Grüne Franziska Schubert - Die Realität der Fleischtheke

Franziska Schubert ist Fraktionsvorsitzende der Grünen in Sachsen. Von ihrer Partei fordert sie ein Umdenken in der Migrationspolitik.

Die Grüne und Fleischerstochter Franziska Schubert / Anja Lehmann
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Von der Fleischerei Schubert bis zur tschechischen Grenze sind es ein paar Schritte und bis nach Polen nur gut 20 Kilometer. Auf der Mittagskarte steht Schweinezunge und Rinderschmorbraten, Schnitzel gibt es immer. Von hier aus betrachtet, sieht Deutschland etwas anders aus als Berlin-­Mitte. An der Theke des elterlichen Betriebs kriege sie viel mit, sehr bereichernd sei das, erzählt Franziska Schubert, dort kommen alle vorbei, ein sozialer Umschlagplatz. 

Für seine Knacker und die Leberwurst ist ihr Vater bekannt. Darf es ein bisschen mehr sein? „Es gibt viele Diskussionen, auf die meine Eltern gar nicht einsteigen“, sagt sie. „Aber wenn dort Leute kommen, die auf das Übelste gegen Ausländer reden, dann sagt mein Vater auch schon mal ganz ruhig: ‚Du kannst jetzt gehen‘.“ 

Realistischere Migrationspolitik

Franziska Schubert sitzt für die Grünen im Sächsischen Landtag, seit zwei Jahren ist die Fleischerstochter aus Neu­gersdorf Fraktionsvorsitzende in Dresden. Sie war die erste Grüne, die überhaupt bei ihr zu Hause im Stadtrat saß. Seit 2014 ist sie Mitglied im Görlitzer Kreistag. Bei der Kommunalwahl 2019 hat die AfD dort 29,1 Prozent errungen, die CDU 25,4 und die Grünen 6,2 Prozent – und damit Platz 5. Eine andere Welt.

Über die nahe Grenze kommen gerade wieder viele Flüchtlinge. Der Landkreis Görlitz ist zum Hotspot geworden. Es gibt keine Unterkünfte mehr. Franziska Schubert kennt die Lage, sie telefoniert mit Bürgermeistern, Lehrern, Kita-Leiterinnen. Auch die wirklich Gutwilligen hätten große Sorgen. Und sie warnt ihre Partei, auch die Grünen müssten die Belastungssituation nun stärker wahrnehmen. „Ich wünsche mir einen realistischeren Blick, deswegen verraten wir unsere humanitären Ideale nicht.“ 

 

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Vor einigen Wochen hat eine Gruppe von Grünen, unter ihnen der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, ein „Memorandum für eine andere Migrationspolitik“ veröffentlicht. Der Status quo sei nicht mehr haltbar, heißt es darin, vielmehr müsse Einwanderung gesteuert werden. Das Papier der selbst ernannten „Vert-Realos“ schlug mediale Wellen.

Ein anderes Selbstbewusstsein

Franziska Schubert hat das Memorandum nicht unterzeichnet, aber die Debatte begrüßt. In Berlin macht sie sich damit kaum Freunde. „In der Tonalität“ sei manches überspitzt in dem Papier. Aber der Anstoß sei richtig. 
Die Eine Seite der Grünen, das seien oft Leute in kommunaler Verantwortung, die stärker die Probleme vor Ort sehen. Und es gebe jene andere Seite, die aus einer moralischen Haltung heraus argumentiere und fürchte, die Grünen würden Verrat an den Flüchtlingen begehen. „Wir müssen als Partei versuchen, die beiden Seiten zusammenzubringen.“

Sie bezeichnet sich selbst als „Rückkehrerin“. Gemeint ist, dass sie im Westen war und jetzt wieder im Osten angekommen ist. Sie hatte unter anderem in Osnabrück Politik und Wirtschaftsgeografie studiert. Zurück in der Heimat wollte sie ein paar Sachen anders machen, Regionalentwicklung ist ihr Thema. Bewahrung der Schöpfung ist ihr wichtig. Sie ging zu den Grünen. Damit würde sie zwar immer in der Minderheit bleiben, das sei aber kein Problem, als Katholikin gehöre das in Ostsachsen eh zu ihrer Identität.

Doch was ist das für eine grüne Partei dort in Sachsen, bei der Franziska Schubert engagiert ist? „Unsere Wurzeln sind andere“, sagt sie. „Wir haben nicht in Gorleben demonstriert.“ Es gibt ein oft verkanntes Selbstbewusstsein der Grünen im Osten, mit Joschka Fischer und Antiatomkraft hat das emotional weniger zu tun. „Wir haben zusammen mit anderen ein System gestürzt, eine Diktatur zu Fall gebracht“, sagt sie, die 1982 noch in der DDR geboren wurde. 

Mama kämpft mit gegen das Jammern

Die Grünen sind hier immer noch mehr „Bündnis90“, mehr Bürgerrechtspartei als ein linkes Projekt. „Das Thema Beteiligung ist wichtig für uns, also wie Menschen in demokratische Prozesse einbezogen werden.“ 

Seit 2019 regieren die Grünen in Sachsen mit CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer zusammen. „Wir liegen oft inhaltlich weit auseinander, aber am Ende ist die CDU meistens kompromissfähig“, sagt die Fraktionsvorsitzende und Finanzexpertin Schubert. 

Nächstes Jahr sind Landtagswahlen, die AfD könnte stärkste Partei werden. Müssen die Grünen deswegen eine neue Melodie singen? „Das ist Quatsch“, sagt Schubert. „Ich muss niemandem beweisen, wo ich moralisch stehe.“ Die CDU habe die AfD durch schlechte Politik stark gemacht. Nun sei die Lage so polarisiert, dass keiner Wählerstimmen von rechtsaußen zurückholen könne. 
Ihre resolute Mutter kämpft an der Front unterdessen auf ihre Weise. An der Ladentheke heißen ihre Gegner Jammerei und das Schlechtreden der Welt. „Wovon bist du denn konkret betroffen?“, fragt sie die Leute dann. Meistens ist dann Ruhe im Fleischerladen. 

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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