bundestagsabgeordneten meinen, dass ihre politische Heimat in der CDU in der Mittelstandsvereinigung liegt, dann wird das für diese Partei zum gravierenden Problem. 

Neben dem Parteivorsitzenden hat die CDU mit Carsten Linnemann auch einen dezidiert wirtschaftsnahen Generalsekretär. Schwierig?

Der Generalsekretär ist nicht das Problem. Aber es geht darum, dass die CDU auch in der Sozialpolitik Ressourcen ausbaut. Wenn nur ein Sozialminister in Deutschland CDU-Mitglied ist, stellt sich die Partei zu eng auf. Wenn die CDU derzeit nur zwei Gesundheitsminister in Deutschland stellt, reicht das nicht. Es ist keine gute Idee, oft nur auf die Ressorts Verkehr, Bauen und Landwirtschaft zu setzen. Die CDU muss auch die Sozialressorts anstreben, damit sie auch in diesen Politikbereichen gestalten kann. Und so wachsen auch neue Persönlichkeiten heran, die für diesen Flügel stehen.

Ihre Herkunft und Ihr Zungenschlag sind bekannt. Kommen Sie eigentlich von Stil und Prägung her mit den Grünen klar, die vielleicht großstädtischer unterwegs sind und gendern?

Die Zusammenarbeit mit den Grünen in Düsseldorf ist gut, und sie macht mir auch durchaus Freude. Manche von den Grünen bewundere ich sogar, weil sie noch echte Idealisten sind. Und das erinnert mich dann sehr an meine Jugendzeit, wo ich auch so war. Also ich habe da eine gute Meinung. 

Nun stelle ich mir vor, Sie sitzen in einer Dorfkneipe zuhause in Ihrer Bauernschaft, und nach dem dritten Bier sagt einer: Karl Josef, ich muss dir jetzt mal was gestehen, ich gehe zur AfD. Was sagen Sie?

Das ist bei mir zuhause noch nicht passiert. Wir sind immer noch im christlichen Glauben verankert, das ist unsere DNA. Unser Kardinal von Galen hat in der Nazizeit ein Beispiel gegeben, nicht einfach mitzumachen. Ich würde also demjenigen sagen: Überleg mal, wo das hinführt. Und überleg mal genau, was die eigentlich wollen. Zum Beispiel mit Blick auf Europa. Was würde das für uns bedeuten, die Europäische Union zu verlassen? Da muss doch jeder merken, dass wir dadurch unseren Wohlstands-Ast absägen würden, auf dem wir sitzen. Ich glaube, ich könnte auch in der Kneipe deutlich machen, dass das mit der AfD wirklich keine gute Idee ist.

Das Gespräch führte Volker Resing.

Anzeige