Pro und contra Impfpflicht - Contra: Weder geeignet noch verhältnismäßig

Eine Impfpflicht für alle würde die Grundrechte verletzen, da sie dem Einzelnen ein Risiko aufzwingt, ohne dass der gewünschte Nutzen einer sinkenden Infektionsrate durch Herdenimmunität eintreten würde. Die wenigsten, die ein entsprechendes Gesetz fordern, sind sich über die praktischen und rechtlichen Auswirkungen im Klaren, schreibt Ingo Way.

Wird selbst ungeimpft wahrscheinlich keinem das Intensivbett wegnehmen: Impfskeptiker Joshua Kimmich / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ingo Way ist Chef vom Dienst bei Cicero Online.

So erreichen Sie Ingo Way:

Anzeige

Nachdem Lockdowns, Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Abstandsregeln, Reiseverbote, Schulschließungen, massiver Impfdruck, 3G, 2G, 2G+ etc. etc. das gewünschte Ziel – eine covidfreie Welt oder doch zumindest ein Absinken der berüchtigten „Inzidenzen“ – kein Stück nähergerückt haben, soll es jetzt der nächste Hammer bringen: eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht, um endlich die gesamte Bevölkerung, vom Kind bis zum Greis, zu 100% durchzuimpfen, auf dass das Virus kein Schlupfloch mehr finde.

Bis vor Kurzem hieß es vonseiten der Politik unisono: Eine Impfpflicht werde es nicht geben, versprochen. Und jetzt gehören gerade diejenigen, die noch vor einem Jahr jedermann als paranoiden rechtsradikalen Verschwörungstheoretiker abtaten, der von einer drohenden Impfpflicht „schwurbelte“, zu den vehementesten Befürwortern einer solchen. Schien es also bislang Konsens in Politik und Juristerei gewesen zu sein, dass unser Grundgesetz eine allgemeine Impfpflicht nicht zulasse, scheint es sich inzwischen leider so zu verhalten, dass, wo ein politischer Wille ist, sich auch ein juristischer Weg findet. Das Bundesverfassungsgericht, das sich in seiner Corona-Rechtsprechung allzuoft von seiner Rolle verabschiedet hat, der Hüter der Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat zu sein, wird auch hier das, was verfassungsrechtlich nicht passt, passend machen. Auf die Gerichtsbarkeit sollte man sich also besser nicht verlassen.

Herdenimmunität lässt sich nicht erreichen

Dabei sind es nicht nur juristische sondern auch medizinische Argumente, die nicht nur gegen eine Impfpflicht, sondern generell gegen eine flächendeckende Durchimpfung der Bevölkerung sprechen. Dass die Impfung gegen Covid einen schweren Krankheitsverlauf verhindern und den Patienten vor dem Tod bewahren kann, soll gar nicht in Abrede gestellt werden. Doch wirken die Vakzine eben nicht so umfassend wie versprochen, nicht so langfristig wie gedacht, und sie bieten vor allem keine sterile Immunität. Man kann sich also als Geimpfter sowohl weiterhin infizieren als auch Dritte anstecken. Eine Herdenimmunität lässt sich auf diese Weise nicht erreichen, egal ob die Impfquote bei 50, 75 oder 100% liegt. Eine im European Journal of Epidemiology veröffentlichte Studie stellte sogar fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Impfquote in einem Land und der Covid-Infektionsrate gibt. In Ländern mit einem höheren Prozentsatz vollständig geimpfter Bürger gebe es sogar mehr Covid-Fälle pro einer Million Einwohner.

%paywall%

Übrig bleibt also allein der Individualschutz. Und selbst der ist löchrig, wie die zahlreichen „Impfdurchbrüche“ zeigen, und lässt nach spätestens sechs Monaten wieder nach. Inzwischen ist gelegentlich schon von einer Auffrischimpfung nach nur zwei Monaten die Rede.

Nutzen-Risiko-Abwägung

Die Behauptung, Impfen sei ein Akt der Solidarität, fußte ursprünglich auf dem Argument, man nehme damit sich selbst als Infektionsquelle für andere aus dem Rennen. Nachdem dieses Argument zu Staub zerfiel, da klar wurde, dass auch Geimpfte das Virus weitertragen können, wurde die Latte stillschweigend höhergelegt: Nun soll die Solidarität darin bestehen, Geimpften nicht die Intensivbetten wegzunehmen (deren Anzahl doch keine naturgegebene Größe ist). Selbst wenn man sich auf dieses Argument einlässt, sollte man sich einmal die Altersstruktur der Covid-Patienten auf den Intensivstationen ansehen: Es sind nach wie vor überwiegend Alte bis sehr Alte. Für diese mag die Nutzen-Risiko-Abwägung zugunsten einer Impfung ausfallen – die dann aber nicht mehr per Gesetz vorgeschrieben werden müsste. Die Unter-60-Jährigen, und mehr noch die Unter-50-Jährigen, hingegen tragen, ob geimpft oder ungeimpft, so wenig zur Intensivbettenbelegung bei, dass eine Impfung für diese Gruppe schlicht keinen Unterschied macht, was die Belastbarkeit des Gesundheitssystems angeht. Ein gesetzlicher Zwang wäre hier weder geeignet noch verhältnismäßig.

Zumal gerade bei Jüngeren das Risiko von Impfnebenwirkungen in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem eines schweren Covid-Verlaufs steht. Das erhöhte Risiko von Herzmuskelentzündungen ist belegt. In Studien, die den Peer-Review-Prozess anerkannter Wissenschaftsjournale durchlaufen haben, wurde zudem ein erhöhtes Risko für Thrombosen, Kardiomyopathie und andere Gefäßerkrankungen nach Impfungen mit den neuartigen mRNA-Vakzinen festgestellt, ferner eine Beeinträchtigung der DNA-Reparatur, was die erworbene Immunität schwächt. Angesichts eines solchen Nebenwirkungsprofils wäre vor einer Impfung eine individuelle Risikoabwägung zwingend erforderlich, die bei dem Angehörigen einer Risikogruppe durchaus zugunsten der Impfung ausfallen kann, bei einem gesunden jungen Menschen aber wohl eher dagegen. Eine Pflichtimpfung hingegen schert alle über einen Kamm. Das Solidaritätsargument zieht auch hier nicht. Denn es gibt keine Pflicht zur Selbstschädigung aus Solidarität. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit des einen endet nicht da, wo die Angst des anderen beginnt.

Jahrelange Auffrischimpfungen?

Die Frage ist auch, was sich die Befürworter einer Impfpflicht eigentlich von dieser versprechen. Welche Zwangsmaßnahmen sollen zusätzlich zur Anwendung kommen, die bisher noch nicht in Kraft sind? Die jetzige Situation, mit permanenten Zugangsbeschränkungen und Testnachweisen für Ungeimpfte, ist bereits wesentlich invasiver und übergriffiger, als es jede Impfpflicht in der Vergangenheit je war. Impfpflichten gab es in der Bundesrepublik gegen die Pocken (bis 1975) und in der DDR gegen alle möglichen Krankheiten. (Aber wollen wir uns wirklich die DDR zum Vorbild nehmen?) Und doch liest man in den Geschichtsbüchern nichts davon, dass sogenannte Impfverweigerer je sozial ausgegrenzt, zu Sündenböcken gemacht oder gar in den Knast gewandert wären, selbst in der östlichen Diktatur nicht. Allenfalls wurden Bußgelder fällig, oder der Zugang zu medizinischen Berufen oder Kinderbetreuungseinrichtungen wurde erschwert. Dass die Polizei die Eigensinnigen früh morgens zuhause abholt und mit Gewalt dem Impfarzt zuführt, wäre in der zivilisierten Welt ohne Beispiel und schwebt, so möchte man wenigstens hoffen, den Befürwortern einer Covid-Impfpflicht doch wohl nicht vor.

Viele Befürworter einer Impfpflicht scheinen sich auch nicht darüber im Klaren zu sein, dass eine solche, einmal in Gesetzesform gegossen, auf Jahre hinweg das Geschehen prägen könnte und auch regelmäßige Auffrischimpfungen einschließt – auch dann, wenn das Virus längst endemisch geworden ist und keine epidemische Notlage mehr droht. Denn welcher Politiker würde es wagen, die Abschaffung eines solchen Gesetzes zu fordern, wenn sich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen ließe (Stichwort: „Präventionsparadox“), ob danach nicht wieder eine neue Epidemie droht, so unwahrscheinlich das auch sein mag. Spätestens, wenn sich nach der soundsovielten Auffrischspritze dann doch Nebenwirkungen einstellen, die sich nicht mehr ignorieren lassen und zu spürbaren Beeinträchtigungen führen, wird sich so mancher, der die Erstimpfung gut vertragen hat und von sich auf alle anderen schloss, die Frage stellen, ob er die Impfpflicht nicht ein bisschen weniger lautstark hätte fordern sollen. Die mehrfach Geimpften, die irgendwann keinen weiteren Booster mehr wollen, sind die Impfverweigerer von morgen. Und eine gesetzliche Impfpflicht ließe ihnen dann keinen Ausweg mehr.

Zum Pro-Artikel von Antje Hildebrandt geht es hier.

Anzeige