Positionen zur Gentechnik - Das Demeter-Bürgertum gibt bei den Grünen den Ton an

In Sachen Genetik herrschen bei den Grünen merkwürdige Vorstellungen von der Heiligkeit der Natur und von „unverfälschtem Erbgut“ vor. Selbst Landwirtschaftsminister Özdemir, angeblich ein Freund der Wissenschaft, vertritt jetzt brav die Positionen der Hardliner.

Gummistiefel als Symbol des Widerstands der Landwirtschaft gegen die deutsche und europäische Agrarpolitik / picture alliance
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Ludger Weß schreibt seit den 1980er Jahren über Wissenschaft, vorwiegend Gen- und Biotechnologie. Davor forschte er als Molekularbiologe an der Universität Bremen. 2017 erschienen seine Wissenschaftsthriller „Oligo“ und „Vironymous“ und 2020 das Sachbuch „Winzig, zäh und zahlreich - ein Bakterienatlas“.

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Gentechnik ist in Deutschland noch immer mit einem unzulässigen Eingriff des Menschen in die Schöpfung, mit Frankenstein-Horror und potenziellen Umweltkatastrophen konnotiert. Dabei tut Gentechnik nichts, was in der Natur nicht in jeder Sekunde geschieht: Organismen tauschen Gene aus, oft sogar geschieht das zwischen verschiedenen Arten.

Aber in Sachen Genetik herrschen bei Deutschen, insbesondere Anhängern und Funktionären der grünen Partei, merkwürdige Vorstellungen von der Heiligkeit der Natur und von „unverfälschtem Erbgut“ vor – eine Reinheit, die vor dem Zugriff einer materialistischen Wissenschaft beschützt werden muss.

Schnell landet deshalb jede Diskussion über Gentechnik im Mystischen. Organismen sollen „ganzheitlich“ betrachtet werden, Pflanzen haben eine „Würde“, in der Natur herrscht ein „Gleichgewicht“, das der Mensch nicht stören darf, und man fordert „unverzüchtete Pflanzen“, frei von „Verunreinigung durch artfremde Gene“ – ein Schelm, wer jetzt an Rassenkundebücher denkt.

Als stramme Gentechnik-Gegnerin bekannt

So verwundert die Aufregung nicht, die in Deutschland herrscht, seit die EU-Kommission eine Novellierung der von neuen technischen Entwicklungen längst überholten Gentechnik-Richtlinie angekündigt hat. Im Januar hieß es aus der Bundesregierung, Umweltministerin Steffi Lemke sei strikt dagegen – was nicht anders zu erwarten war.

Lemke ist seit Jahren als stramme Gentechnik-Gegnerin bekannt und stammt aus einem Landesverband, der auch der wissenschaftlichen Medizin kritisch gegenübersteht. So fordert das Parteiprogramm dort etwa den „Übergang in der Tiermedizin auf Naturheilmittel und Homöopathie“ und die „Begrenzung der tierbelastenden Impfungen“. Über Agrarminister Cem Özdemir hieß es lange, er sei in der Frage nicht entschieden. Mitte März preschte Lemke dann auf einem Treffen der EU-Umweltminister vor und votierte gegen eine Neuregelung der Gentechnik.

Die Position der Hardliner

Wie aus grünen Kreisen zu hören ist, gab es nach dieser Schaffung vollendeter Tatsachen eine erneute Abstimmung in der Fraktion zu der Frage – mit der Folge, dass die Anhänger von Homöopathie und biodynamischer Landwirtschaft und die Verfechter eines Lebens „ohne Chemie und Gene“ sich durchsetzen.
 

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Cem Özdemir, angeblich ein Freund der Wissenschaft und neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen, akzeptierte das Votum und vertritt seither brav die Position der Hardliner in der Fraktion: Danach ist die neue Technologie, die nichts anderes ist als eine präzisere und nebenwirkungsärmere Version der seit fast einem Jahrhundert praktizierten Mutationszüchtung, eine Hochrisikotechnologie, deren schreckliche Folgen man womöglich erst in hundert Jahren überblicken kann. Daher muss sie natürlich streng reguliert werden, was dank der Opt-Out-Regelung der EU nichts anderes bedeutet als: Anbau verbieten, Import verbieten, Verkauf verbieten.

„Gift und Gene“ in Österreichs Gauen

Dem Vernehmen nach soll Robert Habeck in der Debatte sogar das verfemte FDP-Wort von der „Technologieoffenheit“ in den Mund genommen haben – allein, auch er konnte sich nicht durchsetzen. So bestimmt nun also das Demeter-affine Bionade-Bürgertum, das seinen Mondscheinkäse gern mit einem Glas Naturwein genießt, der nach Rudolf Steiners Rezept mit potenzierten Hornkompostpräparaten energetisch aufgeladen wurde (zwar weiß man noch immer nichts Genaues über das Wie und Warum, aber die Wirkung dieser Einflüsse kann man schmecken!), über die Position der amtierenden Bundesregierung zu einer Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts.

Deutschland befindet sich damit in illustrer Gesellschaft. Victor Orbán lehnt die unnatürliche Frankensteintechnologie ebenso ab wie die skandalumwitterte zypriotische Regierung und natürlich Österreich, wo die Geschäftsführerin von Global2000, Leonore Gewessler, Umweltministerin geworden ist.

Unter ihrer Ägide zog die Organisation gemeinsam mit der Kronenzeitung auf die dümmlichste Art und Weise gegen „Gift und Gene“ in Österreichs Gauen zu Felde: „Global2000 deckt auf!“ – „LABORS MANIPULIEREN: Neue Gentechnik-Gefahr für unser Essen“ – „Gentech-Konzerne ‚fressen‘ unsere Ernährung auf“. Wahrlich eine wackere Allianz von streng an der Wissenschaft orientierten Politikern, die sich den Marionetten des von Monsanto geführten „Giftkartells“ (Kronenzeitung) mutig in den Weg werfen.

Dann lieber Strom mit Kohle erzeugen

Düpiert sehen sich vor allem junge, wissenschaftsaffine Anhänger der grünen Partei, die gehofft hatten, die Erfolge der Gentechnik in der Pandemie und die Orientierung der Partei an der Klimawissenschaft könnten zu einem Umdenken in Sachen Gentechnik, Homöopathie und Heimatschollenromantik führen. Schließlich steht im aktuellen Parteiprogramm: „Nicht die Technologie, sondern ihre Chancen, Risiken und Folgen stehen im Zentrum.“

Aber wenn es drauf ankommt, bewerten die Grünen dann doch die Technologie und nicht, was am Ende damit erreicht wird. CO2 sparen mit Atomkraft geht ebenso wenig wie bessere Pflanzen züchten mit Gentechnik. Dann lieber Strom mit Kohle erzeugen und hoffen, dass die im Biolandbau gepflegte Behandlung von Saatgut mit eurythmischen Gesten zu Sorten führt, die Viren, Insekten, Dürre und Staunässe widerstehen.

Keine selbstkritische Aufarbeitung

Wirklich ändern wird sich das erst, wenn die jungen Grünen damit beginnen, zu analysieren, woher die merkwürdigen Vorstellungen von Reinheit und Ganzheitlichkeit ihrer Partei kommen. Sobald sie sich kritisch mit der Vor- und Gründungsgeschichte ihrer Partei auseinanderzusetzen, werden sie feststellen, dass bei der Gründung ihrer Partei zahlreiche Altnazis kräftig mitmischten.

Zwar trennte sich die Partei nach und nach von diesen Gründervätern, aber sie übernahmen unkritisch das Ökologie- und Naturverständnis der braun angehauchten Lebensschutzbewegung und damit zahlreiche sozialdarwinistische Natur- und Gesellschaftsvorstellungen. Eine selbstkritische Aufarbeitung gab es nie.

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