Haushalts-Chaos - Die Zeitenwenden des Herrn Scholz

Das Bundesverfassungsgericht erklärte am 15. November die Schuldenakrobatik der Regierung Scholz für verfassungswidrig. Das Geschäftsmodell der Ampel offenbarte sich als Wunschkonzert auf Pump. Nun muss der Gürtel enger geschnallt werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Das Geschäftsmodell der Berliner Ampelkoalition war ein Wunschkonzert auf Pump. Die SPD wollte durch den Ausbau des Sozialstaats ihr Hartz-Trauma überwinden, die Grünen wollten endlich ihren Traum von der Klimatransformation von Wirtschaft und Gesellschaft verwirklichen, und die FDP wollte vor allem keine Steuerhöhungen. Das war nur durch Neuverschuldung zu finanzieren. Dumm nur, dass die unter der ersten (schwarz-roten) Regierung Merkel beschlossene und unter der zweiten (schwarz-gelben) Regierung Merkel umgesetzte „Schuldenbremse“ die notwendige Schuldenaufnahme verwehrte. 

Doch der vom Finanzminister unter Merkel im Herbst 2021 zum Kanzler der Ampel aufgestiegene Olaf Scholz wusste Rat: Die in der Pandemienotlage geschaffenen Schuldentöpfe – in guter Orwell-Diktion „Sondervermögen“ genannt – wurden kurzerhand in Finanzierungquellen für rot-grüne Herzensanliegen umgewidmet. So bekam jede Ampelleuchte, was sie wollte.

Rhetorischem Donnerschlag folgte lange wenig

Doch die Hoffnung der Koalitionäre auf Selbstverwirklichung ohne Budgetbeschränkung währte nicht lange. Der Überfall Putin-Russlands auf die Ukraine durchkreuzte ihre hehren Pläne schon drei Monate nach Amtsantritt. Olaf Scholz erfasste schnell die Bedeutung und sprach in einer denkwürdigen Rede im Bundestag am 27. Februar 2022 von einer „Zeitenwende“. Die Welt merkte auf. Doch dem rhetorischen Donnerschlag folgte lange wenig. Bundeskanzler Scholz erwies sich bei der Militärhilfe für die Ukraine als Zauderer, wie ihn Karl Valentin beschrieben hat: „Mögen hätt‘ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut“.

Beinahe gleichzeitig zur Zeitenwende in der Sicherheitslage Europas gab es eine Zeitenwende in der Zinsentwicklung. Gegen Ende des Jahres 2021 starb die über vier Jahrzehnte andauernde Hausse am Anleihemarkt. Mit der Wiederauferstehung der Inflation kehrte auch der Zins zurück. Der Zinsanstieg hätte dem Geschäftsmodell der Ampelkoalition mit der Zeit allein den Garaus gemacht. 

Denn die Zinsausgaben des Bundes stiegen schon in der Zeit vom Amtsantritt der Regierung im November 2021 bis Oktober 2023 von 4,3 Milliarden Euro auf 35,7 Milliarden Euro im Jahr. Eine Spirale höherer Zinsausgaben und Schulden hätte in die nächste Finanzkrise geführt. Doch das Bundesverfassungsgericht setzte dieser Spirale früh ein Ende, indem es in seinem Urteil am 15. November die Schuldenakrobatik der Regierung Scholz für verfassungswidrig erklärte. 

 

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Damit fiel das Geschäftsmodell der Ampelkoalition in sich zusammen, und Olaf Scholz sah sich einer zweiten Zeitenwende ausgesetzt. Rhetorisch lief Bundeskanzler Scholz nicht wieder zur alten Form auf. Seine erst eine Woche nach Urteilverkündung gehaltene Rede im Bundestag fiel diesmal dünn aus. Aber sein Handeln nach der zweiten Zeitenwende entsprach dem Muster nach der ersten: Wieder folgte dem Desaster das Zögern und Zaudern. 

Nach tagelangen Marathonsitzungen, die Klimaminister Habeck sogar die geplante Reise zum Weltklimawanderzirkus nach Dubai versauten, präsentierten die Ampelspitzen ein paar Änderungen ihrer Politik mit dem Ziel, möglichst wenig zu verändern. 17 Milliarden Euro sollen aus dem Haushalt für 2024 und 12 Milliarden aus dem Klimatransformationsfonds gestrichen werden. 

Dafür sollen Kaufprämien für Elektroautos beendet, Subventionen für Solarenergie und den Heizungstausch gekürzt, Zahlungen an die Europäische Union für Plastikmüll beendet und Steuererleichterungen für Flugbenzin und Agrardiesel gestrichen werden. Gleichzeitig soll der Preis für den Ausstoß von Kohlendioxid stärker erhöht und eine Plastiksteuer eingeführt werden. Investitionen zur Sanierung der deutschen Bahn sollen durch den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen finanziert werden. 

Haushalt bleibt auf Kante genäht

Dabei bleibt der Haushalt auf Kante genäht. Zur Finanzierung weiterer Hilfen in Höhe von 2,7 Milliarden Euro für den Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 will die Koalition die Verkündung einer erneuten Notlage zur Aussetzung der Schuldenbremse prüfen. Und falls die budgetierten Hilfen für die Ukraine nicht reichen sollten, wird eine weitere durch eine Notlage bedingte Aussetzung zur Aufnahme neuer Schulden avisiert. 

Nicht angetastet werden das mit einem Umfang von 172 Milliarden Euro aufgeblähte Budget für Arbeit und Soziales und die Milliardenzahlungen an die Industrie zur Klimatransformation und Ansiedlung von Fabriken für Computerchips. Heißt es in Tomasi di Lampedusas Roman „Der Leopard“, „es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist“, so scheint das Motto der Ampel zu sein, „damit alles so bleibt, wie es ist, ändern wir so wenig wie möglich“. 

Notwendig wäre ein Rückbau des Sozialstaats

Mit Zaudern und Zögern nach der ersten Diagnose einer Zeitenwende hat Bundeskanzler Scholz dazu beigetragen, dass der Ukraine ein entscheidender militärischer Durchbruch noch im Jahr 2022 unmöglich war. Dafür sind jetzt die Probleme schwieriger und die notwendigen Anstrengungen zu ihrer Bewältigung größer geworden. Eine ähnliche Problemverschleppung droht mit der zögerlichen Reaktion auf die zweite Zeitenwende, mit der das Geld wieder knapp wurde. Die Kosten des aufgeblähten Sozialstaats und der radikalen Klimapolitik übersteigen die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Notwendig wäre ein Rückbau des Sozialstaats und der Staatsbürokratie zur Steigerung der Anreize zu Arbeit und Investitionen. 

Notwendig wäre auch mehr Zeit für die Anpassung der Wirtschaft an eine Produktionsweise, die zu weniger Ausstoß von Treibhausgasen führt. Für den Ökonomen handelt es sich hier um die Internalisierung externer Kosten, die mit dem Ausstoß dieser Gase verbunden ist. Die Lösung ist gut erforscht und eindeutig: Die Kosten können internalisiert werden, wenn der Ausstoß besteuert wird. Aber die Anpassung kann nicht über Nacht herbeigezwungen werden. Sie braucht Zeit, weil Produktionsprozesse nur schrittweise verändert werden können, wenn es nicht zum Kollaps der Produktion kommen soll. 

Worauf warten Sie noch, Herr Bundeskanzler?

Klima-Alarmisten drängeln, und eine willfährige Politik meint, mit hohen Subventionszahlungen der Zeit ein Schnippchen schlagen zu können. Das dürfte sich als Trugschluss erweisen. Im günstigeren Fall sind die Subventionen verloren, im ungünstigeren Fall führt die Drängelei der Politik zum Verfall der Produktion und zu gesellschaftlicher Verarmung. Man kann den heutigen Anhängern Rousseaus nur raten, in ein weniger entwickeltes Land als Deutschland im „Globalen Süden“ zu übersiedeln, um sich mit den Konsequenzen ihrer Absichten vertraut zu machen.

„So wenig ändern wie möglich, damit alles so bleibt wie es ist“, scheint auch das Motto der Deutschen zu sein. Viel beklagt wurden die neuen Zumutungen durch Subventionskürzungen und Abgabeerhöhungen. Man will gar nicht an das Geheul denken, das sich ergeben hätte, wenn die üppigen Sozialtransfers gestutzt worden wären. Es scheint, den meisten Zeitgenossen ist noch nicht klar, wie prekär ihre Lage ist. Deutschland bröckelt und bröselt, der Wohlstand erodiert. Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und den Gürtel enger schnallen. „Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt wie es ist!“ Packen wir es. Worauf warten Sie noch, Herr Bundeskanzler?

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