Baerbock wird Kanzlerkandidatin - Die Frau macht's

Während die Union sich auf der Suche nach dem Kanzlerkandidaten zerlegt, fällt die Entscheidung bei den Grünen ohne Querelen: Annalena Baerbock will ins Kanzleramt. Geholfen hat ihr der Emanzipationsbonus. Dabei hat sie gegenüber Robert Habeck ein entscheidendes Manko.

Versierte Verhandlerin, aber null Regierungserfahrung: Annalena Baerbock / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Will das noch jemand hören? Man habe „gute Gespräche“ geführt, heißt es seit nunmehr einer Woche von Markus Söder persönlich wie aus den Unionsparteien. Gute Gespräche – vor deren Hintergrund sich die Union, die noch bis vor wenigen Tagen noch als ewiger Kanzlerwahlverein galt, mit atemberaubender Geschwindigkeit öffentlich zerlegt.

Eine bessere Vorlage konnte die Union den Grünen nicht bieten in diesem Jahr, in dem der Hauptkonkurrent der CDU erstmals in der deutschen Geschichte nicht die SPD ist, sondern die Grünen. Die Partei steht in den Umfragen konstant bei über 20 Prozent, Tendenz steigend. Aus heutiger Sicht stellt sich eigentlich nur die Frage, in welcher Konstellation sie in die Regierung einziehen wird – und ob sie sogar die Kanzlerin stellt.

Der Emanzipationsbonus 

Robert Habeck kann es sich an diesem Montag um 11 Uhr denn auch leisten, zu betonen, er und Annalena Baerbock hätten „manchmal auch schwierige Gespräche“ gehabt. Beide sind in der Partei unangefochten, weder Baerbock noch Habeck stehen für einen Flügel der Partei, weshalb die  Kandidatenfrage auch längst nicht so emotionsbeladen ist wie dieser Tage bei der Union. 

Das liegt auch daran, dass Habeck und Baerbock als Parteichefs mit ihrem Mitte-Kurs der letzten dreieinhalb Jahre einen Lauf haben, um den sie wohl alle anderen deutschen Parteichefs beneiden. So unangefochten war eine Parteispitze selten.

Was zwischen den beiden letztlich den Ausschlag gegeben hat, lässt Baerbock in der Pressekonferenz durchblicken: „Natürlich hat auch die Frage der Emanzipation eine zentrale Rolle bei dieser Frage gespielt“, sagt sie. Kurzum: Bei ähnlichen Umfragewerten und ähnlicher politischer Ausrichtung blieb bei einer Partei, die sich wie keine andere das Thema Gleichberechtigung auf die Fahnen schreibt, eigentlich keine Wahl: Die Frau macht’s.

Versierte Verhandlerin 

Der größte Malus der 40-jährigen Baerbock ist gleichzeitig der, der die meisten Grünen auf Bundesebene betrifft: Sie hat noch keinerlei Regierungserfahrung. Die Politikerin, die in einem Dorf bei Hannover aufgewachsen ist, hat ihre ersten politischen Erfahrungen als Büroleiterin einer grünen Europaabgeordneten aus Brandenburg  gemacht hat. Darüber landete sie auch in ihrer „neuen Heimat“: Für den Wahlkreis Potsdam sitzt sie seit 2013 im Bundestag – allerdings nie direkt gewählt.

Baerbock ist eine versierte Verhandlerin, gestählt in einem Jahrzehnt Arbeit in der Antragskommission der Grünen, wo in einer Vielzahl von Sachfragen Konflikte abgeräumt und Kompromisse gefunden werden mussten. Diese Erfahrung brachte sie 2017 auch als Verhandlerin in die (gescheiterten) Jamaika-Sondierungen und 2019 in die (erfolgreichen) Koalitionsverhandlungen in Brandenburg ein.

Die 40-jährige Mutter zweier Kinder ist eine gute Rednerin, auch wenn sie sich bei ihrer „Antrittsrede“ am Montag hin und wieder nervös zeigt. Gegenüber Habeck hat sie außenpolitisch mehr Verbindungen und Kenntnisse – aber ihr fehlt eben die Regierungserfahrung. Als Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein hatte Habeck bis 2018 gezeigt, dass er nicht nur schön reden, sondern auch zwischen Bauern und Umweltschützern tragbare Kompromisse finden kann.

„Ich war noch nie Kanzlerin“

Kann Baerbock also Kanzlerin? „Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin.  Ich trete an für Erneuerung - für den Status Quo stehen andere“, mit dieser Formel beantwortet sie am Montag die Frage.

Wählen die Deutschen die Grünen im September in die Regierung, wird Baerbock mit echten Zielkonflikten im Regierungshandeln konfrontiert sein: Die härtesten Konflikte sind zu erwarten beim massiven Ausbau von Wind- und Solarenergie, der nötig ist, um die bis 2030 anvisierten CO2-Reduktionen zu erreichen: Das läuft dem Ziel zuwider, den Flächenfraß zu stoppen. Wie wird Baerbock Umwelt- und Landschaftsschützern entgegentreten, die keine Windräder auf ihrem Hausberg haben wollen?

Zu ähnlichen Konflikten könnte der geplante Ausbau der Deutschen Bahn führen, um den Flugverkehr zu reduzieren. Waren es in Baden-Württemberg nicht die Grünen, die gegen das Bahn-Großprojekt Stuttgart21 mobilisierten?

Konkurrenz durch die Klimaliste

Auf einem anderen Blatt steht die Konkurrenz, die den Grünen auf radikalökologischer Seite erwächst: Bei den jüngsten Landtagswahlen hat die erst vor wenigen Monaten gegründete „Klimaliste“ Achtungserfolge gefeiert. Jeden politisch notwendigen Kompromiss werden diese Konkurrenten den Grünen als Verrat am Klima ankreiden. Auch „Fridays for Future“ könnte dann nicht mehr so treu an der Seite der Grünen stehen wie heute.

„Verändern statt zu versprechen“ hat Baerbock heute in Berlin als ihre Devise benannt. Bisher haben die Grünen nur versprochen.

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