Holocaust-Gedenktag - Bequeme und unbequeme Demonstrationen

Wo waren die eifrigen Demonstranten gegen Rechtsextremismus und die AfD, als es nach dem 7. Oktober darum gegangen wäre, gegen Antisemitismus zu demonstrieren?

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und Demonstranten am 27.01.2024 / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

So erreichen Sie Alexandre Kintzinger:

Anzeige

Der 27. Januar ist Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, in Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 1945. Mehrere Organisationen und Verbände veranstalten deswegen an diesem Tag deutschlandweit Mahnwachen. Gerade an diesem Tag findet in Berlin aber auch eine Pro-Palästina-Demo statt. Das ist eine ekelhafte Provokation, keine Frage. Eine Frage ist eher, wie ernst der zuletzt so aktiven Zivilgesellschaft das „Nie wieder“ wirklich ist.

Der Gedenktag fällt in diesem Jahr in einen regelrechten Monat der Demonstrationen. Neben den Bauernprotesten sind das vor allem die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus seit der Veröffentlichung von Correctiv zu einem Treffen, an dem Mitglieder der AfD und der CDU, beziehungsweise Werteunion, sowie Rechtsextreme um den Indentitären Martin Sellner teilnahmen. 

Auch ist es der erste Gedenktag dieser Art nach dem genozidalen Massaker der Hamas und ihrer Verbündeten an Israelis am 7. Oktober. 1139 Menschen wurden dabei getötet. Der größte Massenmord an Juden seit dem Zweiten Weltkrieg. Eltern wurden vor den Augen ihrer Kinder ermordet, Babys mit Kopfschüssen hingerichtet und viele Frauen massenweise vergewaltigt.

 

Mehr zum Thema:

 

Seitdem herrscht wieder Krieg im Gazastreifen. Der Angriff der Hamas brachte nicht nur Leid über Israel, sondern auch furchtbares Leid über die Menschen, für die diese Terrororganisation zu kämpfen behauptet. Denn die Taten der Hamas riefen eine militärische Reaktion seitens Israel hervor, die im Gazastreifen mehrere Tausend Tote forderte, darunter auch viele Zivilisten. Frauen und Kinder, welche die Hamas als lebende Schutzschilde missbraucht. Israel bot zuletzt eine Waffenruhe an, welche die Hamas ablehnt. Der Konflikt wird also noch andauern.

Auch wenn sich große Teile der politischen Eliten und der Öffentlichkeit solidarisch zu Israel bekannten, zeigte sich auf den Straßen in Deutschland ein anderes Bild. Tage nach dem Massaker feierten Menschen die Ermordung von Kindern und die Vergewaltigung von Frauen in der Berliner Sonnenallee, teilten unter anderem Süßigkeiten aus. Es folgten Woche zu Woche dann Demonstrationen von Pro-Palästina-Gruppen. Bei einigen stand der Wunsch nach Frieden im Vordergrund, bei vielen jedoch der Hass auf Israel. Dass es nicht „nur“ um Israel geht, sondern auch gegen jüdisches Leben generell, zeigen die über 2200 antisemitischen Straftaten hierzulande seit dem 7. Oktober. In einem Fall wurden in Berlin zwei Molotowcocktail in Richtung einer Synagoge, einer Talmud-Thora-Schule sowie einer jüdischen Kindertagesstätte geworfen. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner sagte dazu später: „Brandanschläge auf Synagogen sind Brandanschläge gegen uns alle.“

Wo waren die Demonstranten nach dem 7. Oktober?

Doch wo waren alle? Einzelne Verbände riefen zu Kundgebungen auf, aber meistens blieb es bei wenigen Hundert Teilnehmern. Eine Doku der ARD zeigte zuletzt, dass sich jüdische Menschen in Deutschland zutiefst bedroht fühlen seit dem 7. Oktober. Wer kann es ihnen verdenken? Reichen Molotowcocktails gegen eine Synagoge nicht in dem Land, das verantwortlich für die Schoa ist, um Hunderttausende Menschen gegen Antisemitismus auf die Straße zu bringen? Die Verbände und Veranstalter, die am vergangenen Wochende zu den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD aufgerufen haben, wo waren sie in den Monaten nach dem 7.Oktober?

Der Rechtsextremismus in der AfD sollte nicht kleingeredet werden. Die als „Remigration“ getarnten Deportationsphantasien innerhalb der AfD, die rechtsextremen politischen Schriften von Höcke oder dem EU-Kandidaten Maximillian Krah, die Bewunderung für autoritäre Regime, die Vernetzungen zu rechtsextremen Gesellen wie Götz Kubitschek all des sollte ernst genommen werden. Und die Partei sollte damit auch öffentlich konfrontiert werden. Die Frage ist, warum diese Konfrontation in Form von Massenprotesten erst ein Treffen von einzelnen Hinterbänklern brauchte und nicht schon früher passiert ist? Denn diese Informationen über die AfD waren lange Zeit vor der Correctiv-Recherche schon bekannt.

„Gegen rechts“ zu sein, ist einfach

Die Frage lässt sich erschreckenderweise womöglich nur mit den Wörtern Bequemlichkeit und Denkfaulheit beantworten. „Gegen rechts“ auf die Straße zu gehen, ist einfach, vor allem wenn es plötzlich alle machen. Die Bösen sind hier klar definiert. Omas, Opas, die ganze Familie inklusive Kinder und Enkelkinder können für so etwas dann bunte Schilder basteln. Danach geht es für die engagierte Familie in Funktionskleidung zum fröhlichen Demo-Ausflug. Das obligatorische Erinnerungs-Selfie darf da auch nicht fehlen.

Leute gegen Antisemitismus zu mobilisieren, ist jedoch anscheinend schwieriger. Da sind die Fronten anscheinend nicht so klar definiert. Oder man muss sich teilweise unbequemen Realitäten stellen. Vielleicht liegt es auch daran, dass es neben dem Antisemitismus von rechts auch linken Antisemitismus und muslimischen Antisemitismus gibt. Dies erfordert dann Differenzierung oder bei einigen auch kritische Reflexion. Doch dies wiederum stört dann den hierbei geforderten Konsens der Demokraten.

Schlussendlich ist es auch zum Teil ein Symptom unserer Zeit. Wie leben in komplexen Zeiten, doch unterkomplexes Denken hat Konjunktur, einfache Lösungen und Parolen fruchten bei vielen. Und leider verbreiten sie sich im gesamten politischen Spektrum der Gesellschaft.

Anzeige