Bei Maybrit Illner - Ricarda Langs Schlaraffenland ist der unsoziale Sozialstaat

Grünen-Chefin Ricarda Lang demonstriert in ihrem jüngsten Talkshow-Auftritt die ganze Unbedarftheit der sozial verbrämten Schuldensteigerungspolitik – und Finanzminister Christian Lindner die fatale Zurückhaltung der Bremser.

Ricarda Lang bei Maybrit Illner / screenshot/zdf
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Man muss sicherlich nicht von jedem Spitzenpolitiker eine ausgesprochene Kompetenz für Finanzen erwarten oder für das, was man früher „Staatswissenschaften“ nannte. Aber ein zumindest rudimentäres Verständnis davon, was hinter dem Begriff „Finanzierung“ steckt, vor allem wenn es um den Staat geht, sollte man bei der Vorsitzenden einer nicht nur im Bundestag vertretenen, sondern auch an der Bundesregierung beteiligten Partei eigentlich voraussetzen. 

Ricarda Lang, Co-Vorsitzende der Grünen, sagte in der jüngsten Sendung der Talkshow von Maybrit Illner: „Wenn wir jetzt über höhere Verteidigungsausgaben sprechen … und gleichzeitig nicht wollen, dass das gegen die soziale Sicherheit im Land ausgespielt wird und wir damit übrigens auch den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren, dann werden wir auch über andere Möglichkeiten der Finanzierung sprechen müssen.“ Sie spricht dann von der Erhöhung des „Sondervermögens“ als einer solchen Möglichkeit. 

Dieser Politeuphemismus „Sondervermögen“ bedeutet nichts anders als höhere Staatsschulden. Aber man hat bei Ricarda Lang und anderen Politikern den Eindruck, dass sie nach so häufiger Verwendung dieser Vernebelungsvokabel inzwischen selbst nicht mehr wissen, was das bedeutet, obwohl das Bundesverfassungsgericht es ihnen und dem Rest der Republik bekanntlich ins Gedächtnis zurückrief. Auch Langs vermeintlich andere „Finanzierungsmöglichkeit“ – „die Schuldenbremse reformieren, also auf Dauer mehr Ausgaben möglich zu machen“ – klingt verheißungsvoller als das, was es tatsächlich bedeutet: nämlich ebenfalls noch viel mehr Staatsschulden aufnehmen.  

Fuest vertreibt Lang aus dem Schlaraffenland

Ihr sei es „wichtig, nicht äußere Sicherheit gegen innere Sicherheit auszuspielen“. Es war komisch, wie der glücklicherweise in dieser Runde sitzende Ökonom Clemens Fuest der so offenkundig entweder ahnungslosen oder bewusst wirklichkeitsvernebelnden Grünenchefin erklären musste, was Staatsschulden bedeuten, und dass ein Staat nicht alles haben beziehungsweise verteilen kann, was Lang wünscht. Wobei ihr das auch jeder halbwegs mit Verstand begabte Bürger (es muss noch nicht mal eine schwäbische Hausfrau sein) ebenfalls hätte beibringen können: „Wir werden Einbußen haben. Die Verschuldung kann das nicht verhindern. Verschuldung ist ja nur ein Verlagern von Lasten in die Zukunft – das ist kein Aus-der-Welt-Schaffen von Lasten.“ Und weiter: „Ich verstehe den Wunsch, Frau Lang wird sich jetzt nicht hinstellen und sagen: ,Wir kürzen jetzt den Sozialstaat zusammen.‘ Aber das wird so sein: Kanonen und Butter – es wäre schön, wenn das ginge, aber das ist Schlaraffenland.“

Weniger komisch war der Auftritt von Langs Koalitionspartner, FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner. Der Mann, der qua Amt eigentlich Herr der Bundesfinanzen ist, scheint im dritten Jahr der Ampelkoalition von Lang und Co. und der Aussicht, schon wieder mit ihnen streiten zu sollen, so eingeschüchtert zu sein, dass er sich ganz bescheiden gab: „Mir geht es nicht darum, dass wir jetzt Dinge abschaffen müssen – darüber kann man auch diskutieren. Aber das Wichtigste ist, dass nicht immer neue Subventionen, neue Sozialausgaben, neue Standards dazukommen. Wir haben bereits relativ viel. Wenn es uns gelänge, mal drei Jahre mit dem auszukommen, was wir haben, ja dann wäre es ein ganz großer Schritt zur Konsolidierung.“

 

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Lindner hat – wie schon so oft – die Chance vergeben, seine Koalitionspartnerin, die diametral allem entgegensteht, für das seine Partei und er selbst eigentlich einmal standen, vorzuführen. Lang spricht von „innerer Sicherheit“, die sie implizit mit „sozialer Sicherheit“ und dem Umverteilungsstaat in seiner jetzigen Gestalt gleichsetzt. Doch die staatliche Umverteilung von mehr als 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist eben gerade nicht solidarisch und sozial und sichert auch nicht den inneren Frieden, wenn Kassiererinnen und Dachdeckergesellen nach ihren Steuern und Abgaben kaum mehr in der Tasche für sich und ihre Familien verbleibt als den Nichtarbeitenden, die sie damit unterhalten. In Zeiten des allgemeinen Arbeitskräftemangels, wo buchstäblich an jeder Pinnwand Arbeit aller Art angeboten wird, ist ein wachsender Umverteilungsstaat, der außerdem noch für Versorgung suchende Zuwanderer offen steht, das Gegenteil eines gesellschaftlichen Friedensgaranten. Von dem durch Schulden für diese Sozialleistungen angehäuften Sprengstoff für die Zukunft ganz zu schweigen. 

Die allzu zaghaften Bremser der Umverteilungspolitik haben jahrzehntelang selbst den Fehler gemacht, im Diskurs von „sozialen Wohltaten“ zu reden, auf die man zugunsten solider Staatsfinanzen verzichten müsse. Als ob Sozialleistungen eigentlich immer wünschenswert wären, wenn der Staat es nur irgendwie hinkriegt. Auch Lindner redet defensiv, als ob er wüsste, dass er etwas Schmerzliches verlangt, das man nur in kleinen verträglichen Dosen verabreichen kann. Dabei würde die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung von der Beschneidung des Umverteilungsstaates unmittelbar profitieren. Es wäre an der Zeit für liberale Politiker, nicht nur den sogenannten Besserverdienern, sondern allen Menschen, die arbeiten und Steuern und Abgaben zahlen, klarzumachen, dass die Begrenzung des Umverteilungsstaats erst Recht in Zeiten des Arbeitskräftemangels in ihrem unmittelbaren Interesse ist, weil nur dadurch substantielle Steuersenkungen möglich werden. Und vor allem, dass dies keineswegs unsozial oder unsolidarisch ist, wenn Arbeitskraft so sehr nachgefragt ist wie derzeit. 

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