Interview mit Florian Hahn, Mitglied im Verteidigungsausschuss - „Der Bundeskanzler will die Waffenlieferungen verschleppen“

Florian Hahn, Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Verteidigungsausschuss, spricht im Interview über ausbleibende Lieferungen schwerer Waffen aus Deutschland an die Ukraine, die zögerliche Haltung von Olaf Scholz – und über die Gefahr einer Eskalation des Kriegs bis hin zum Einsatz von Atomwaffen.

Ein Flugabwehrkanonenpanzer des Typs Gepard im Deutschen Panzermuseum Munster / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Florian Hahn, 48, ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags und gehört der CSU an. 

Herr Hahn, Sie sind Mitglied im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags und dort Sprecher für die Unionsfraktion. Am vorigen Freitag war der Bundeskanzler dort zu Gast – es kam zu einem Eklat, als FDP-Abgeordnete die Sitzung verließen, weil sie sich offenbar nur unzureichend durch Olaf Scholz informiert fühlten. Wie haben Sie das Geschehen erlebt?

Scholz wurde ja von der FDP-Fraktion gleich zweimal düpiert. Einmal, indem ihn die FDP-Ausschussvorsitzende Strack-Zimmermann überhaupt in diese Sondersitzung gezwungen hat. Und dann hat der Rest der FDP-Truppe recht unelegant nochmal eins draufgesetzt, indem sie die Sitzung verlassen haben. Allerdings waren wir als Union auch nicht zufrieden mit den Erklärungen, die der Bundeskanzler gegeben hat.

Warum nicht?

Weil viele Fragen tatsächlich offen geblieben sind, beispielsweise die Fragen nach dem Flugabwehrkanonenpanzer „Gepard“. Es ist weiterhin völlig unklar, wann die Geparden der Ukraine funktionstüchtig und munitioniert zur Verfügung stehen und ob die Ukraine dieses Gerät überhaupt angefordert hat. Oder auch beim Schützenpanzer „Marder“ – wir wissen nicht, ob hier überhaupt eine Anforderung seitens der Ukraine vorliegt. Auf diese Dinge ist der Kanzler nicht eingegangen.

Immerhin hat der Bundestag die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ja beschlossen. Jetzt aber scheint der gesamte Prozess zu stocken. Woran liegt es?

Ich kann mir auch kaum erklären, dass man erst freudestrahlend verkündet, man würde jetzt Geparden liefern – und es bis heute keinen Vertrag gibt zwischen der Ukraine und der Firma, die diese Panzer herstellt. Auch die Munitionsfrage ist weitgehend ungelöst. Zwar hat die Bundeswehr noch rund 50.000 Schuss übrig, aber das sind gerade mal 2000 Schuss für insgesamt 25 Geparden. Die sind in weniger als vier Minuten verschossen. Und es macht ja keinen Sinn, der Ukraine ein Waffensystem zur Verfügung zu stellen, das nicht munitioniert werden kann.

Florian Hahn, MdB

CDU-Chef Friedrich Merz hat dem Bundeskanzler soeben vorgeworfen, die Waffenlieferungen verschleppen zu wollen. Erleben Sie das auch so?

Ja, beispielsweise beim Thema „Marder“, den die Ukraine auch gern hätte. Von diesem Gerät, das wesentlich weniger komplex ist als der Gepard, steht bei der Industrie eine deutlich höhere Stückzahl auf dem Hof. Für das Bedienen der Marder ist noch dazu wesentlich weniger Ausbildung notwendig, und deshalb könnten sie der Ukraine sehr nützlich sein. Dennoch sind da für mich derzeit keinerlei Aktivitäten erkennbar, was die Auslieferung angeht. Das hat sich an diesem Mittwoch im Ausschuss auch nochmal bestätigt.

Was könnte der Grund dafür sein?

Ich kann mir das nur so erklären, dass es weiterhin ideologische Hürden bei den Sozialdemokraten gibt; dass man sich dort einfach schwertut, den Beschluss des Bundestags für die Lieferung schwerer Waffen endlich auch umzusetzen. Und das, obwohl die Ukraine sich tagtäglich unter hohem Einsatz von Leib und Leben den russischen Invasoren widersetzt. 

Olaf Scholz warnt ja immer wieder vor einer Eskalation des Ukrainekriegs bis hin zu einem Dritten Weltkrieg. Inwiefern sind solche Warnungen berechtigt?

Mir ist nicht klar, was uns der Bundeskanzler damit sagen möchte. Wir sehen, dass Putin derzeit gnadenlos versucht, ein ganzes Land im Grunde auszulöschen. Das Vorgehen in Mariupol und anderswo zeigt, dass er dabei vor wirklich keinen Kriegsgräueln zurückschreckt. Angesichts dessen kann ich die Bedenken von Olaf Scholz nicht nachvollziehen. Denn wenn Putin den Krieg weiter eskalieren wollte, würde er das auch ohne westliche Waffenlieferungen tun.

Zumindest aus amerikanischer Sicht hat es einen Wechsel der Strategie dahingehend gegeben, die Ukraine nicht nur in ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu unterstützen, sondern Russland insgesamt zu schwächen. Sollten die Europäer diesen Weg mitgehen?

Es ist wichtig, geschlossen und gemeinschaftlich gegen Russland vorzugehen – mit Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland. Entscheidend ist, dass wir auf europäischer Ebene zusammenhalten und eine gemeinsame Linie vertreten.

Das muss aber nicht notwendig auch die Linie der Amerikaner sein?

Die Europäer sind, denke ich, schon manns genug, hier eine eigene Linie zu finden.

Schweden und Finnland haben soeben einen Antrag auf Aufnahme in die Nato gestellt, das Bundeskabinett hat dem zugestimmt. Die Türkei hat Einwände. Wie lässt sich die Sache lösen?

Das muss über den Verhandlungsweg gelöst werden. Es ist ja nicht besonders überraschend, dass die Türkei in dieser Frage zunächst einmal quer im Stall steht. Ich gehe davon aus, dass Ankara hier bestimmte Interessen verfolgt, die sich vermutlich demnächst im Rahmen von Gesprächen in Ausgleich bringen lassen. Zu den Details kann ich allerdings nichts sagen.

Vor knapp drei Monaten hat Kanzler Scholz die „Zeitenwende“ in der Verteidigungspolitik verkündet. Hat sich da aus Ihrer Sicht schon etwas konkretisiert?

Es war eine richtige Rede zum richtigen Zeitpunkt, und wir als Union unterstützen da den Kanzler auch bei der Umsetzung. Aber gerade bei der Umsetzung erweist sich die Bundesregierung bisher als außerordentlich zaghaft. Wir müssten da jetzt wirklich weiterkommen. Insbesondere in der Frage, wie das Sondervermögen konkret ausgestaltet werden soll. Es geht darum, die von Olaf Scholz angekündigten 100 Milliarden Euro in unsere Streitkräfte zu investieren und dauerhaft das Zwei-Prozent-Ziel einzuhalten.

Wie bewerten Sie aktuell die militärische Lage in der Ukraine? Beide Konfliktparteien berichten von Erfolgen. Insgesamt scheint es sich zu zermürben.

Wir sehen, dass Putin seine militärischen Ziele nicht erreichen konnte – also die schnelle Okkupation der gesamten Ukraine, die schnelle Einnahme Kiews und die Absetzung der gewählten ukrainischen Regierung zugunsten eines russischen Marionettenregimes. Das alles ist misslungen; gleichzeitig hat das russische Militär schwere Verluste zu verzeichnen. Bei geringer Moral und derartigen Verlusten tun sich die russischen Streitkräfte aktuell sehr schwer, auch die neu definierten militärischen Ziele zu erreichen. Weil man es mit einer an Kampfmoral und offensichtlich auch in der Ausbildung überlegenen ukrainischen Armee zu tun hat. Und genau deshalb müssen wir die Ukraine auch weiter in ihrem Abwehrkampf unterstützen.

Gibt es aus Ihrer Sicht überhaupt ein realistisches Szenario, wie dieser Krieg demnächst enden kann?

Der Krieg wird dann enden, wenn Putin merkt, dass er ihn nicht gewinnen kann. Das ist der entscheidende Punkt, den wir erreichen müssen bei unserer Unterstützung der Ukraine.

Und was, sollte Putin beispielsweise taktische Atomwaffen einsetzen, wenn er zur Überzeugung gelangt, den Krieg mit konventionellen Waffen nicht gewinnen zu können?

Für derart irrational halte ich Putin nicht. Ich denke, er wägt durchaus ab, was für ihn nützlich und weniger nützlich ist. Der Einsatz von Nuklearwaffen würde Russland endgültig und vollständig vom Rest der Welt isolieren. Ich glaube nicht, dass er und Russland sich das leisten können.

Die Deutschen scheinen inzwischen das Interesse am Ukrainekrieg zu verlieren. Was bedeutet das für die vielbeschworene Solidarität mit der Ukraine und für die Akzeptanz von Waffenlieferungen aus Deutschland?

Ich glaube, die Menschen hier verlieren nicht das Interesse an der Ukraine. Sondern sie merken, dass diese Krise sie direkt betrifft – und machen sich deshalb zunehmend Sorgen. Etwa mit Blick auf die Wirtschaft oder auf die Inflation. Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung wirklich Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit demonstriert. Beides ist derzeit leider nicht der Fall.

Der Kanzler hat gesagt, er würde nicht für einen „Fototermin“ nach Kiew fahren. Geht es bei solchen Selenskyj-Besuchen vor allem um PR für die Gäste?

Das war eine ziemliche Unverschämtheit von Olaf Scholz – nicht zuletzt seiner eigenen Außenministerin gegenüber, die ja schon vor Wochen selbst in Kiew war. Ich kann nur sagen: Die große Stärke der Ukrainer besteht auch in ihrer Motivation und ihrem Patriotismus. Und wann man das stärken kann durch einen Besuch, dann ist das allemal eine Reise wert.

Das Gespräch führte Alexander Marguier.

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