Grüne im Saarland ohne Landesliste - „Das müssen die Grünen jetzt zähneknirschend akzeptieren“

Als Folge massiver interner Streitigkeiten müssen die Grünen im Saarland nun ohne Landesliste in die Bundestagswahl gehen. Der Ex-Spitzenkandidat Hubert Ulrich macht dafür die Bundesspitze verantwortlich. Tatsächlich habe sie die innerparteiliche Demokratie ausgehebelt, sagt der Politikwisssenschaftler Uwe Jun.

Hubert Ulrich, der Grünen-Panzer von der Saar / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Uwe Jun ist Politikwissenschaftler und Professor an der Uni Trier. Seine Schwerpunkte sind Parteienforschung, Föderalismus, politische Kommunikation und Koalitionsforschung. 

Herr Jun, die Grünen im Saarland müssen jetzt ohne Landesliste in den Bundestagswahlkampf ziehen, weil der Bundeswahlleiter die zweite Liste nicht anerkannt hat. Die zuletzt aufgestellte Spitzenkandidatin der Grünen im Saarland, Jeanne Dillschneider, spricht von einer „Katastrophe“ für die Partei. Sie auch?

Für die saarländischen Grünen ist das sicherlich eine Katastrophe, weil die Saarländer nicht mehr die Möglichkeit haben, den Grünen die Zweitstimme zu geben. Das ist ein Desaster.

Aber für die Bundesspitze doch auch. Immerhin hat ihr der Bundeswahlleiter einen schweren Verstoß gegen das Wahlrecht attestiert. Die Bundesspitze hätte den Verband von Hubert Ulrich bei der Aufstellung der zweiten Landesliste nicht ausschließen dürfen. Ulrich macht die Bundesspitze allein für das Debakel verantwortlich.

Das ist seine Sichtweise. Es gab aber ja vorher schon die Kontroversen innerhalb der  saarländischen Grünen, und man müsste Herrn Ulrich daran erinnern, dass es auch das für zuständig erklärte Landesschiedsgericht in Rheinland-Pfalz war, das auf Antrag des Landesvorstands der Grünen Jugend im Saarland zu dem Schluss gekommen war, dass schon die erste Wahlliste mit Hubert Ulrich als Spitzenkandidat nicht in Ordnung war. Viele in der Partei hinterfragen auch Hubert Ulrichs Rolle in dem Verfahren, sowohl an der Saar wie an der Spree. Die Verantwortung für das Debakel ruht letztlich auf mehreren Schultern.

Ulrich trägt den Spitznamen „Panzer“. Ein Strippenzieher, der den Kreisverband Saarlouis wie ein Provinzfürst regiert und sich Parteifreunde durch ein System von gegenseitigen Abhängigkeiten gefügig gemacht haben soll. In anderen Parteien passiert so etwas auch. Und strafbar ist es auch nicht.  

Nein, fraglos nicht. Hubert Ulrich ist die prägende Figur der saarländischen Grünen, und das schon seit Jahrzehnten. Die Frage kam halt auf: Hat er es hier zu weit getrieben? Auf Platz eins der Landesliste sollte ja Tina Schöpfer stehen. Ulrich und ihm nahe stehende Kreisverbände haben sie durchfallen lassen. Ulrichs Netzwerke waren immer recht eng gespannt.

Auch das ist legitim.

Ja, es ist völlig okay. Aber um das Ziel zu erreichen, musste ad hoc das Frauenstatut gekippt werden. Da haben sowohl das Landesschiedsgericht Rheinland-Pfalz als auch der Bundesvorstand mitteilen lassen, ein solches Vorgehen entspreche nicht den Parteistatuten.

Aber das Statut sieht doch vor, das ein Mann gewählt werden kann, wenn keine Frau die Mehrheit findet.

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Ja, daher ist die Angelegenheit umstritten, denn es war ja mit Jeanne Dillschneider immerhin eine zweite Frau da, die für Listenplatz eins zur Verfügung stand, die dann Ulrich in einer Kampfabstimmung aber unterlag. Schließlich haben die Grüne Jugend und die Grünen Senioren mit abgestimmt, waren aber nach Ansicht des Landesschiedsgerichts nicht stimmberechtigt. Das war zumindest aus dieser Sicht nicht satzungskonform.

Aber aus internen Mails der Bundesspitze der Grünen geht hervor, dass man gezielt nach Formfehlern gesucht hat, um Ulrich zu verhindern. Waren das nicht nur vorgeschobene Argumente?

Ich war nicht dabei und muss mich darauf verlassen, was das Landesschiedsgericht in Rheinland-Pfalz mitteilt. Es ist zu dem Schluss gekommen, es hätten nicht stimmberechtigte Wähler die erste Liste mitgewählt.

Auch bei vergangenen Wahlen hatten sich die Grünen im Saarland schon über das Frauenstatut hinweggesetzt, ohne dass sich die Bundespartei daran gestört hat. Warum hat sie diesmal Druck gemacht?

Die Person Hubert Ulrich ist eine, über die man innerparteilich schon öfter kontrovers diskutiert hat. In der Tat war es im Saarland in der Vergangenheit so, dass sich die Partei ohne große Kontroversen auf Markus Tressel einigen konnte, der seit zwölf Jahren für die Grünen im Bundestag saß  – selbst wenn das nicht dem Frauenstatut entsprach. Diesmal ist es Hubert Ulrich aber nicht gelungen, schon im Vorfeld eine einvernehmliche Lösung zu finden. Deshalb ist ja auch Frau Schöpfer dreimal durchgefallen.

Uwe Jun / privat 

Aber offenbar hatte er doch genau das beabsichtigt. Liegt es nicht vielleicht eher daran, dass die Bundesgrünen stärker unter Druck stehen, weil sie mit Annalena Baerbock zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine eigene Kanzlerkandidatin in den Wahlkampf geschickt haben?

Ich glaube, das spielt keine entscheidende Rolle. Sicherlich hätte man sich gewünscht, dass man bei knappen Wahlausgängen eine geschlossene Bundestagsfraktion hat, wo man keine Abweichler zu befürchten hat. Es mag sein, dass in Berlin der eine oder andere in Hubert Ulrich einen unsicheren Kantonisten gesehen hat.  

In den Reihen von Ulrich spricht man jetzt von einer regelrechten Hetzjagd der Bundesspitze gegen ihn. Ist das vorstellbar, oder wird da einfach nur mit Dreck geworfen, um Annalena Baerbock zu schaden?

Das ist von außen nur schwer zu beurteilen. Herr Ulrich ist jedenfalls nicht dafür bekannt, Kontroversen auszuweichen. Wer hier wann Öl ins Feuer gegossen hat, ist letztlich für den Ausgang auch nicht so relevant.

Hubert Ulrich sagt, dass das Frauenstatut in so kleinen Landesverbänden keinen Sinn mache, weil es angeblich nicht genug Frauen in der Politik gebe. Die Rede ist auch von einem „Furienstatut“. Stimmt das?

Es gibt mehrere Landesverbände der Grünen, in denen dieses Frauenstatut besonders wirksam ist, etwa in Bremen, im Saarland, in Thüringen und in Mecklenburg-Vorpommern – Länder, die bislang, wenn überhaupt, immer nur mit einem Bundestagskandidaten vertreten waren. Und dort ist es dann tatsächlich so, dass Frauen in der Regel auf Platz 1 der Landesliste stehen. In Mecklenburg-Vorpommern war es allerdings auch lange Zeit ein Mann. Aber die Grünen wollen ja auch, dass Frauen im Zweifel das Vorrecht haben, solange sie in der Politik unterrepräsentiert sind. Das wusste Herr Ulrich, als er in die Partei eintrat. Wenn er diesen für die grüne Identität wichtigen Punkt nicht anerkennen möchte, hätte er für eine generelle Abschaffung eintreten sollen. 

Das Saarland ist ja eher ländlich. Kann es sein, dass die Uhren dort noch anders ticken?

Es ist schon so, dass im Saarland jeder jeden kennt, zugespitzt formuliert. Es gibt schillernde Figuren, die da eine sehr dominante Rolle spielen. Ein gutes Beispiel dafür ist auch Oskar Lafontaine, der lange Zeit die SPD dominierte und der heute bei der Linken im Saarland eine zentrale Rolle spielt.

Für Außenstehende mutet es wie Kasperle-Theater an, dass dann eine zweite Landesliste gewählt wurde – und Ulrichs Verband von dieser Wahl aber ausgeschlossen wurde. Auf welcher rechtlichen Grundlage?

Genau das ist die Frage. Der Bundeswahlausschuss sagt, das entspricht nicht den erforderlichen demokratischen Grundsätzen der Wahlaufstellung. In der Tat meine ich auch, dass innerparteiliche Demokratie zum Teil ausgehebelt wird, wenn ein Kreisverband – zumal noch ein so mitgliederstarker – von einem Nominierungsparteitag  einfach ausgeschlossen wird, selbst wenn es da Unstimmigkeiten bei der Delegiertenwahl im Kreisverband gegeben hat. Das müssen die Grünen jetzt wohl zähneknirschend akzeptieren.

Haben die Grünen das nicht vorher gewusst? Oder haben sie sich einfach darüber hinweggesetzt und gehofft, es falle ihnen nicht auf die Füße?

Das Bundeschiedsgericht der Partei hatte ja so entschieden. Aber letztlich steckt auch ein wenig Unprofessionalität dahinter. Sowohl die Bundes- als auch die Landespartei hätten sich im Vorfeld besser vorbereiten und verständigen müssen, wie man eine solche Situation in Einklang mit den Grundsätzen des Wahlausschusses bringen kann. So sieht es so aus, als wollte man nur Hubert Ulrich keinen Einfluss mehr zugestehen.

Nach diesem zweiten Landesparteitag schrieb die Landeswahlleiterin Monika Zöllner: „Würde man einen solchen Wahlvorschlag zulassen, dann stünde insgesamt die demokratische Legitimation der Bundstagswahl in Frage.“ Hat es so einen Fall schon mal gegeben?

Mir ist keiner bekannt.

Jetzt können die Wähler im Saarland den Grünen nicht mehr die Zweitstimmen geben. Fallen diese Stimmen bei so einem kleinen Bundesland überhaupt ins Gewicht?

Es kann sie nach Berechnungen bis zu 0,25 Prozentpunkte kosten. Das ist nicht so gravierend. Aber sie müssen wohl auf zumindest dieses eine Bundestagsmandat verzichten, das sie in den letzten Jahrzehnten immer errungen haben. Es sei denn, sie gewönnen den Wahlkreis Saarbrücken oder gar einen anderen im Saarland direkt. Das ist jedoch unwahrscheinlich.

Aber könnte es Annalena Baerbock im schlimmsten Fall das Kanzleramt kosten, wenn die Weichen auf eine Ampelkoalition stehen und Grüne und SPD gleichauf liegen?

Das Szenario ist zwar auch nicht wahrscheinlich, aber nicht gänzlich auszuschließen. Wenn die SPD einen Sitz mehr als die Grünen erringen sollte und tatsächlich eine Ampelkoalition gebildet würde, dann könnte es so kommen.

Aber der Imageschaden für die Grünen ist beträchtlich. Was verrät es über eine Partei, dass sie intern so zerstritten ist, dass sie sich nicht mal auf eine Landesliste einigen kann?

Dass es bei den saarländischen Grünen zuletzt schon allein an Gesprächsbereitschaft gefehlt hat und dass die Führungs- und Kompromissfähigkeit nicht ausreichend ausgeprägt waren. Jetzt muss man sehen, wie die zerstrittenen Gruppen wieder zusammenkommen können, um einen schlagkräftigen Landesverband zu bilden. Eine zerstrittene Partei wirkt auf Wähler jedenfalls nicht überzeugend.

Aber so, wie es aussieht, gestaltet sich eine Versöhnung schwierig. Zwar will man im Saarland einen Mediator einschalten. Zugleich fordert die Grüne Jugend aber den Parteiaustritt von Hubert Ulrich. Wie passt das zusammen?

Da sehen sie wieder, wie die Fronten aufeinanderprallen. Wenn man immer nur übereinander spricht anstatt miteinander, kommt man nicht zusammen und kann nicht erfolgreich agieren.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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